Eine Frage des Charakters
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein Spieltisch mit Jetons, die Rechenmaschine eines Erfinders, der als Versicherungsaktionär an der Bewältigung komplexer Berechnungen interessiert war, und eine ganze Menge Münzen – das liebe Geld begegnet uns in diesem Heft auf unterschiedliche Weise. Geld regiert die Welt – und die Regenten dieser Welt bedienten und bedienen sich des Geldes, um ihr Bildnis, ihr Wappen, das Staatssymbol in Umlauf und unter die Leute zu bringen. Jede Münze, so hat die politische Ikonographie gezeigt, kann als Mittel der Legitimation oder Propaganda eingesetzt werden. Vor der Erfindung von Seriendruckverfahren war sie sogar das visuelle Massenmedium schlechthin. Kein Wunder also, dass ihrer künstlerischen Gestaltung große Sorgfalt gewidmet wurde. Die dafür zuständigen Stempelschneider waren veritable Kleinbildhauer, die mit ihren Stempeln beide Seiten des Rohlings gravierten. So entstanden kleinformatige Reliefs mit großer Aussagekraft und hohem ästhetischen Anspruch. Berlin und Regensburg können sich seit dem vergangenen Jahr entsprechender Neu- beziehungsweise Rückerwerbungen erfreuen.
Im Altgriechischen hießen die Stempel für Vorder- und Rückseite einer Münze charaktér und typos, zwei Begriffe, die uns immer noch vertraut sind. Sie meinen nichts anderes als Eigenart, Prägung beziehungsweise Urbild, Vorbild – insofern taugen sie auch als Leitbegriffe dieses Heftes: Mit Lotte Laserstein, der Emigrantin und Schöpferin selbstbewusster Frauen-Bilder, begegnet Ihnen ein starker, tief von seiner Zeit geprägter Charakter. Auf literarischem Feld ist es Peter Handke, der uns als spezieller Typ des modernen Autors entgegentritt, hat er doch sein ganzes literarisches Leben lang Notizen und Aufzeichnungen gesammelt, die nun in einer zweiten Lieferung ans Deutsche Literaturarchiv Marbach gelangten. Ihren besonderen Charakter erhalten sie durch die zahlreichen eingestreuten, kleinformatigen Kritzeleien und Randzeichnungen.
Vorbildhaft im Sinne von „typenbildend“ wirkten auf ihrem jeweiligen Gebiet der Ebenist David Roentgen, der sich auf wandelbare Kleinmöbel spezialisierte, und der Konstrukteur Thomas de Colmar, der sich 1850 ein bestimmtes Verfahren patentieren ließ, das wegweisend für die Produktion von Rechenmaschinen wurde. Sie sehen: Der Bogen unserer Förderungen ist wieder weit gespannt, und viele Museen konnten so ihre Bestände erweitern oder ergänzen. Besondere Erwähnung verdient der Amsterdam Machsor, eine jüdische liturgische Handschrift, die gemeinsam von Kölner und Amsterdamer Einrichtungen erworben werden konnte.
Unser Länderschwerpunkt liegt diesmal auf Rheinland-Pfalz. In Trier bittet das Stadtmuseum im Simeonstift um Ihre Unterstützung bei der Restaurierung eines Gemäldes, das die deutsche Auswanderung im 19. Jahrhundert thematisiert. Vorgestellt wird Ihnen der Unternehmer und Politiker Joseph Benzino, der durch seine Privatsammlung und sein Erbe die heutige Pfalzgalerie Kaiserslautern begründete. Und wie immer wollen wir zum Schluss wissen, wer etwas vor uns zu verbergen hat; diesmal ist es René Zechlin, Direktor des Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen am Rhein, dem wir diese Frage stellen.
Ihr Frank Druffner