Geld fürs Geld

Über Geld spricht man nicht. In diesem Falle schon, notwendigerweise. Denn es geht ums Geld, genauer gesagt um Münzen. Das, was bei uns heute im Portemonnaie klimpert und beim Bezahlen nur noch – wenn überhaupt – als „Kleingeld“ gefragt ist, hatte einst eine wesentlich größere Bedeutung. Über zwei Jahrtausende lang bestand das Geld – jedenfalls im europäischen Kulturkreis – aus Münzen, und zwar nur aus Münzen. Banknoten und Papiergeld sind sehr viel später entstanden. Sie haben erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Münzgeld verdrängt und in die Rolle des Kleingeldes verwiesen. Bis dahin galt seit den Zeiten eines Krösus, des sagenhaften lydischen König des 6. Jahrhunderts v. Chr.: Nur Bares (aus Gold und Silber) ist Wahres. Dabei war die Münze nicht nur schnöder Mammon. Die Griechen schmückten sie mit den Bildern ihrer Götter und Heroen. Die Römer setzten ihre Götter und Kaiser darauf, das Mittelalter seine Heiligen und Landesfürsten, die Staaten der Neuzeit ihre Herrscher bis hinunter zu den Duodezfürsten von Bücke­burg, Hechingen oder Sachsen-Gotha. Jeder, der poli­tischer Souverän von Gottes Gnaden war oder sich als solcher fühlte, leistete sich sein eigenes Geld. Dabei fehlten auch die Städte nicht, von Hamburg und Lübeck bis Nürnberg und Regensburg. Wer anschaulich etwas über Geschichte, von der politischen bis zur Kulturgeschichte lernen will, der ist bei den Münzen richtig und dem können Münzen viel erzählen. Mit Münzen kann man sich Alexander den Großen und Kaiser Nero, Friedrich den Großen und Queen Victoria ins private Wohnzimmer einladen. Zugegeben, nicht alle „Großen“ kann man zu sich nach Hause holen, aber die Genannten und viele andere schon. Warum das so ist? Münzen gibt es massenhaft. Das ist ihr Vorteil – und ihr Problem. Der Vorteil: Man kommt relativ leicht (und anfangs auch billig) an sie heran. Das Problem: Alle kann man nicht haben. Wieviel braucht man? Was muss man haben und was nicht? Wo ist die Grenze? Was der Pri­vatmann nach Gusto und Beutel entscheiden kann, muss bei Museen objektivierten, nachvollziehbaren Kriterien folgen. Wie also bemisst sich das numismatische Sammeln in Museen und was soll der Staat fördern?

Viele Museen haben eine Münzsammlung, nur in manchen wird sie besonders gepflegt, und nur in ganz wenigen Museen sind Münzen ein bevorzugtes oder sogar das einzige Sammelgebiet. Sie heißen dann meist Münzkabinette und sind in der Regel Bestandteile der großen National- und Universalmuseen. In Deutschland sind Münzkabinette als Folge des Sammelns der einstigen Landesherren in fast allen Landesmuseen anzutreffen. Dort beschränken sie sich heute beim Bestandsausbau – falls die personellen und finanziellen Mittel dazu überhaupt reichen – in der Regel auf das Gebiet des heutigen Bundeslandes. Überregionale oder gar internationale Bedeutung besitzen nur wenige. Eigentlich nur die Münzkabinette in Berlin, München, Dresden und Gotha und dies auf Grund ihrer histo­rischen, aus den alten fürstlichen Samm­lungen der Hohenzollern, Wittelsbacher und Wettiner hervorgegangenen und schon vor 1918 vorhandenen Bestände vor allem antiker Münzen. Zu diesen ­Münzkabinetten ist seit den 1950er-Jahren zunächst in Westdeutschland allmählich die Sammlung der ­Deutschen Bundesbank getreten, die einzige deutsche Münzsammlung, deren Bestandsentwicklung qualitativ wie quantitativ positiv verläuft, für alle anderen geht es eher mühsam voran. Feste jährliche Ankaufsetats gibt es schon seit langem nicht mehr, Einwerbung von Drittmitteln heißt die Devise. An private oder staat­liche Fördermittel wie die der Kulturstiftung der Länder zu kommen, ist für die unter Museumskollegen immer etwas als Außenseiter betrachteten Numisma­tiker außerordentlich schwer. Es gibt Wichtigeres als Münzen, heißt es da. Ihr habt ohnehin mehr als genug, wozu braucht ihr noch ein paar mehr, die nur im Tresor verschwinden?

In der Tat: Von dem, was ein Münzkabinett ­besitzt, sieht der Ausstellungsbesucher in der Regel wenig. Das Allermeiste liegt in den Depots. Nicht unzugänglich, denn man kann es sich nach Anmeldung in den Studiensälen vorlegen lassen, aber das erfordert eben einen Extra-Anlauf, Zeit und Zähigkeit, denn individuell zu betreuende Besucher stören im Museumsbetrieb immer. Sie beanspruchen Zeit und Per­sonal. Beide Ressourcen sind knapp. Was also ist an Erwerbungswünschen eines Münzkabinetts förderungswürdig?

Vergegenwärtigen wir uns zunächst am Beispiel der in dieser Ausgabe von Arsprototo vorgestellten Erwerbungen die Objekte der Begierde. Die größten und spektakulärsten sind die ca. 16.000 antiken, mittelalter­lichen und neuzeitlichen Münzen und Medaillen des Münzkabinetts der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, die 1945 nach Abzug der Amerikaner und vor dem Übergang Thüringens in die sowjetische Besatzungszone mit dem Besitz der herzoglichen Familie nach Coburg verbracht worden waren. Über ihren Rückkauf und die Rückführung nach Gotha ist seit 2007 verhandelt und in dieser Zeitschrift bereits berichtet worden (siehe Arsprototo 4/2011). Nunmehr sind auch die damals noch fehlenden 343 antiken Goldmünzen mit den übrigen Münzen und Medaillen zurückgekauft und die Sammlung wieder an alter Stätte komplett. Der Münzsaal und seine von den Büsten der römischen Cäsaren bewachten Barockschränke in der Forschungsbibliothek auf Schloss Friedenstein sind heute ein besonderes Prunkstück des „Barocken Universums Gotha“. Es gibt in Deutschland nichts und in Europa wenig Vergleichbares. Das von Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1676 –1732) geschaffene Münzkabinett rühmten Zeitgenossen als eines der vor­nehmsten in der Welt. Dass man hier die Chance zu seiner Wiederherstellung genutzt hat, darf das knappe und hohe Prädikat Kulturgutschutz beanspruchen. Wer hätte verantworten wollen, dass eine solche Sammlung aus – im doppelten Sinne – „altem Adel“ unter den Hammer kommt? Und was hätte nicht mancher Sammler dafür gegeben, sich mit einer Zimelie aus einer solchen Sammlung, deren Provenienzen in der überwiegenden Mehrzahl in das 17. und 18. Jahrhundert zurückreichen, zu schmücken?

Ebenfalls eine Rückkehr feiern kann das Münz­kabinett  der  Staatlichen  Museen  zu  Berlin  –  Preußischer Kulturbesitz. Es begrüßt einen im Kriege verloren geglaubten Sohn, von dem 1959 zwar ein Lebens­zeichen aus den USA kam, der selbst aber erst 2015 wieder auftauchte: Kimon aus Syrakus. Gemeint ist eine Dekadrachme aus Syrakus mit dem Kopf der Quellnymphe Arethusa umspielt von vier Delphinen und der Signatur KI für den Stempelschneider Kimon (Abb. S. 27/28). Die andere Seite zeigt ein von der Siegesgöttin Nike mit dem Siegeslorbeer gekrönten Wagenlenker in seinem Viergespann. Mit einem Durchmesser von 35 mm und einem Gewicht von über 43 g Silber gehört diese in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. entstandene Münze zu den größten und schwersten antiken Münzen überhaupt. Nach dem Basisgewicht einer Drachme (ca. 4 g) werden sie als Dekadrachmon, d. h. Zehndrachmen-Stück, bezeichnet. Diese Münzen begeisterten schon Johann Joachim Winckelmann und Johann Wolfgang von Goethe und gelten auch heute noch als die schönsten des Altertums. Darunter wiederum stellen die mit den Signaturen der Stempelschneider Kimon und Euainetos die Crème de la Crème dar. Der Besitz eines Dekadrachmons des Kimon oder Euainetos ist gewissermaßen der Ritterschlag und die höchste Auszeichnung für jedes Münzkabinett und jeden Münzsammler. Ein solches Kimon-Dekadrachmon hat das Berliner Münzkabinett im Jahre 1913 für den schon damals stolzen Preis von 5.555 Goldmark gekauft. Seine folgende Geschichte liest sich wie ein Kriminal­roman: Es verschwand unter ungeklärten Umständen, vermutlich unmittelbar nach Kriegsende 1945, gelangte aber nicht – wie die gesamte Sammlung des Münzkabinetts – in die Sowjetunion, sondern tauchte 1959 in den USA auf. Da ein Jahr zuvor, 1958, die Kabinettssammlung zusammen mit zahlreichen anderen Objekten der Berliner Museen von der Sowjetunion an die DDR zurückgegeben worden war, konnte die Identität eindeutig festgestellt werden. Der Versuch, eine Rückgabe zu erreichen, war unter den Bedingungen des Kalten Krieges aussichtslos und scheiterte. Noch dreimal wechselte das Stück auf prominenten Münzauktionen den Besitzer. Erst 2017 gelang der Rückkauf.

Von ganz anderer Art sind die Erwerbungen der Staatlichen Münzsammlung München. Bayern hat im Unterschied zu allen anderen Bundesländern kein staatliches Schatzregal. Das heißt etwa, dass dort gemachte Münzfunde nicht vom Staat entschädigungslos eingezogen werden können. Vielmehr findet bei Münzfunden die auf das alte Römische Recht zurückgehende Regel des BGB Anwendung, wonach solche Funde hälftig zwischen dem Eigentümer des Grund und Bodens,  auf  dem  der  Fund  zutage  kam,  und  dem Finder geteilt werden. Wer also das Glück hat, in ­Bayern einen Münzfund zu machen, darf ihn behalten. Er kann ihn auch verkaufen. Im benachbarten Baden-Württemberg dürfte er beides nicht, vielmehr muss er den gesamten Fund ohne Anspruch auf Entschädigung an das Land abliefern, denn dort gilt das Schatzregal, d. h. der Anspruch des Staates auf alles im Boden verborgene und zum Zeitpunkt der Auffindung herrenlose Vermögen. Wer nicht abliefert, macht sich strafbar. Ein glücklicher Finder kann also in Bayern legal zum Millionär werden und in Schwaben für den gleichen Tatbestand hinter Gitter wandern. Wundert man sich unter diesen Umständen, dass in Bayern mehr Münzfunde an die Öffentlichkeit kommen als in Baden-Württemberg?

Zwei bedeutende Münzfunde Bayerns der letzten Jahre sind 2002 in Obing am Chiemsee (Ldkr. Traunstein) und 2014 in Waal (Ldkr. Ostallgäu) zutagegetreten, letzterer übrigens durch gezielte Sondengängerei. Beide sind umfangreich – der Fund von Obing enthielt knapp 1.000, der von Waal sogar fast 8.000 Münzen – und beide stammen aus dem hohen Mittelalter. Der Schatz von Obing wurde um 1130, der von Waal um 1210/20 verborgen. Das sichert ihnen von vornherein große Aufmerksamkeit, denn Münzfunde aus diesem Zeitraum werden selten gemacht. Sie sind zudem von großer wissenschaftlicher Bedeutung, weil wir einerseits das Münzmaterial jener Zeit nicht vollständig kennen und es andererseits räumlich und zeitlich nicht präzise einordnen können, da die Münzen selbst sehr oft überhaupt keine Schrift, sondern nur Bilder enthalten. Jeder Fund also verspricht Bereicherung im doppelten Sinne. Dabei ist es für die wissenschaftliche Erkenntnis wichtig, den Fund in seiner Gesamtheit und nicht nur in ausgesuchten Einzelstücken untersuchen zu können. Die zahlenmäßige Häufigkeit oder Seltenheit der verschiedenen Münztypen gibt z. B. wichtige Hinweise nicht nur auf Umfang und Produktionszahlen der einzelnen Emissionen, sondern auch für ihre zeitliche und örtliche Eingrenzung. Es macht also nicht nur einen zahlenmäßigen Unterschied, ob Typ X im Fund Emmenhausen in 500 oder nur in 5 Exemplaren enthalten war. Deshalb ist die Erwerbung des geschlos­senen Fundes unabdingbar, auch wenn man sich als Museum damit klarerweise Hunderte, im Fall des Waaler Fundes sogar Tausende von Dubletten einhandelt. Solange unsere Kenntnisse der Münz- und Geldgeschichte vergangener Epochen noch so lückenhaft sind, geht dies nicht anders. Erst ab dem Spätmittelalter treten Münzfunde häufig und in bestimmten Epochen (etwa der Zeit des Dreißigjährigen Krieges 1618 –1648) in so dichter Folge auf, dass sie den numismatischen Kenntnisstand nur noch bestätigen und nicht mehr wesentlich  erweitern.  Nicht  jeder  Münzfund  in Deutschland gehört also komplett und für immer ins Museum, die des frühen und hohen Mittelalters aber eigentlich alle. So ist die Erwerbung der Funde von Obing und Waal wissenschaftlich eine Notwendigkeit, aber auch in gleicher Weise eine Verpflichtung: Nicht die Sicherung im Museumsdepot, sondern die wissenschaftliche Veröffentlichung und Nutzbarmachung muss das Ziel sein. In dieser Hinsicht gibt es bereits ermutigende Ergebnisse in Form einer 2017 in Bozen (Italien) gezeigten und für 2018 in Wien geplanten Ausstellung samt der dazu bereits erschienenen Begleitpublikation.

Nicht Rückkauf oder Aspekte der numismatischen Wissenschaft, sondern das klassische Feld der musealen Bestandsergänzung charakterisiert die Erwerbung der Museen der Stadt Regensburg. Die Versteigerung einer bedeutenden Privatsammlung bot die Möglichkeit zur gezielten Lückenschließung der eigenen Sammlung. Die Verknappung der Mittel in den Museumsbudgets macht die kontinuierlichen und unspektakulären Erwerbungen, wie sie gerade für Münzkabinette typisch sind, immer mehr zur Ausnahmeerscheinung. Für ein Stadtmuseum ist eine Sammlung der eigenen städtischen und regionalen Münzen eigentlich eine Pflicht, besonders wenn die Stadt einst in früheren Zeiten selbst den Münzhammer geschwungen hat. Und Regensburg besitzt in der Tat eine ganz außergewöhnliche numismatische Tradition. Es war im 9. Jahrhundert der einzige Ort des karolingischen Großreiches jenseits des alten römischen Limes, in dem Münzen überhaupt geprägt wurden. Alle anderen Regionen Deutschlands östlich des Rheins kamen damals noch ohne Münzgeld aus. Regensburg bildete von da an einen der bedeutendsten Münzorte des mittelalterlichen Deutschen Reiches. In der Neuzeit übte neben dem Bischof auch die Stadt Münzrechte aus. Die Taler mit dem Panorama der Stadt gehören zu den schönsten deutschen Städte­talern. Nunmehr ist das städtische Münzkabinett – z. T. auch mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung – um 10 seltene Münzen und Medaillen aus dem Zeitraum 1574 bis 1792 reicher. Die Museums­besucher in Regensburg können sich jetzt daran erfreuen!

Förderer dieser Erwerbungen: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung