Ein erstes Konzept für die Deutsche Nationalstiftung
Das Jahr 1973 geht in die parlamentarische Sommerpause, in die Willy Brandt zwei Erkenntnisse mitnimmt: Erstens: Die Regierungsparteien und die Opposition stimmen in dem Wunsch überein, eine Nationalstiftung zu gründen. Zweitens: Regierungsparteien und Opposition haben den Kanzler vor der Sommerpause aufgefordert, „endlich“, „beschleunigt“ ein Konzept vorzulegen. Im Bundestag wird es fast ein Jahr lang relativ still um die Pläne, an denen nun zwischen Bund und Ländern verhandelt wird.
Schon im August 1973 wird eine Arbeitsgruppe auf Abteilungsleiterebene aus Vertretern des federführenden Bundesinnenministeriums, des Bundeskanzleramts und des Bundesfinanzministeriums eingesetzt. Das Arbeitsgremium erörtert u.a. die Finanzierung einer Deutschen Nationalstiftung und ihre Verbindung zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
In der Kabinettssitzung vom 12. September erhält Bundesinnenminister Genscher den Arbeitsauftrag, innerhalb eines Jahres ein Konzept zu erarbeiten. Aus dem Protokoll der Sitzung:
„Der Bundeskanzler bittet den Bundesminister des Innern, dem Kabinett bis zum September 1974 eine Konzeption über die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung vorzulegen. Dabei sollen auch die Möglichkeiten der Gründung der Nationalstiftung ohne Inanspruchnahme zusätzlicher Haushaltsmittel durch Einbeziehung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie durch private Stiftungen geprüft werden.“
Zweck der Stiftung soll die Förderung von Maßnahmen und Institutionen von nationaler kultureller Bedeutung sowie der Erwerb alter und zeitgenössischer Kunst und bedeutender Sammlungen und Nachlässe sein. Schon nach sieben Monaten erhalten – mit Schreiben des Bundesinnenministers vom 22. April 1974 – die Kultusminister und die Staatskanzleien der Länder einen Diskussionsentwurf mit den Vorstellungen des Bundes zu Konzeption und Errichtungsgesetz für eine Deutsche Nationalstiftung. In der kurz darauf stattfindenden ersten Besprechung mit den Ländern am 7. Mai 1974 weisen die Länder mit Nachdruck darauf hin, „„dass sie das Vorhaben einer Deutschen Nationalstiftung stark berühre und daher zunächst ausreichend Zeit und Gelegenheit für eine interne Meinungsbildung innerhalb der einzelnen Länder und für eine Abstimmung untereinander gegeben sein müsse.“
Es ist eine der letzten Amtshandlungen von Hans-Dietrich Genscher als Innenminister. Nach dem Rücktritt von Willy Brandt infolge der Guillaume-Affäre am 6. Mai 1974, wird Genscher am 16. Mai 1974 als Außenminister und Vizekanzler in das Kabinett von Helmut Schmidt berufen. Im Bundesinnenministerium übernimmt Werner Maihofer. In den Folgemonaten werden mit Vertreterinnen und Vertretern zahlreicher kultureller Institutionen und Organisationen Gespräche geführt. Dazu wird Maihofer später erklären: „Bei diesen Gesprächen hat sich gezeigt, daß zwar im einzelnen zwischen den Beteiligten unterschiedliche Auffassungen bestehen, daß jedoch im Grundsatz das Vorhaben allgemein unterstützt und durchaus positiv beurteilt wird.“
Anfang April 1975 bittet Bundesinnenminister Maihofer den Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder darum, die Frage einer Deutschen Nationalstiftung in die Tagesordnung einer der nächsten Plenarsitzungen der Kultusministerkonferenzen einzubeziehen. Eine von den Staatskanzleien der Länder eingesetzte Arbeitsgruppe bemüht sich um eine gemeinsame Stellungnahme; allerdings ohne Erfolg. Bei einem weiteren Gespräch zwischen Bund und Ländern im April 1975 erklären die Länder, dass sie sich noch nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen konnten.
Über all´ diese Aktivitäten möchte im Bundestag die Opposition unterrichtet werden. Mitte März 1975 fragt die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag in einer kleinen Anfrage die Bundesregierung, wie denn nun der Stand sei:
„Seit der Regierungserklärung vom 24. Januar 1973, in der der damalige Bundeskanzler Brandt erklärte, daß sich „viele Träume erfüllen würden“, wenn „eines Tages öffentliche und private Anstrengungen zur Förderung der Künste in eine Deutsche Nationalstiftung münden könnten“, sind mehr als zwei Jahre vergangen, ohne daß sich bisher eine Konkretisierung des angekündigten Vorhabens abzeichnet. Die Bundesregierung hat auch den Bundesländern und Fraktionen des Deutschen Bundestages ein Diskussionspapier mit ihren Vorschlägen für die Konzeption einer Deutschen Nationalstiftung zugeleitet. Diese Vorschläge erwecken erhebliche Zweifel sowohl an der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grundlagen wie an einer angemessenen Aufgabenstellung und finanziellen Ausstattung.“
In jüngster Zeit – so heißt es weiter in der Anfrage – sei in Presseberichten und durch aktuelle Beiträge des Bundesministers des Innern in der Öffentlichkeit deutlich geworden, wie groß das Interesse an dem Projekt der Deutschen Nationalstiftung sei. Da die Aussagen des Innenministers allerdings „sehr unpräzise“ gewesen seien, wünscht die CDU/CSU-Fraktion Auskunft über den Stand der Pläne der Bundesregierung in konzeptioneller, verfassungsrechtlicher und finanzieller Hinsicht.
Mit Schreiben vom 15. Mai 1975 antwortet Bundesinnenminister Werner Maihofer auf die Anfrage. Es ist der erste Entwurf der Bundesregierung für eine auf nationaler Ebene tätigen Stiftung, der von einer „engen Kooperation“ dieser Stiftung mit „Ländern und Gemeinden als den Hauptträgern staatlicher kultureller Aktivitäten“ ausgeht. Aufgabe der Stiftung sei „die Förderung kultureller Einrichtungen und Maßnahmen sein, die für den bundesstaatlichen Gesamtverband besonders bedeutsam sind und in denen der kulturelle Rang der Nation zum Ausdruck kommt“.
Wir halten fest: zweieinhalb Jahre nachdem Willy Brandt in seiner Regierungserklärung erstmalig die Idee einer Deutschen Nationalstiftung aufgeworfen hat, liegt ein Konzept der Bundesregierung vor. Es ist so etwas wie die „Urfassung“ der Stiftungssatzung der Kulturstiftung der Länder. Aber darum geht es im nächsten Podcast. Alle Podcasts dieser Serie finden Sie auf der Seite Die Vorgeschichte der Kulturstiftung der Länder