Podcast-Serie

Vorgeschichte der Kulturstiftung der Länder #07

Die Debatte über den Stiftungssitz

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Am 1. April 1988 hat die Kulturstiftung der Länder ihre Tätigkeit aufgenommen. In West-Berlin! Dabei war die Adresse in der Debatte über die Deutsche Nationalstiftung im Bundestag nicht gesetzt. Die CDU/CSU-Opposition hatte früh darauf gedrängt, Berlin als Stiftungssitz festzulegen, die Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt versuchte, mit Verweis auf das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971, eine Provokation der Alliierten und deshalb eine unabgesprochene Festlegung auf einen Stiftungssitz in Berlin zu vermeiden. Die Diskussion – zu der sich übrigens auch US-Präsident Gerald Ford geäußert hat, ist das Thema dieses siebten von 10 Podcasts zur Vorgeschichte der Kulturstiftung der Länder, zur 15-jährigen Debatte im Deutschen Bundestag und: zwischen Bund und Ländern.

Es ist der Radiobericht eines Moskauer Senders, der die Debatte über den Stiftungssitz anstößt. Der „Sowjetsender“ hatte darüber berichtet, dass die Bundesregierung bei Staatsbesuchen aber auch bei der Planung von Bundeseinrichtungen Berlin mittlerweile links liegen lasse. Die Meldung ist im September 1975 Gegenstand einer schriftlichen Frage des CDU-Abgeordneten Fritz Wittmann an die Bundesregierung: „ „Wie beurteilt die Bundesregierung den sowjetischerseits entstandenen Eindruck, faktisch würden die Reisen ausländischer Staatsmänner nach West-Berlin im Rahmen ihrer Besuche in der Bundesrepublik Deutschland eingestellt“ und „In der Stadt lassen sich keine Bundesämter und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland nieder“, und was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um der Sowjetunion deutlich zu machen, daß die Einbeziehung des Landes Berlin in die Besuchsprogramme von Gästen der Bundesregierung sowie die Errichtung von Bundesämtern und Institutionen, wie z. B. einer „Deutschen Nationalstiftung“, zur Entwicklung der Bindungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin gehört, wie sie im Vier-Mächte-Abkommen ausdrücklich bekräftigt worden ist?“

In der schriftlichen Antwort von Karl Moersch, Staatsminister im Auswärtigen Amt vom 25. September 1975 wird erstmals deutlich, dass die Bundesregierung sich nicht auf einen Stiftungssitz einer Deutschen Nationalstiftung in Berlin festlegen will: „Die zitierten Fragmente eines Moskauer Rundfunkkommentators geben journalistische Eindrücke wieder, die in ihrem sachlichen Gehalt bekannte sowjetische berlinpolitische Zielsetzungen widerspiegeln. Die Bundesregierung hat wiederholt sowohl öffentlich als auch in bilateralen Gesprächen mit der Sowjetunion an hoher Stelle klargestellt, daß die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ein unverzichtbares Element ihrer Politik sind und daß sie nicht bereit ist, eine Schmälerung dieser im Viermächte-Abkommen ausdrücklich bestätigten Rechte hinzunehmen. Diese Auffassung wird von den Drei Mächten geteilt. Die Entwicklung in Berlin seit der Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens zeigt hinlänglich, daß die Bundesregierung in Abstimmung mit den Drei Mächten von diesen Rechten auch tatsächlich Gebrauch macht. Die Bundesregierung hält dagegen demonstratives Vorgehen für sachlich nicht geboten.“

Hintergrund der Frage – und auch der Antwort – sind unterschiedliche Auffassungen bei Regierung und Opposition darüber, wie streng das Viermächteabkommen über Berlin vom 3. September 1971 auszulegen sei. In dem Viermächte-Abkommen hatte Moskau die faktische Zugehörigkeit West-Berlins zur Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland akzeptiert und erstmals seit 1945 den ungehinderten Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin garantiert.

Gleichzeitig wurde in dem Abkommen festgestellt, dass die Berliner Westsektoren auch weiterhin nicht von der Bundesrepublik Deutschland regiert werden und dass sie weiterhin kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik Deutschland sind. Bonn hatte daraufhin seine Präsenz in Berlin reduziert. Die Regelung führte bis 1989/1990 regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR insbesondere bei Ansiedlungen von Bundeseinrichtungen in West-Berlin. Während die Regierungskoalition eine solche Auseinandersetzung scheut, wird die CDU/CSU über Jahre versuchen, die Regierungskoalition zu einem Bekenntnis zum Standort Berlin zu drängen.

Aufgrund der anhaltenden Verhandlungen des Bundes mit den Ländern über das Konzept einer Deutschen Nationalstiftung, verzichtet die Opposition zunächst auf eine Rückfrage. Zwischenzeitlich stimmen, im April 1976, die Länder in einem einstimmigen Beschluss für West-Berlin. Es bleibt offen, ob sie dabei die möglichen politischen Verwicklungen nicht bedacht hatten oder bewusst provozieren wollten. Am 5. Mai 1976 stellt der Berliner CDU-Abgeordnete Jürgen Wohlrabe der Bundesregierung die Frage, warum sie in der Frage, die Deutsche Nationalstiftung in Berlin einzurichten, eine zögernde Haltung einnehme.

Dazu Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: „Herr Kollege Wohlrabe, die in der Frage liegende Unterstellung wird zurückgewiesen. Richtig ist vielmehr, daß trotz der erfreulichen Fortschritte bei den Bund-Länder-Verhandlungen und des im Grundsatz positiven Beschlusses der Kultusminister der Länder vom 8. und 9. April 1976 noch wesentliche Sachfragen offen sind. Dies sind vor allem die für Bund und Länder gleichermaßen bedeutsame Finanzierung der Stiftung und die Stimmverteilung im Stiftungsrat.

Weiterer Klärung bedarf auch noch die Umschreibung des Stiftungszweckes im Sinne einer Verdeutlichung des gesamtstaatlichen Rangs der Stiftung. Es ist von Anfang an die Auffassung der Bundesregierung gewesen, dass vor einer Klärung dieser grundsätzlichen Fragen über den Sitz der Stiftung nicht isoliert entschieden werden sollte.“

Vizepräsident von Hassel: „Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.“

Wohlrabe (CDU/CSU): „Herr Staatssekretär, können Sie mitteilen, bis wann ein Entscheid zu erwarten ist?“

Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: „Es liegt nicht in der Hand der Bundesregierung, die noch offenen Sachfragen jetzt abschließend zu klären, sondern vor allem bei den Ministerpräsidenten der Länder.“

Vizepräsident von Hassel: „Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.“

Wohlrabe (CDU/CSU): „Sind Gespräche aufseiten der Bundesregierung mit den dafür interessierenden Stellen, Länder, Alliierte etc., aufgenommen worden?“

Dr. Schmude: „Diese Frage muss ich unterschiedlich beantworten. Die Verhandlungen mit den Ländern werden seit sehr langer Zeit geführt und haben die erfreulichen Fortschritte gebracht, die ich eingangs erwähnt habe. Zu Konsultationen mit den Alliierten bestand noch keine Veranlassung, weil das Sachprogramm der Stiftung ja noch nicht abschließend fertig gestellt ist. Und dessen bedarf es, bevor solche Konsultationen, wenn man sie für zweckmäßig hält, begonnen werden.“

Es folgt eine Kaskade an Fragen – um nicht zu sagen, der immer gleichen Frage –, in denen die Opposition die Regierung geradezu zu einem Bekenntnis zu Berlin zu drängen sucht. Eine Fragestunde, wie sie sich in den folgenden Monaten und Jahren mehrfach wiederholen wird.

Vizepräsident von Hassel: „Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz (Berlin).“

Kunz (Berlin) (CDU/CSU): „Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass auf Grund des Sitzes der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, dass aufgrund der Aufgabe Berlins als Kulturzentrum, dass aufgrund der weiteren Verstärkung von Bindungen zwischen dem Bund und Berlin, Berlin der einzig denkbare Standort einer Nationalstiftung sein kann?“

Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: „Ich kann Ihnen bestätigen, Herr Kollege Kunz, dass Berlin von Anfang an im Gespräch gewesen ist, seit über die Nationalstiftung gesprochen wird. Ich kann Ihnen auch bestätigen, dass die Bundesregierung bei einer Entscheidung, die hier zu treffen sein wird, voll im Rahmen ihrer Verantwortung für Berlin handeln wird. Aber ich meine, es ginge wirklich zu weit, zu sagen, — ich bin auch nicht bereit, Ihnen das zu bestätigen —, dass Berlin der einzig denkbare Standort für diese Stiftung ist. Dafür sind zu viele andere Überlegungen in die bisherige Diskussion mit eingeflossen, die andere Möglichkeiten zumindest erwägenswert erscheinen lassen.“

Vizepräsident von Hassel: „Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller (Berlin).“

Müller (Berlin) (CDU/CSU): „Herr Staatssekretär, gilt heute noch, was der damalige Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 über diesen Gegenstand ausgesagt hat?“

Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: „Das gilt heute noch; denn diese Erwähnung in der Regierungserklärung war ja der Ausgangspunkt aller Bemühungen um die Stiftung, die seither stattgefunden haben.“

Vizepräsident von Hassel: „Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Wohlrabe auf.“

Der Abgeordnete Wohlrabe hatte schriftlich gefragt, ob sich die Bundesregierung dafür einsetzen und alle erforderlichen Vorbereitungen unverzüglich treffen werde, dass die Deutsche Nationalstiftung ihren Sitz in Berlin haben wird?

„Bitte, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.“

Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: „Die Bundesregierung wird entsprechend den mit den Alliierten getroffenen Absprachen erst nach Durchführung der Konsultationen mit den Alliierten endgültig über die Sitzfrage entscheiden und sich dazu äußern. Die Bundesregierung wird auch bei dieser Entscheidung voll im Rahmen ihrer Verantwortung für Berlin handeln.“

Zwischenzeitlich hatten sich offenbar bereits zwei Bundeskanzler – Brandt und Schmidt – und auch Innenminister Genscher in jeweils unterschiedlichen Kontexten für den Stiftungssitz Berlin ausgesprochen. Helmut Schmidt so unterstellt die Zusatzfrage des Abgeordneten was der Parlamentarische Staatssekretär Jürgen Schmude nicht bestätigen möchte.

Vizepräsident von Hassel: „Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.“

Wohlrabe (CDU/CSU): „Herr Staatssekretär, können Sie uns erklären, wie es kommt, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Schütz, vor dem Berliner Abgeordnetenhaus behauptet, der Bundeskanzler habe ihm zugesagt — definitiv zugesagt —, der Sitz dieser Stiftung werde in Berlin sein. Hat der Bundeskanzler dies zugesagt, ja oder nein? Das ist die Frage.“

Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: „Die Bundesregierung hat sich durch ihren Sprecher zu dieser Frage schon eindeutig geäußert, und zwar in dem Sinne, dass hier ein Missverständnis aufgekommen sein muss, daß jedenfalls eine definitive Zusage allenfalls infolge eines Missverständnisses vom Regierenden Bürgermeister als solche verstanden worden sein kann.“

Erst wenn das Konzept steht und ein Einvernehmen mit den Ländern hergestellt ist, wird gemeinsam mit den Alliierten über den Sitz entschieden, das wird die Position der SPD bleiben in den kommenden Jahren. Es folgen weitere fünf Rückfragen von der Opposition zum Stiftungssitz Berlin, von denen der parlamentarische Staatssekretär Schmude sich allerdings nicht beirren lässt.

Es sei nicht angeraten, Namen, Zweck und Sitz der Stiftung in der Öffentlichkeit auszudiskutieren, so der SPD-Abgeordnete Karl Liedtke in der Woche darauf, am 12. Mai 1976. Zumal, so Liedkte, für deren Errichtung in Berlin sich der Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat der Union, Helmut Kohl, gerade erst eine Absage bei einer der Allierten Schutzmächte abgeholt habe, und zwar bei Gerald Ford, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, höchstpersönlich.

Liedtke: „Niemand bezweifelt die Eignung Berlins. Wenn das Gesamtkonzept steht, wird auch die Absprache mit den Alliierten zu erfolgen haben. Meine Damen und Herren, die Welt ist, wie sie ist. Name, Zweck und möglicher Standort dieser Stiftung lassen es angeraten sein, allen Anlass zu nehmen, diese Stiftung erst rundum unter uns selbst auszumachen und sie auf einen Nenner zu bringen. Das gilt für alle Parteien, das gilt auch für alle Berufenen. Ich las die Tage, dass also der Berliner Kulturrat, dem 25 Vereinigungen angehören, wieder mit einem anders gearteten Vorschlag kommt: Stiftungsrat nach Bonn, Kuratorium nach Berlin.

Ich persönlich meine und möchte das hier verdeutlichen: Je mehr wir uns, bevor wir das fertig haben, in differenzierter Weise hier äußern, je mehr reizen wir Unbefugte, mit uns über diese Nationalstiftung zu diskutieren. So halte ich es für unser wohlverstandenes Interesse, in voller Übereinstimmung der Parteien dieses Hauses das fertige Modell demnächst zu präsentieren. Ich halte das für besser für Berlin und ich halte das für besser für die Entwicklung der Stiftung.“

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : „Es ist schon beschädigt, bevor es da ist!“)

Präsident Frau Renger: „Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger (Berlin)?“

Liedtke (SPD) : „Bitte schön!“

Frau Berger (Berlin) (CDU/CSU) : „Herr Kollege, wären Sie so liebenswürdig, dem Hohen Hause die Stellungnahme des Senates von Berlin zur Frage des Sitzes der Stiftung zu erläutern?“

Liedtke (SPD) : „Selbstverständlich. Die Stellungnahme ist Ihnen ebenso gut bekannt wie mir. Der Regierende Bürgermeister von Berlin sieht Berlin selbstverständlich für den geeignetsten Standort an.“

(Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : „Und die Bundesregierung?“

Liedtke: „Der Bundeskanzler hält es für möglich und denkbar, nicht nur Berlin, sondern auch andere Städte in Überlegungen über den Stiftungsstandort mit einzubeziehen.

Ich möchte diesen Punkt damit abschließen. Ich las gestern oder vorgestern im Kommentar des Deutschen Bundestages „Übersicht“, daß Herr Kohl Präsident Ford in Washington gefragt hat: Was halten Sie von einem Standort Berlin? Ford hat darauf geantwortet — wörtlich —: „Im Augenblick nichts.“ Ich erinnere mich an Herrn Abelein, der sich gestern mit Formulierungen an die Aussage herantastete, daß der Kanzler eigentlich schon, wenn auch nicht im Bewußtsein, in der Praxis auf der Linie Moskaus fahre. Meine Damen und Herren, das bringt uns allen gemeinsam im Augenblick nichts.“

Es scheint, als sei die Abstimmung – zumindest was die Vereinigten Staaten betrifft – bereits erfolgt.  Helmut Kohl allerdings kann sich zu dem „Nein“ von Präsident Ford NOCH nicht im Parlament äußern: Erst in fünf Monaten wird der rheinland-pfälzische Ministerpräsident in den Bundestag einziehen, nach der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976.

Und nach der Wahl nimmt die Diskussion um die Standortfrage erneut Fahrt auf. In Berlin sinkt die Bevölkerungszahl und – anders als in Westdeutschland – auch die Zahl der wirtschaftlichen Investitionen. Wie dem zu begegnen sei, da gehen die Standpunkte von Regierung und Opposition auseinander.

Die Einhaltung des Viermächte-Abkommens jedenfalls darf nicht zum Nachteil der Berliner sein, so der Berliner CDU-Abgeordnete Peter Lorenz am 19. Januar 1977:

„Ich kann es den Koalitionsparteien nicht ersparen, hier ein besonders aktuelles Beispiel für die gefährliche Wirksamkeit der östlichen Politik der Einschüchterung und der Drohung zu erwähnen, nämlich das bisher unerfüllte Versprechen, eine Deutsche Nationalstiftung mit dem Sitz in Berlin zu gründen. Seit mehr als vier Jahren wird dieses Projekt gedreht und gewendet, mit Worten zugedeckt und in Unaufrichtigkeit erstickt, meine Damen und Herren.“

(Zuruf von der CDU/CSU: „Das ist ein Jammer!“ — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

„In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler dazu Ausführungen gemacht, aus denen die deutsche Öffentlichkeit fast einhellig den Schluss gezogen hat, dass es nunmehr mit einem Berlin-Sitz dieser Deutschen Nationalstiftung endgültig vorbei sei. Wir müssen befürchten, dass hier die Angst vor den Reaktionen des Ostens größer ist als die Entschlossenheit dieser Bundesregierung, die Möglichkeiten des Viermächteabkommens voll auszuschöpfen.“

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Eine solche Haltung — oder lassen Sie mich lieber sagen: ein solcher Haltungsschaden — ist geeignet, den Feinden Berlins Gefährliches zu signalisieren, dass nämlich Drohungen und Restriktionen gegen Berlin erfolgreich sein könnten, wenn sie nur nachhaltig genug sind. Je deutlicher der Osten diesen Eindruck gewinnt, umso mehr wird er natürlich seine Pressionen gegen Berlin und sein Bemühen um Aushöhlung des Viermächteabkommens fortsetzen.

Es geht uns in Berlin nicht, wie der Herr Bundeskanzler einmal gesagt hat, um einige Messingschilder mehr, sondern es geht uns darum, dass die deutsche Bundesregierung z. B. in der Frage der Nationalstiftung — aber nicht nur in dieser Frage — Haltung bewahrt, daß sie ihre und unsere Rechte in Berlin unbeirrt wahrnimmt, und wenn es sein muss und nicht verhindert werden kann auch einmal im Konfliktfall.

Die Formel, die heute hier wieder genannt worden ist, dass das Abkommen strikt eingehalten und voll angewendet werden muß, genügt doch offensichtlich nicht mehr; denn sie hat den Osten, Herr Kollege Hoppe, in der Vergangenheit nicht daran gehindert, mit seiner Politik der Isolierung Berlins fortzufahren, die Stadt zu schwächen und ihre Bevölkerung zu entmutigen.“

(Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

„Deshalb muß das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik mehr, als es in der Vergangenheit der Fall war, von der Politik bestimmt sein, die unter dem Motto steht: Es gibt keine Entspannung und keine Verständigung an Berlin und den Berlinern vorbei.“

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Wenn wir diese Politik erfolgreich durchsetzen wollen, bedarf es gut koordinierter, entschlossener Anstrengungen der Alliierten, der Bundesregierung, der Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Verbände und des Senats von Berlin. Die alliierten Schutzmächte tragen die Verantwortung für die Sicherheit Berlins. Wir danken ihnen dafür. Die Sicherheit ist aber nur ein wichtiger Faktor bei der künftigen Entwicklung der Stadt. Wenn wir nicht wollen, dass es zu guter Letzt um die Sicherung eines absterbenden Gemeinwesens geht, gehört die Stärkung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens sowie der gesamten Lebensfähigkeit der Stadt in dem Rahmen, den uns das Viermächteabkommen lässt, ebenso dazu. Wer sich für die Lebensfähigkeit zuständig fühlt, darf nicht zaghaft sein, sondern muss aus den Verträgen und aus der Situation das herausholen, was darin ist und was die internationale Lage hergibt.“

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Meine Damen und Herren, natürlich können wir dabei auf die Mitwirkung der Alliierten nicht verzichten, und wir wollen es auch gar nicht. Der Antrieb für eine solche Politik der Existenzsicherung des freien Berlin muß doch aber immer durch uns, durch die Deutschen gegeben werden.“

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Keine noch so befreundete ausländische Macht wird in ihrer Politik deutscher sein als die Deutschen. Deshalb geht das, was wir hier machen bzw. nicht machen, von uns aus.“

Demgegenüber hält Bundeskanzler Helmut Schmidt es, wie er sagt, für „wenig hilfreich, jetzt weitere Streitfälle in die Welt zu setzen“. In seiner Regierungserklärung vom 12. Mai 1977 sagt er: „Gleichwohl möchte ich die leitenden Gedanken hier noch einmal hervorheben: Strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächte-Abkommens sind wesentlich für die Vertiefung der Entspannung, für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und für die Entwicklung der Zusammenarbeit in ganz Europa!“

Und so geht es hin und her. Die Antwort der Union folgt – direkt im Anschluss an die Regierungserklärung – von einem Abgeordneten, der elf Jahre später erster Stiftungsratsvorsitzender der Kulturstiftung der Länder werden sollte: Der CSU-Abgeordnete Franz Josef Strauß. „Wenn man immer wieder feststellt, dass die Lebensfähigkeit Berlins gestärkt werden muss, wenn man nach privaten Investitionen ruft — Sie wissen ja, dass die Investitionen in Berlin im Jahre 1976 gegenüber früheren Jahren erheblich zurückgegangen sind —, dann sollte die Bundesregierung hier mit gutem Beispiel vorangehen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Es ist nicht Feigheit, und es nicht eine Ausrede, wenn namhafte und zahlungsfähige Vertreter der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn schon die Bundesregierung nicht den Mut hat, den Sitz der Nationalstiftung in Berlin festzulegen, wie kann man dann von uns verlangen, daß wir von Jahr zu Jahr größere Investitionen in Berlin tätigen sollen?“

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht nur die wirtschaftliche Lage Berlins sei Folge der Politik einer vermeintlich „eingeschüchterten“ Bundesregierung. Auch die regelmäßigen Proteste der DDR und der Sowjetunion wegen vermeintlicher Verstöße gegen das Viermächteabkommen ließe sich darauf zurückführen, meint zwei Wochen später am 26. Mai 1977 der CDU-Abgeordnete Manfred Abelein.

„Die Lage Berlins ist, nüchtern beurteilt, seit Beginn dieser Deutschlandpolitik nicht besser geworden. Für Berlin wurden nicht mehr Sicherheit und auch nicht mehr Entspannung erreicht. Es gibt nach wie vor die alten Meinungsunterschiede über den Status Berlins. Die Sowjetunion und die DDR haben nicht aufgehört, die Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland zu untergraben, das Viermächteabkommen auszuhöhlen.

Leider hat die Bundesregierung hier ein erhebliches Verschulden mitzutragen. Ich erinnere nur an die Gegenreaktion der Bundesregierung auf die Proteste der DDR und der UdSSR anlässlich der Errichtung des Umweltbundesamtes in Berlin, als der Bundeskanzler damals sagte, man wolle in Zukunft nicht noch weitere Streitfälle in die Welt setzen. Das heißt, er selbst — diese Bundesregierung — sieht die Ausfüllung des Viermächteabkommens als eine Provokation für die andere Seite an. Dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Druck von der anderen Seite immer härter wird.

In der Zwischenzeit ist die Bundesregierung so weit eingeschüchtert, dass sie es nicht einmal mehr wagt, eine harmlose Kulturinstitution wie die Deutsche Nationalstiftung in Berlin zu platzieren. Dass sie sich dabei hinter die angeblichen Einwände der Alliierten verkriecht, ist nicht neu. Aber man kann fairerweise von den Alliierten nicht verlangen, dass sie die deutschen Interessen deutscher vertritt als diese Bundesregierung.“

Andererseits habe nicht nur Präsident Gerald Ford bereits Ablehnung signalisiert. Auch in Bonn habe ein Botschafter einer nicht näher bezeichneten alliierten Schutzmacht vor Vertretern des Bundestages erklärt, dass es keine weitere Ansiedlung einer Bundeseinrichtung in Berlin geben dürfe. Das erklärt der SPD-Abgeordnete Jürgen Schmude, der seit der Bundestagswahl im Oktober 1976 nicht mehr Parlamentarischer Staatssekretär ist.

„Wir hatten hier vor einiger Zeit — ich glaube, es war im Februar oder im März — eine Debatte, in der etwa um diese Tageszeit der Kollege Mattick daran erinnerte, welche Diskussionen aus Anlass der Verlegung des Umweltbundesamtes mit einem westalliierten Botschafter hier in Bonn geführt worden sind. Er hat deutlich gemacht, dass von jener Seite eine solche Sitzverlegung als Belastung angesehen wurde, die sich nicht wiederholen dürfe. Darauf gab es aus den Reihen der Opposition nur die indignierte Bemerkung, dies müsse man hier ja nun nicht gerade ausplaudern; mit anderen Worten, Sie wußten sehr wohl, wie unsere westalliierten Verbündeten darüber denken.“

Und wo schon einmal aus einem Hintergrundgespräch zitiert wird, fühlt sich auch der Berliner CDU-Abgeordnete Johann Baptist Gradl bemüßigt, die Situation in ein anderes Licht zu rücken:

Vizepräsident Frau Funcke: „Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gradl?“

Dr. Schmude (SPD): „Bitte, Herr Kollege Gradl.“

Dr. Gradl (CDU/CSU) : „Herr Kollege Schmude, darf ich Sie, da ich bei diesem Gespräch mit diesem Vertreter einer westlichen Macht dabei war, vielleicht bitten, folgendes zur Kenntnis zu nehmen.

Erstens. Der Vertreter der westlichen Macht hat seine persönliche Meinung gesagt; er hat das ausdrücklich betont.

Zweitens. Er hat diese Meinung in der Tat auf die Zukunft bezogen.

Drittens. Er hat sofort von allen Deutschen, die anwesend waren, starken Widerspruch gefunden.

Viertens. Er hat daraufhin noch einmal — und nun sehr viel betonter  — erklärt, es sei nur seine persönliche Meinung gewesen.

Wenn der Herr Kollege Mattick es so dargelegt hätte, wäre dieser Irrtum in der Deutung wahrscheinlich nicht entstanden.“

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : „Hört! Hört!“)

Und schließlich – es ist noch immer die Aussprache infolge der Regierungserklärung von Helmut Schmidt – kommt der SPD-Abgeordnete Horst Ehmke wieder auf die USA-Reise von Helmut Kohl zu sprechen: Hat nicht der US-Präsident bereits sein Veto eingelegt?

“Ich entsinne mich noch an die Zeit vor dem Wahlkampf 1976. Da machte Herr Kohl seine Rundreise, um den „Duft der großen weiten Welt“ mit in den Wahlkampf einzubringen. Da ist er auch bei Präsident Ford gewesen. Ich empfehle Ihnen, einmal nachzulesen, was Herr Kollege Kohl zur Frage der Nationalstiftung und ihrem Sitz in Berlin gesagt hat, als er bei Ford war. Das klang ganz anders als das, was er heute gesagt hat. Ich finde das nicht gut. Nach meiner Meinung sollten wir hier das sagen, was wir auch draußen sagen, damit kein Widerspruch entsteht.“

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine unrichtige Behauptung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Helmut Kohl, mittlerweile Abgeordneter des Deutschen Bundestages seit der Wahl im Oktober 1976, hatte die Ausführungen des Abgeordneten Schmude zu den schwierigen Verhandlungen mit den Ländern durch zwei Zwischenfragen unterbrochen.

Dr. Kohl (CDU/CSU): „Verehrter Herr Kollege, wären Sie bereit, mir im Sinne Ihrer Ausführungen für die sozialdemokratische Fraktion die Zusage zu geben, dann, wenn diese föderalen Probleme bereinigt werden, mit uns für den Sitz Berlin zu stimmen?“

Dass dieses Anliegen – der Stiftungssitz Berlin –  in einem Widerspruch stehe zu einem vermeintlichen Veto von Gerald Ford, will Helmut Kohl nicht gelten lassen.

Vizepräsident Frau Funcke: „Bitte schön, Herr Lattmann.“

Lattmann (SPD) : „Herr Kollege Kohl, können Sie sich erinnern und können Sie hier vor diesem Hause bestätigen, dass Sie unmittelbar nach Ihrer Rückkehr von jener Reise durch die Vereinigten Staaten und dem Gespräch mit Präsident Ford in einem Fernsehinterview von einem Journalisten gefragt wurden, wie es denn mit dem Gespräch über die Nationalstiftung sei, und dass Sie sich — ich erinnere mich genau daran, denn es fiel mir als bemerkenswert fair auf — in der Situation ganz anders ausgesprochen haben als heute, indem Sie nämlich sinngemäß gesagt haben, es werde mit Berlin wohl ziemlich viele Schwierigkeiten geben? Sie haben in dieser Situation des Fernsehinterviews kein eindeutiges Votum für Berlin abgegeben.“

Dr. Kohl (CDU/CSU) : „Verehrter Herr Kollege, ich kann beim besten Willen in Ihrer Frage keinen Gegensatz zu dem eben hier Vorgetragenen erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe, wie das ganz selbstverständlich ist — das ist wirklich selbstverständliche Fairness gegenüber einem Gesprächspartner, der gar nicht hier ist —, über dieses Gespräch nichts in die Öffentlichkeit getragen. Nur, der Kollege Ehmke hat hier eine Behauptung aufgestellt. Er hat den Versuch unternommen — ich sage es noch einmal —, eine neue Legende in dieser Frage zu begründen, und dieser Legende bin ich entgegengetreten. Ich habe in Amerika, ich habe in London und Paris mit keiner anderen Zunge geredet als hier von diesem Platz im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe gerade vor drei, vier Minuten in meinen Schlussausführungen gesagt, dass für diese Haltung draußen im Ausland — auch im befreundeten Ausland — nicht überall Verständnis zu finden ist. Aber ich habe am Beispiel einer Teilung Washingtons und der Vereinigten Staaten deutlich gemacht, dass unsere Freunde im Ausland uns besser verstehen, wenn man sehr plastisch hervorhebt, um was es uns wirklich geht: überhaupt nicht um kalten Krieg, überhaupt nicht um Gegnerschaft zur Entspannungspolitik, aber um den Verfassungsauftrag, die Einheit der deutschen Nation zu bewahren. Dazu sind wir alle auch nach dem Grundgesetz verpflichtet.§

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Um das noch nachzutragen: Zehn Jahre wird es noch dauern, bis die Alliierten im Jahr 1987 einer Ansiedlung der Kulturstiftung der Länder in West-Berlin zustimmen.

Und noch eine Ergänzung: Es ist die gleiche Debatte, in der Helmut Kohl gerade noch zu hören war, an deren Ende Bundesinnenminister Werner Maihofer indigniert über die Verhandlungen mit den Ländern berichtet, dass nämlich die Länder neuerdings, „entgegen einem früheren Gesprächsstand“ – eine Mehrheit im Stiftungsrat fordern würden. 1981 legt Baden-Württemberg sogar ein Stiftungskonzept vor, das eine Beteiligung des Bundes überhaupt nicht mehr vorsieht. Darum soll es im übernächsten, also dem neunten Podcast dieser Reihe gehen.

In der nächsten Folge geht es um eine Herausforderung, die heute als Stiftungszweck in der Stiftungssatzung der Kulturstiftung der Länder steht, nämlich: die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrungswürdiger Kulturgüter, vor allem, wenn deren Abwanderung ins Ausland verhindert werden soll oder: wenn sie aus dem Ausland zurückerworben werden sollen. 1978 versteigert das Londoner Auktionshaus die Sammlung Robert von Hirsch, eine der wertvollsten privaten Kunstsammlungen der Welt. 1983 steht in London eine der prachtvollsten Handschriften des europäischen Mittelalters zur Versteigerung: Das Evangeliar Heinrichs des Löwen. In beiden Fällen steigert Deutschland mit; für den Bund ist es eine Zwischenlösung, um angesichts der langen Auseinandersetzungen über eine Deutsche Nationalstiftung schon mal mit der Kulturförderung beginnen zu können.

Den Podcast finden Sie – so wie alle weitere Folgen dieser Serie – auf der Webseite der Kulturstiftung der Länder unter kulturstiftung.de/vorgeschichte

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