Erwerbungen

Bild und Gegenbild

Das Antlitz des Philipp Melanchthon könne er wohl festhalten, schrieb Albrecht Dürer ehrfurchtsvoll auf seinen Kupferstich, den Geist des großen Reformators aber nicht. Dabei hatte man sich in Wittenberg zunächst nicht allzu viel von ihm versprochen: Mit nur anderthalb Metern Körpergröße und einem kleinen Sprachfehler schien er nicht der rechte Mann zu sein, um den Lehrstuhl für griechische Sprache an einer der bedeutendsten Universitäten des Kontinentes auszufüllen. Mit seiner flammenden Antrittsrede am 28. August 1518 in der Schlosskirche von Wittenberg indessen schlug dieser Eindruck um – zu Hunderten sollten die Studenten in den kommenden Jahren seinen Vorlesungen lauschen. 1526 schließlich zeichnete Dürer den unterdessen deutschlandweit berühmten Humanisten und bannte seine Züge zwecks Reproduktion auf eine Kupferplatte – eine rare Kostbarkeit: die einzige, die sich vom Meister erhalten hat. Schon 1843 taucht sie im Inventar des Kupferstichkabinetts in Gotha auf. Nun konnte die dortige Stiftung Schloss Friedenstein der Dürerschen Druckplatte einen Abzug erster Qualität hinzufügen, wie nur wenige weltweit zu finden sind: einen „Zustand a“, einen frühen, vollen Druck noch von der frischen, unverkratzten Platte. So sind in Gotha nunmehr Bild und Gegenbild vereint.

Von Orange nach Bottrop

Josef Albers, Untitled Abstraction (Mantic), ca. 1940
Josef Albers, Untitled Abstraction (Mantic), ca. 1940

Bauhausmeister und erzwungener Emigrant, präkolumbianischer Kunst zugewandt und schließlich mit seiner Bildserie „Hommage to the Square“ international bekannt geworden: Josef Albers (1888 – 1976) hat mit seinen ebenso strengen wie enigmatischen Farbinteraktionen nicht nur der amerikanischen Op Art und dem Minimalismus den Weg bereitet, sondern auch seiner Geburtsstadt ein einzigartiges Museum geschenkt: 85 Gemälde und das gesamte druckgraphische Werk gelangten aus seiner Nachlass-Stiftung in Orange/Connecticut in den 1980er Jahren in das neugegründete Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop. Nun hatte das Museum die Chance, 24 Papierarbeiten aus dem Eigentum der Josef and Anni Albers Foundation zu erwerben. Eine Chance in zweifacher Hinsicht: Zum einen veräußert die Stiftung normalerweise nichts aus ihrem Besitz, zum anderen besitzt kein anderes Museum in Europa oder Amerika ein Konvolut, das diesem Rang entsprechen würde: Farbkräftige Ölstudien auf Löschpapier, die nahezu die gesamte künstlerische Entwicklung des Malers nach 1940 anschaulich vor Augen führen. Und das auf besonders reizvolle Weise. Denn während Albers bei seinen finalen Gemälden den Duktus im Dienste der formalen Wirkung weitgehend eliminierte, zeigt er in seinen Studien seine sinnliche, konzeptuelle Hand. Was Albers über seine vollendeten Gemälde noch betonen musste, sieht man hier klar und deutlich: „Ich male nicht Quadrate, sondern Farbbeziehungen.“

Besuch bei alter Dame

Friedrich Nerly, Venezianische Vedute, ca. 1837
Friedrich Nerly, Venezianische Vedute, ca. 1837

Dem Direktor des Erfurter Angermuseums stockte der Atem, als er auf der Website der kalifornischen Jennmaur Gallery zufällig auf Skizzenbücher des 1807 in Erfurt geborenen Malers Friedrich Nerly stieß. Denn jene Bücher – sie trugen sogar noch die Inventarnummern des Museums – gehörten zum künstlerischen Nachlass Nerlys, den sein Sohn 1883 der Stadt Erfurt geschenkt hatte. Dieser größte Bestand an Werken des Spätromantikers führte damals zum Bau des Angermuseums. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren sieben von ursprünglich 22 Skizzenbüchern abhanden gekommen und 1967 nach der Nachkriegsinventur als vermisst gemeldet worden – ein schmerzlicher Verlust, sind doch gerade Skizzenbücher für die Klärung offener Datierungsfragen und zur Erkenntnis von Werkzusammenhängen von unersetzlichem Wert. Die filigranen Skizzen, Aquarelle und Tuschezeichnungen dokumentieren vor allem die Reiseaufenthalte des italienbegeisterten Künstlers. So zeigen die vier wieder aufgefundenen Skizzenbücher Skizzen aus Mailand, vom Gardasee und erste Studien aus Venedig, Nerlys zweiter Heimat, in der er von 1837 bis zu seinem Tod 1878 lebte. Mit seinen stimmungsvollen Ansichten der Lagunenstadt war er berühmt geworden. Wie die Skizzenbücher in amerikanischen Privatbesitz gelangten, war unklar – aber sicher unrechtmäßig. Ein halbes Jahrhundert nach dem Verlust nun drohte ein längerer und noch dazu internationaler Rechtsstreit. Die ältere Dame aus Kalifornien indes, die Nerlys Skizzen von ihrem Mann geerbt hatte und nun zum Verkauf anbot, war nach einem Besuch des FBI bereit, die Schätze gegen eine Aufwandsentschädigung seitens der Kulturstiftung der Länder nach Erfurt zurückzugeben.

Ein Bestseller des Mittelalters

Gottesfürchtig und bußfertig war das Spätmittelalter, Stundenbücher seine prachtvollste Lektüre. Diese Sammlungen von Texten für das Stundengebet – oft bei Pariser oder flandrischen Meisterwerkstätten geordert – waren in so großer Anzahl im Umlauf, dass noch heute Tausende dieser Zeugnisse tief verwurzelter Laienfrömmigkeit erhalten sind. Das Gothaer Stundenbuch zeigt sich dabei in bestem Zustand, unberührt von „Fledderern und Miniaturendieben“. 1939 hatte es die „Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft“ in den Kunsthandel verkauft. Nach fast 70 Jahren kehrt die reich illuminierte bibliophile Kostbarkeit jetzt wieder unversehrt an den Ort zurück, an dem sie sich über Jahrhunderte befand: nach Gotha, in die heutige Forschungsbibliothek der Universität Erfurt auf Schloss Friedenstein.

Acht Gebetsstunden zu Ehren Mariens verzeichnet das Herzstück – Matutin um Mitternacht, Laudes zum Tagesanbruch, danach in dreistündigem Rhythmus Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und die Komplet zum Abend gegen neun Uhr. Das Gothaer Stundenbuch war allerdings wohl eher als Prunkstück in der Bibliothek zu finden, zum täglichen Gebrauch wurden einfacher ausgestattete Stundenbücher verwendet. Die außergewöhnlich detaillierten Miniaturen und der sorgfältige Initialen- und Bordürenschmuck machen diese lateinische Handschrift zu einem der hervorragenden Stundenbücher der Zeit von 1480 bis 1530, als sich diese Gebetbücher bei den Fürstenhäusern in ganz Europa auch als Repräsentationsobjekte großer Beliebtheit erfreuten – kündeten sie neben der Gottesfurcht doch auch vom Wohlstand ihrer Besitzer. Das Gothaer Stundenbuch mit seinen 141 Pergamentblättern im Format 18,5×13 cm wird in seinem Hauptteil, dem Kalendarium, einem namenlosen Pariser Künstler, dem sogenannten Meister der Philippa von Geldern, und ihm angeschlossenen Werkstätten zugeschrieben. Der ursprüngliche Auftraggeber bleibt allerdings unbekannt – er hat sich, wie es scheint, wohl selbst am Ende des Stundenbuchs gemeinsam mit seinem Schutzheiligen porträtieren lassen. Als unverzichtbares Einzelstück und lange vermisstes Zeugnis spätmittelalterlicher Buchmalerei schließt es jetzt auch eine empfindliche Lücke der Sammlung auf Schloss Friedenstein.

Messer, Gabel, Schwert

Das Fuggersche Vorlegebesteck
Das Fuggersche Vorlegebesteck

Mit eingeübter Kunstfertigkeit die üppigen Trophäen einer großen Jagdgesellschaft an der festlichen Tafel des Herrschers zu zerteilen, anzurichten und zu servieren: Das war um 1500 meist das Ehrenamt eines mit königlichen oder kaiserlichen Privilegien ausgestatteten Adligen. Dazu verwendete man aufwendig verzierte und von Meistern ihres Fachs geschmiedete Bestecke. Ein besonders fein gearbeitetes und vollständiges Exemplar eines fünfteiligen Vorschneidebestecks kann jetzt das Deutsche Klingenmuseum in Solingen sein eigen nennen. Einst im Besitz der Fürsten Fugger-Babenhausen aus dem bayerischen Schwaben, tragen die großen Messer noch heute das Fuggersche Lilienwappen. Geschaffen wurde das seltene Waidbesteck um 1540 in der Werkstatt des bekannten Münchner Schmieds Melchior Dieffenstetter. Nur wenige Waidgarnituren haben sich in diesem Zustand erhalten.In Solingen zeugt das Besteck mit zwei Vorlegemessern, einem kleineren und einem größeren Messer sowie einer zweizinkigen Gabel, fein geätzten Bronzegriffen mit weißem Bein und Sandelholz nun vom großen Repertoire der Tranchierkunst am Hofe.

Und noch eine weitere Erwerbung ist dem Museum geglückt: Mächtige, mit beiden Händen geführte Schwerter benutzte der Landsknecht im Hohen Mittelalter, um Breschen in die gegnerischen Reihen der Lanzenträger zu schlagen. Ein Prachtexemplar dieser sogenannten Bidenhänder gelangte jetzt nach Solingen. Aus der Rüstkammer des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel stammt das reich dekorierte und vergoldete Schwert (um 1580) des bekannten Solinger Klingenschmieds Johann Allich. Später verschwanden die Bidenhänder aus dem Einsatz im Nahkampf und wurden zu Zier- und Paradewaffen der Leibgardisten. Um einen eben­solchen Symbolträger von Status und Macht der Schutztruppe des Herzogs muss es sich bei diesem Meisterstück handeln – Statussymbol in zweifacher Hinsicht. Denn selbstbewusst hat auch der Schmied seine Signatur sehr auffällig auf seiner meis­terlichen Arbeit angebracht.

„Oft vermiß ich Euch“

Johann Wolfgang Goethes Korrespondenz mit der Schwiegertochter Ottilie
Johann Wolfgang Goethes Korrespondenz mit der Schwiegertochter Ottilie

„Hier send ich Dir, meine Liebe Tochter, abermals eine Melone“, schrieb Johann Wolfgang Goethe 1820 aus Jena an seine Schwiegertochter, die er offenkundig diverse Male kulinarisch bedachte: Drei Jahre zuvor schon hatte Ottilie ein „bissiges Geschöpf“ erhalten, einen großen Fisch mitsamt der Leber, die „gesotten Dir und Deinen wohl schmecken“ sollte – all dies als Zeichen großer Zuneigung des Dichters, der die Gemahlin seines Sohnes „oft vermißte“. In der Mansardenwohnung seines Hauses an Weimars Frauenplan lebte auch die Familie August Goethe. Und Ottilie war es, die nach dem Tod Christiane Vulpius‘ 1816 zur engen Vertrauten des Dichters avancierte. Geboren im Adelsgeschlecht derer von Pogwisch, hatte Ottilie gegen den Willen ihrer adelsstolzen Familie bei den Goethes eingeheiratet, wo sie mit musischen Talenten, Bildung und Sprachkenntnissen zur idealen Gesprächspartnerin des Geheimrats wurde. Mit ihrer Wochenschrift „Chaos“ verwirklichte sie gar selbst literarische Ambitionen.

Das Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar konnte nun auf einer Auktion von Stargardt in Berlin 33 Briefe Goethes an seine Schwiegertochter erwerben, die beredtes Zeugnis ablegen von den familiären, aber auch politischen und nicht zuletzt künstlerischen Umständen seiner Zeit. So berichtet der Dichter über den legendären Wettstreit zwischen Preußens ersten Bildhauern Rauch und Tieck um die Schaffung seiner Büste a tempo: Ein wenig ungläubig hatte das Modell noch dabei zugesehen, wie beide „eine Thonmasse gehäuft um den Papa zu porträtieren“, befürchtete dann aber doch keine Sitzung „auf die Schnelle“: „Beide Künstler sind zwar höchst expedit, doch läßt mich nicht voraussehen, wie weit die Arbeit sich ziehen könne.“ Goethe aber wäre nicht Goethe, hätte er seine Briefe an Ottilie nicht auch mit ebenso konkreten wie weitsichtigen Direktiven versehen: Besagte Melone schickte er mit der „inständigen Bitte, die Kerne zurückzusenden und wo möglich auch noch von der vorigen; es ist bey guten Sorten den Gärtnern gar zu viel daran gelegen“.