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„Jeder Antrag ist ein neuer Kosmos“

24 Jahre war Britta Kaiser-Schuster als Dezernentin der Kulturstiftung der Länder vor allem für die Betreuung der Förder­anträge von Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart zuständig, jetzt geht sie in den Ruhestand. In einem Gespräch mit Hans-Georg Moek blickt sie zurück.

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Hören Sie das ausführliche Gespräch mit Dr. Britta Kaiser-Schuster im Podcast. Weitere Grußworte und Interviews mit Dr. Britta Kaiser-Schuster u.a. zum Deutsch-Russischen Museumsdialog, zur Sammlung Werner Nekes oder zu Künstler-Nachlässen finden Sie in der Mediathek auf www.kulturstiftung.de oder auf iTunes und Spotify.

 

Liebe Frau Kaiser-Schuster, wenn ich richtig rechne, arbeiten Sie zwar seit 24 Jahren bei, aber bereits seit 27 Jahren für die Kulturstiftung der ­Länder.

So ist es. Ich hatte die große Freude, anlässlich des zehnjährigen Bestehens ab 1996 im Auftrag der Kulturstiftung der Länder als freie Kuratorin die Jubiläumsausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart vorzubereiten. 1998 wurden dort unter dem Titel „Sternstunden“ 450 ausgewählte Kunstwerke aus zehn Jahren Förderung ausgestellt. Für mich war es das perfekte Entree in die Arbeit der Kulturstiftung der Länder.

Wie muss man sich die Kulturstiftung der Länder vor 25 Jahren vorstellen? War Ihre Tätigkeit genauso vielfältig wie heute?

Sie war damals mindestens genauso vielfältig, wenn nicht sogar noch vielfältiger, denn das Team war mit nur zehn Personen deutlich kleiner. Ich war beispielsweise als Dezernentin auch für die Pressearbeit und die Beziehungen zu internationalen Stiftungen verantwortlich. Ihren Sitz hatte die Stiftung  am Kurfürstendamm in Berlin-Halensee. Es wurde aber schnell deutlich, dass diese Räumlichkeiten zu beengt waren; wir zogen in Büroräume am Lützowplatz, bis wir im September 2022 einen weiteren Sprung gemacht haben mit unserem Umzug in den Theaterbau des Schlosses Charlottenburg.

Um noch einige weitere Ihrer Aktivitäten und Verantwortlichkeiten zu nennen: 1999 haben Sie den Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder mitgegründet und waren bis 2012 dessen Geschäftsführerin. 2006 ­haben Sie das Restaurierungsforschungsprogramm KUR (Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut) gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes konzipiert. Ab 2007 waren Sie für die Geschäftsstelle, die Forschungsprojekte und die Publikationen des Deutsch-Russischen Museumsdialogs verantwortlich. Eine große Objektdatenbank gibt nun den betroffenen deutschen Museen hinsichtlich der kriegsbedingten Verlagerungen nach Russland Auskunft über den Standort ihrer Verluste. Sie wird künftig am Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste DZK betreut. Ab 2009 initiierten und berieten Sie den  Deutsch-Rus­sischen Bibliotheksdialog. Bis heute sind Sie für das Auswahlverfahren der Künstler-Stipendienprogramme von Bund und Ländern und die Erwerbungs-, Restaurierungs- und Ausstellungsförderung im Bereich der Kunst des 20. Jahrhunderts und der zeitgenössischen Kunst verantwortlich. Und Sie haben Arsprototo mit auf den Weg gebracht. Wie war das damals?  

Unser Credo in der Stiftung war stets, den Kultureinrichtungen und den Ländern ein kompetenter, vertrauensvoller und verlässlicher Partner zu sein, aber auch: „Tue Gutes und rede darüber“. Und so suchten wir immer nach Wegen und Kanälen, auf denen wir unsere Förderungen und Projekte vorstellen können. Deshalb dachten unsere damalige Generalsekretärin Karin von Welck und ich: Wir brauchen ein Magazin! Die ersten Ausgaben wurden noch durch Drittmittel finanziert. Später konnten wir die Länder überzeugen, dass Arsprototo ein sehr geeigneter Weg ist, um die vielfältige Arbeit der Kulturstiftung der Länder zu vermitteln.

Gibt es heute noch Themen oder ­Bereiche, die Sie so richtig über­raschen?

Ehrlicherweise ist mir meine Tätigkeit nie zur Routine geworden, weil ja jedes Objekt, jeder Antrag, jede Anfrage, ob bildende Kunst, Kunstgewerbe, Fotografie, Architektur, Tanz, Ostasiatische Kunst, ein Kosmos für sich ist.

Beispielsweise war die Erwerbungsförderung der Sammlung Werner Nekes (s. Arsprototo 2/2020) – ein großer Filme­macher und auch Sammler – ein neuer Bereich für mich: filmhistorische Objekte von der Renaissance bis heute. Ich konnte mich immer wieder mit neuen Themen beschäftigen, eine wirklich sehr bereichernde Aufgabe.

Sie haben in den vergangenen 24 Jahren rund 400 Erwerbungsförderungen beraten und koordiniert. Wie läuft ein Antrag auf Erwerbungsförderung ab?

Wir haben uns in diesem Bereich in den vergangenen Jahren weiter professionalisiert. Es gibt ein transparentes Verfahren mit einem festgelegten Ablauf, wie ein Förderantrag eingereicht werden muss. Wenn ein Museum beispielsweise ein Werk aus dem 20. Jahrhundert erwerben will, informiert es sich zunächst auf unserer Webseite. Während eines Telefonats klären wir dann, worum es sich handelt, warum das Haus es erwerben will, welche Bedeutung es für die Sammlung oder auch welche regionale und nationale Bedeutung es hat. Und wenn es unserem Vorstand und mir im Anschluss erkenntlich ist, dass es sich um Kulturgut von nationalem Rang handelt, schließen sich eine Reihe von Formalien für den Antrag an. Sehr wichtig ist dabei, dass die Frage der Provenienz geklärt ist – also woher kommt das Objekt und wer verkauft es? Erst wenn wir ausschließen können, dass es unrechtmäßig verkauft wird, und dann auch noch alle anderen Prämissen zutreffen, können wir eine Förderung in Erwägung ziehen.

Dann holen wir Fachgutachten ein, durch die u. a. die kunst- und kulturhistorische Bedeutung und die Angemessenheit des Preises der zu fördernden Werke extern bewertet werden. Danach ist es Aufgabe der Häuser, Mitförderer zu gewinnen, denn die Kulturstiftung der Länder beteiligt sich grundsätzlich nur mit maximal einem Drittel der Kaufsumme an der Förderung. Auch bei der Drittmittelakquise sind wir beratend tätig, denn wir profitieren von unserem über Jahre gewachsenen Netzwerk beispielsweise zu weiteren Stiftungen und privaten und öffentlichen Förderern.

Daneben sichten wir intensiv Auktionskataloge, und falls wir Objekte von gesamtstaatlicher Bedeutung identifizieren, gehen wir auch proaktiv auf Häuser zu, um ihnen eine Erwerbung zu empfehlen, zuletzt z. B. die expressionistische Holzskulptur „Stehende“ von Erich Heckel für die Kunstsammlungen Chemnitz aus der Sammlung Gerlinger.

Auch wenn sich das schon recht aufwändig anhört, gibt es Förderungen, die sich vergleichsweise noch wesentlich komplexer gestalten. Ich denke da an den Ankauf des Nachlasses des Fotografen Umbo, den Sie zehn Jahre lang begleitet haben.

Das war tatsächlich mein langwierigstes Projekt. Umbo (eigentlich Otto Maximilian Umbehr), ein herausragender Fotograf, hat seine Karriere am Bauhaus begonnen, war später Pressefotograf in Berlin und hat seinen Lebensabend in Hannover verbracht. Sein Werk verblieb teilweise bei seiner Tochter Phyllis Umbehr, teilweise in der Galerie Kicken, andere Teile wurden an einen Privatsammler in Amerika verkauft. Wir hatten also drei Anbieter mit Teilen des Nachlasses und am Ende drei erwerbende Einrichtungen, deren Hausleitung im Laufe der Verhandlungen in allen drei Häusern wechselte: Da der Preis und der Umfang der Sammlung enorm waren und uns klar war, dass eine Institution allein diesen großen Umfang nicht bewältigen könnte, entstand die Idee, den Nachlass auf drei Häuser aufzuteilen, die einen biografischen Bezug zu Umbo haben. Das waren das Bauhaus Dessau, die Berlinische Galerie und das Sprengelmuseum in Hannover. Diese drei Museen habe ich an einen Tisch gebracht und ihnen unsere Idee eröffnet. Gemeinsam haben wir vereinbart, wie der Nachlass aufgeteilt werden soll und in einem Kooperationsvertrag festgelegt, dass die Museen beispielsweise für Ausstellungen auf alle Nachlassteile zugreifen können. Daran schlossen sich Gutachten und Preisverhandlungen an. Und heute befindet sich Umbos Nachlass geschlossen in diesen drei Sammlungen (s. Arsprototo 3/2016). Aber auch die Bewahrung der Nachlässe von Max Slevogt, Wilhelm Lehmbruck oder Hans Poelzig und bedeutender Sammlungen wie die Designsammlung Ludewig, die Fotografiesammlung Wiegand oder die Fluxus-Sammlung Kelter waren aufwändige Unternehmen.

Wenn Sie damals und heute vergleichen: Wie hat sich die Kulturstiftung der Länder in den vergangenen 24 Jahren verändert?

Aus damals neun Personen in unserem Büro am Kurfürstendamm sind heute 30 Kolleginnen und Kollegen geworden, die teilweise auch in operativen und temporären Projekten arbeiten. Unsere Kerntätigkeit – die Erwerbungs-, Ausstellungs- und Restaurierungsförderung –, so gesehen unser Nukleus, ist jedoch geblieben.

Vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch, unser letztes im Rahmen Ihrer Tätigkeit für die Kulturstiftung der Länder. In den vergangenen Jahren haben wir mehrere Podcasts und Interviews miteinander führen dürfen, die Interessierte auf YouTube, Spotify und iTunes finden.

Auch von mir herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Hans-Georg Moek ist Leiter Kommunikation & Medien der Kulturstiftung der Länder.

 

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