Viel Theater in Meiningen
Als am 17. Dezember 1831 in Meiningen das erste Hoftheater mit viel barock anmutendem Gepränge und der Oper „Fra Diavolo“ von Daniel-François-Esprit Auber feierlich eröffnet wurde, war dies – nach der Geburt des Erbprinzen Georg 1826 – der bedeutendste Tag für das Herzogshaus Sachsen-Meiningen und die Bürger der Stadt. Mit dem neuen Haus war nicht nur eine Stätte für höfische Repräsentationsbedürfnisse entstanden, vielmehr entwickelte es sich schnell zu einem Ort kultureller Selbstbesinnung. Bis die deutsche Theateröffentlichkeit von der Neugründung entschieden Notiz nahm, mussten freilich noch gut drei Jahrzehnte vergehen.
Herzog Georg II. war es, 1866 seinem Vater Bernhard II. als regierender Herzog nachfolgend, der die Phase der gastierenden Theatergesellschaften endgültig beendete und dem Hoftheater erstmals eine künstlerische Programmatik gab: In „die Reihe der Shakespeare-Bühnen“ wolle man eintreten und „mit den besten Bühnen in der Bereicherung des deutschen Shakespeare-Repertoires“ wetteifern.
Den Worten folgten Taten: Neben einer Reihe junger talentierter Darsteller wurde der damals bekannteste Shakespeare-Übersetzer Friedrich von Bodenstedt 1867 als Intendant verpflichtet. Dessen vornehmste Aufgabe bestand darin, großes Shakespeare-Theater auf die Bühne zu bringen. In den zwei Jahren seiner Intendanz setzte Bodenstedt eine Shakespeare-Rezeption in Gang, die auf das Gesamtwerk zielte.
Bereits die ersten, nicht immer zufriedenstellenden Inszenierungen machten deutlich, auf welche Weise Georg II. in die künstlerischen Prozesse an seinem Theater einzugreifen gedachte. Auf die Rolle eines Mäzens wollte und konnte der umfassend gebildete und vielfältig talentierte Fürst sein Engagement nicht reduzieren. So ist er als „der erste eigentliche Regisseur“ in die europäische Theatergeschichte eingegangen, der es vermochte, alle an einer Inszenierung beteiligten Künste zu einem einheitlichen Gesamtausdruck zusammenzuführen. Als Theaterchef, Regisseur, Dramaturg, Bühnen- und Kostümbildner hat er gearbeitet – natürlich ohne jemals offiziell in diesen Funktionen aufgetreten zu sein.
Georg II. war ein Augenmensch. Sein Zugang zu den Stücken vollzog sich über die visuelle Antizipation und bildliche Darstellung von Vorgängen, Situationen, Figuren und Raumdispositionen. Er entwarf kein Wort-, sondern modellierte ein Bildkonzept, das sich an den Werken der Historienmalerei sowie an der Florentiner Schule der Renaissancemalerei orientierte. Das Resultat war ein Illusionstheater, das mit den Mitteln einer realistischen Ausstattung sich der historischen „Wahrheit“ zu bemächtigen versuchte. Die durch eine intensive Probenarbeit nach und nach verfeinerte Inszenierungsmethode ließ sich selbstverständlich auch auf andere Autoren übertragen, so auf Schiller, Kleist, Molière und Lessing.
Konsequent und zielstrebig wurde in Meiningen an den Inszenierungen gearbeitet. Und das filigrane Ausfeilen einzelner Szenen, die farbliche und räumlich-perspektivische Abstimmung einzelner Bilder, die detailgenaue Ausformung einzelner Rollen sowie der Ensemblewirkung konnten auf Dauer nicht unbemerkt bleiben. Der Feuilletonchef der Berliner „Nationalzeitung“, Karl Frenzel, sorgte schließlich für eine überregionale Wahrnehmung der Meininger Kunstanstrengungen. Frenzel sah zwei Shakespeare-Aufführungen, bescheinigte „Mustergültigkeit“ und „Lebenswahrheit“ und erklärte das Meininger Hoftheater bereit für ein größeres und verständigeres Publikum.
Die Idee der Gastspielreisen war geboren. Beginnen sollten sie in Berlin. Dort, im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, trat das Herzoglich Sachsen-Meiningensche Hoftheater am 1. Mai 1874 mit Shakespeares „Julius Cäsar“ erstmals auf. Der sensationelle Erfolg der „Meininger“, wie das Ensemble fortan ehrenvoll tituliert wurde, ebnete den Weg zu weiteren 80 Gastspielreisen in 38 Städte Deutschlands und Europas, darunter so gewagte und schwierige wie die nach Wien 1875, 1879 und 1883, nach London 1881, nach Brüssel 1888, nach Kopenhagen und Stockholm 1889 oder nach Moskau und St. Petersburg in den Jahren 1885 und 1890. Mit 41 Stücken im vorwiegend klassischen Repertoire wurden 2.591 Vorstellungen gespielt. Geschätzte zwei Millionen Zuschauer haben den „Meiningern“ ihre Aufmerksamkeit geschenkt.
275 Bühnendekorationen – Prospekte, Kulissenbögen, Panoramawände, Setz- und Hängestücke – begründen den kunsthistorischen Wert der Meininger Sammlung: Bis zu 15 Meter breite und acht Meter hohe Leinwände, mit Gouache-Farben bemalt. Europaweit wurden sie von den Zeitgenossen, den Theaterbesuchern wie den Rezensenten, als sichtbarer Ausdruck der von Meiningen ausgehenden Theaterreform verstanden. Mit wenigen Ausnahmen entstanden die Dekorationen im „Atelier für szenische Bühnenbilder“ der Gebrüder Max und Gotthold Brückner in Coburg. Diese Werkstatt bestimmte nach ihrer Gründung im Jahre 1870 schnell das Niveau der Theatermalerei in Europa. Aufträge erhielt sie nicht nur aus Meiningen. Ab 1876 waren die Brückners regelmäßig für die Bayreuther Festspiele Richard Wagners tätig, lieferten ihre Erzeugnisse bis St. Petersburg und New York. Jedoch sind nur in Meiningen die Brücknerschen Originale erhalten geblieben.
Noch bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden die Bühnendekorationen regelmäßig benutzt, danach nur noch gelegentlich zu Jubiläumsveranstaltungen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten sie allmählich in Vergessenheit – eingelagert in zwei ungeeigneten Remisen am Werkstattgebäude des Theaters. Erst 1978 gleichsam wiederentdeckt, wurden sie aus dem Fundus des Meininger Theaters herausgelöst, in die Theatersammlung der Meininger Museen integriert und ab 1981 im eigens hergerichteten Riesensaal von Schloss Elisabethenburg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So wichtig und verdienstvoll all diese Bemühungen auch waren, mehr als ein provisorisches Stadium konnten sie nicht überwinden.
Erst als im Jahre 2000 in der ehemaligen Reithalle das Theatermuseum „Zauberwelt der Kulisse“ eröffnet wurde, konnte man von einer zukunftsfähigen Lösung sprechen. Zudem wurde 1995 zusammen mit dem „Atelier für Konservierung und Restaurierung“ der Familie Pracher in Würzburg ein Konzept erarbeitet, das auf die Wiederherstellung einer präsentierfähigen Gesamterscheinung dieser einzigartigen Kulissen zielt. Seither sind 29 Dekorationsstücke konserviert worden, nicht zuletzt mit Hilfe der Unterstützung bekannter deutschsprachiger Darstellerinnen und Darsteller wie Klaus Maria Brandauer, Armin Mueller-Stahl und Monica Bleibtreu. Dabei sind die untrennbar mit dem Kunstwerk verbundene Historie, die Spuren der intensiven Bespielung, für den Betrachter erfahrbar geblieben. Obwohl das Theatermuseum durchaus mit Stolz auf das bisher Erreichte zurückschauen kann, würde die Konservierung der gesamten Sammlung unter Beibehaltung des bisherigen Tempos erst in zirka 150 Jahren abgeschlossen sein. Zwar kann der Erhaltungszustand, trotz vielfältiger Schadensphänomene, bisher als zufriedenstellend bezeichnet werden, dennoch drängt der zunehmende Bindemittelabbau in der Malschicht zur Eile! Wir bitten Sie deshalb, das Theatermuseum bei der Konservierung des Bühnenbildes „Schäfergegend“ aus der „Wintermärchen“-Inszenierung von 1878 zu unterstützen. Das Prospekt und die drei Kulissenbögen gehören zu den großen Meisterwerken der Brücknerschen Werkstatt. Sie sollen im Jahre 2012 im Meininger Theatermuseum präsentiert werden.