Am 20. November 2024 fanden Vertreterinnen und Vertreter der in der Notfallallianz Kultur zusammengeschlossenen Partner im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen zusammen, um sich über das Thema Bergungsorte für Kulturgut im Katastrophenfall zu beraten. Bei dem Treffen wurde auch das von der Kulturstiftung der Länder geförderte „Einsatzhandbuch Kulturgut“ des Verbands der Restauratoren vorgestellt. Es ist die erste umfassende Publikation, die konkrete Einsatztaktiken und Handlungsanleitungen für die Erstversorgung von Kulturgut bereitstellt.
Man müsse „ins Tun kommen“, darüber waren sich Ministerin Ina Brandes und Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, in ihren Begrüßungsreden einig. Ministerin Ina Brandes verwies auch auf die Unwetterkatastrophe im Juli 2021 mit mehr als 180 Toten in Deutschland, die die Dringlichkeit dieses Themas noch mehr ins Bewusstsein gerückt hätte. Prof. Dr. Markus Hilgert leitete das Thema „Kulturgut sichern – aber wo? Zur Unterschutzstellung von Kulturgut im Katastrophenfall“ mit einem Verweis auf die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten ein. Diese Konvention von 1954 sieht als verpflichtende Maßnahme vor, Bergungsräume zu errichten oder bereits vorhandene Räumlichkeiten an die Erfordernisse eines solchen Schutzraumes anzupassen. Gemäß Artikel 2 der Haager Konvention können in begrenzter Anzahl und unter bestimmten Voraussetzungen Bergungsorte zur Sicherung beweglichen Kulturguts bei bewaffneten Konflikten, von Denkmalorten und anderen unbeweglichen Kulturgütern von sehr hoher Bedeutung unter Sonderschutz gestellt werden. Der Barbarastollen in Freiburg im Breisgau gilt als zentraler Bergungsort der Bundesrepublik und unterliegt seit 1978 als einziger Ort in Deutschland diesem Sonderschutz. Ziel des Forums sei es nun, sich über den Stand der Einrichtung von Bergungsorten in den unterschiedlichen Ländern und Regionen, die Zusammenarbeit mit den kulturgutbewahrenden Institutionen sowie über die damit verbundenen Herausforderungen auszutauschen.
Nadine Thiel, Präsidiumsmitglied des Verbands der Restauratoren (VDR) e. V, stellte das „Einsatzhandbuch Kulturgut“ vor. Dabei berichtete sie auch von ihren eigenen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Archivs in Köln. Wichtig sei in jedem Notfall, stets in Einklang mit der Gefahrenabwehr, also z. B. mit den Einsatzkräften der Feuerwehr, zu agieren. Die Idee zu dem Einsatzhandbuch, an dem insgesamt 22 Autorinnen und Autoren beteiligt waren, wurde im Nachgang der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 geboren, als den Verband eine Vielzahl an ganz konkreten Fragen erreichte, wie bestimmte Kulturgüter zu retten seien. Das E-Book richtet sich an alle kulturgutbewahrenden Einrichtungen, aber auch an die Einsatzkräfte der Gefahrenabwehr. Bei der Gestaltung wurde darauf geachtet, dass auch einzelne Seiten als in sich geschlossene Handlungsanleitungen nutzbar sind und z. B. ausgedruckt in einem Notfallcontainer aufgehängt werden können. Sogenannte Notfallcontainer enthalten Equipment, um bewegliche Kulturgüter wie z. B. Handschriften im Katastrophenfall zu reinigen und sicher zu verpacken, damit sie später von Restauratorinnen und Restauratoren weiter behandelt werden können.
Im Anschluss an die Präsentation folgte ein Impulsvortrag von Dr. Jonas Feltes vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zur Haager Konvention. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sei das Thema Kulturgutschutz in bewaffneten Konflikten auch hierzulande relevanter und dringlicher geworden. In seinem Vortrag stellte er u. a. die Maßnahme der Bundessicherungsverfilmung vor, bei der besonders wertvolle Archivalien auf Mikrofilm festgehalten werden, und im Notfall zumindest ihre Inhalte, z. B. von Schriften oder Fotografien, der Nachwelt bewahrt werden können. Diese Mikrofilme werden im zentralen Bergungsort der Bundesrepublik, dem Barbarastollen, abseits von kritischer Infrastruktur eingelagert. Der Angriff auf diesen durch die Haager Konvention geschützen Ort gilt als Kriegsverbrechen. Feltes zeigte auf, dass ein weiterer zentraler Bergungsort für bewegliche Kulturgüter aus fachlicher Sicht wenig sinnvoll erscheint und führte die Vorteile von dezentralen Bergungsorten in den Bundesländern auf.
In der anschließenden Diskussionsrunde ging es u. a. darum, wie kulturgutbewahrende Einrichtungen dazu angehalten werden können, Listen mit besonders wertvollem Kulturgut zu erstellen, sodass im Notfall eine Priorisierung erfolgen kann. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten von ihren eigenen Erfahrungen und es wurde rasch deutlich, dass dieses Thema in den Museen und Archiven mit großen Ängsten belastet ist und Verantwortliche sich schwer tun, zu entscheiden, was im Ernstfall gerettet werden muss und was nicht. Es sei wichtig, für dieses Thema mehr Sensibilität in den Einrichtungen zu schaffen und Ängste abzubauen. Auch wurde in den Gesprächen deutlich, dass es großen Handlungsbedarf in der Zusammenarbeit von Ländern und Kommunen gibt, da hier viele Zuständigkeiten nicht abschließend geklärt sind. Wenn es um die Einrichtung von konkreten Bergungsorten vor Ort geht, sei das Credo, nicht perfektionistisch, sondern in erster Linie pragmatisch zu handeln – manchmal sei es eben eine Turnhalle, die den Zweck erfülle.
Die von der Kulturstiftung der Länder initiierte Notfallallianz Kultur, zu deren Gründungsmitgliedern auch der Verband der Restauratoren gehört, ist ein gesamtgesellschaftliches Bündnis zur Steigerung der Resilienz der Kultur in Krisen und Notfällen. Partner dieser Allianz sind Ministerien und Behörden, Institutionen der Kulturförderung, zivilgesellschaftliche Organisationen, etwa Verbände, Initiativen, Vereine und wissenschaftliche Einrichtungen.