Die Debatte im Bundestag
Am 7. Juni 1973 hat Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher erstmals – in der schriftlichen Beantwortung einer kleinen Anfrage der CDU/CSU-Opposition – einen Stiftungszweck skizziert. Zehn Tage darauf debattiert der Bundestag erstmals über den Haushalt des Jahres 1973. Die Debatte ist beispielhaft für eine Vielzahl an Sitzungen, in denen das Thema berührt oder diskutiert wird. Dass die Bundesregierung in diesen Haushalt keine Gelder für eine zu gründende Nationalstiftung eingestellt hat, bedauert der CSU-Abgeordnete Erich Riedl. In seiner Rede spricht Riedl schon sehr früh viele der neuralgischen Punkte an, die über viele Jahre die Diskussion prägen werden: Die Frage der Zuständigkeiten für Kulturpolitik zwischen Bund und Ländern, die Frage der anteiligen Finanzierung, die Forderung nach einer Einbeziehung und Aktivierung privater Förderer und schließlich: das immer und immer wieder vorgetragene Bedauern, dass man nicht längst viel weiter ist. Was der Abgeordnete Riedl zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Der Weg bis zur Gründung einer Kulturstiftung der Länder wird noch 15 Jahre dauern.
Erich Riedl: Mit der in der Regierungserklärung angekündigten und von allen drei Fraktionen dieses Hauses erwünschten Deutschen Nationalstiftung soll in unserem Staat dem Bereich der Kultur und Kulturpflege endlich der Rang eingeräumt werden, der in der bisherigen Entwicklung nicht richtig gesehen und akzentuiert war. Der Bund muss das Seine im Rahmen seiner Zuständigkeit beitragen, die Länder das Ihre im Rahmen der ihnen vom Grundgesetz eingeräumten Kompetenzen.
Die Nationalstiftung darf nun aber keineswegs als Instrument zur Finanzierungsverlagerung — etwa auf den Bund — gesehen werden. Sie muss vielmehr den Impuls geben, dass beide Träger der Staatsaufgaben ihre Zuständigkeit weiter aktivieren. Der Nationalstiftung muss in diesem gemeinsamen Bemühen integrierende Bedeutung zukommen. In überregionalen Bereichen der Kultur und solchen, die das Staatsganze repräsentieren, müssen von ihr neue Impulse ausgehen, die von allen Trägern des staatlichen und nichtstaatlichen Bereiches getragen werden, denen Verantwortung im Kulturbereich nach unserer gesellschaftlichen Ordnung zukommt.
Vermehrten Anstrengungen des Staates müssen solche des privaten Mäzenatentums folgen. Unser Kulturleben setzt große Erwartungen in diese Einrichtung. Das Parlament wird gewiss die Bundesregierung unterstützen, diese Erwartungen im Rahmen des Möglichen zu erfüllen. Das Parlament erwartet seinerseits von der Bundesregierung aber endlich Vorschläge, wenn sie ihre zurzeit laufenden Überlegungen zur Nationalstiftung abgeschlossen hat.
Leider hat die Bundesregierung die Chance nicht wahrgenommen, durch einen ersten Haushaltsansatz — und sei es auch nur ein Leertitel — sowie eine Ergänzung der mittelfristigen Finanzplanung die Diskussion darüber im Haushaltsausschuß in Gang zu setzen.“
Die Kritik, dass die Bundesregierung nicht längst weiter ist mit einem Konzept einer Kulturstiftung teilen auch Abgeordnete der Regierungsparteien. Der SPD-Abgeordnete Rudi Walther greift die Mahnung auf, dass es zu keiner Finanzierungsverlagerung von den Ländern in Richtung Bund kommen darf; so wie bei der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an der sich noch immer nur vier Länder beteiligen.
Rudi Walther: „Einen anderen Problemkreis, zu dem der Kollege Riedl längere Ausführungen gemacht hat, will ich nur kurz streifen. Das Bundesinnenministerium nimmt im Rahmen der Bundesregierung zu einem großen Teil die gesamtstaatliche Verantwortung für die Förderung von Kunst und Kultur wahr. Dies kann aber nach der grundgesetzlichen Ordnung unseres Staates nur zu einem geringeren Teil Aufgabe des Bundes sein. Gleichwohl steigen auch hier die Ausgabenansätze gegenüber dem Vorjahr um rund 10 Prozent. Ein wesentlicher Teil der auf über 100 Millionen DM angesetzten Betrage entfällt, wie hier dargelegt wurde, auf die Stiftung ,,Preußischer Kulturbesitz“. … mit über 31 Millionen DM. Aus der Weigerung der Länder, die Ausgabenzuwachse für die Finanzierung dieser Stiftung mitzutragen, resultiert eine akute Finanzkrise. Ich unterstütze hier den Appell des Haushaltsausschusses zu kooperativer Zusammenarbeit. Die Länder, meine ich, können aus ihrer Verpflichtung nicht entlassen werden.
Dieses bedeutende Zeichen deutscher Kultur darf nach meiner Überzeugung nicht durch mangelnde Bereitwilligkeit der Länder Not leiden.
In diesem Zusammenhang, wenn auch nicht als Vorgriff auf die zukünftige Konzeption, sollte die in der Regierungserklärung angesprochene Deutsche Nationalstiftung gesehen werden. Sie kann sicherlich den Rahmen für ein umfassendes gesamtstaatliches Konzept der Kunst- und Kulturpflege abgeben, wobei ich besonderen Wert darauf lege, das insbesondere auch die Pflege des ostdeutschen kulturellen Erbes den ihr gebührenden Rang einnehmen kann.
(Abg. Dr. Althammer: Hort! Hort!)
Meine Damen und Herren, ich unterstütze es, daß die Nationalstiftung nicht als Instrument einseitiger Finanzierungsverlagerung benutzt werden darf. Kunst und Kultur sind ohne das Engagement der Bürger zum Scheitern verurteilt. Ich mochte deshalb die Regierung ganz herzlich bitten, die Arbeiten zur Erstellung eines Konzepts für die Nationalstiftung beschleunigt voranzutreiben und die Ergebnisse baldmöglichst diesem Hohen Hause vorzulegen.
Die Debatte ist EIN Beispiel für die Wortmeldungen in der ersten Hälfte des Jahres 1973 im Deutschen Bundestag zur Deutschen Nationalstiftung. Es wird nicht die letzte vor der parlamentarischen Sommerpause 1973 bleiben. Was bislang tatsächlich fehlt, ist eine Erklärung, was die Bundesregierung im Detail will. Dafür bedarf es natürlich eines Konzepts. Und was auch fehlt: die Einbeziehung der Länder in die Diskussion. Darum geht es in dem nächsten Podcast.
Alle Podcasts dieser Serie finden Sie auf der Seite Die Vorgeschichte der Kulturstiftung der Länder