Vereint und beflügelt

Lange musste die Braut Christi auf sie warten, nun kehren die ehrwürdigen Apostelfürsten wieder zur Heiligen Katharina zurück. Als stumme Zeugen beäugen sie die Christus geweihte Königstochter aus Alexandrien, die nun für das Grassimuseum erworbenen Seitenflügel komplettieren das geschnitzte, reich vergoldete Figurenensemble mit Christus, Maria und Margaretha, das Peter Breuer 1512/13 für den Hochaltar der Callenberger Katharinenkirche entwarf. Die bärtigen Heiligen verfolgen die geheimnisvolle Szene im Zentrum: Der Ring, den der kleine Christus der Heiligen Katharina als Zeichen ihrer Verbundenheit zur mystischen Vermählung einmal schenkte, ging verloren. Der Altar zeigt eine der beliebtesten Szenen aus der Katharinenlegende, einst pilgerten Gläubige in Scharen vor das Bild in der Kirche der „Heiligen Katharina hinter dem kahlen Berge“, um bei der Patronin der Kranken und Schwachen um Genesung für siechende Verwandte zu bitten.

Peter Breuer und Werkstatt, sog. Callenberger Altar (geöffneter Zustand), 1512/13, Grassimuseum für angewandte Kunst, Leipzig
Peter Breuer und Werkstatt, sog. Callenberger Altar (geöffneter Zustand), 1512/13, Grassimuseum für Angewandte Kunst, Leipzig

Der Zwickauer Bildschnitzer Peter Breuer (um 1470–1541) widmete der frühchristlichen Königstochter Katharina sein Retabel. Ein unbekannter Maler aus Breuers Werkstatt bannte die Legende der Märtyrerin auf die Außenseiten der Altarflügel. Katharina, die im vierten Jahrhundert gelebt haben soll, wurde wegen ihres christlichen Glaubens vom heidnischen Kaiser Maxentius zum Tode verurteilt. Diese gemalte Legende auf den Bildtafeln des geschlossenen Altares verbarg über vierhundert Jahre lang die aufwendig geschnitzten und in güldene Gewänder gehüllten Figuren im Inneren des Schreins vor den Blicken der gewöhnlichen Kirchenbesucher. Nur zu hohen Festtagen erlaubte es die strenge Liturgie, die Altarflügel zu öffnen und das kostbare Innere den Gläubigen zu präsentieren.

Dass die Besucher im Grassimuseum nach über 150 Jahren nun wieder die Wandelbarkeit des spätgotischen Flügelretabels erleben können, ist ein Glücksfall: Im frühen 16. Jahrhundert für die alte Callenberger Kirche geschaffen, gelangte der Altar 1861 in den Besitz des sächsischen Grafen von Schönburg-Glauchau. Doch das Retabel war zu groß für die Apsis der Schlosskapelle in Hinterglauchau: Ungeachtet der ausgeklügelten Komposition zerlegte man den Wandelaltar in seine Einzelteile. Zugehörige Aufbauten wie Predella und Gesprenge gingen verloren, den Schrein verkaufte die Familie bereits 1901 an das damalige Kunstgewerbemuseum (heute: Grassimuseum) in Leipzig, allein die Flügel verblieben in der gräflichen Kapelle. Während der sogenannten Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945, die die Enteignung von Großgrundbesitz und Adel zum Ziel hatte, wurden die Altartafeln entschädigungslos beschlagnahmt. Verbracht ins Museum Schloss Hinterglauchau, waren sie fortan im Besitz der Stadt Glauchau. In einem Restitutionsverfahren im Rahmen des 1994 in Kraft getretenen Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes, das die Rückgabe von entzogenem mobilen Vermögen regelt, bekam die gräfliche Familie die Callenberger Altarflügel wieder zugesprochen. Die Erbin bot dem Grassimuseum für Angewandte Kunst 2016 die Tafeln zum Kauf an. Mit der von der Kulturstiftung der Länder, der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen sowie einem privaten Spender unterstützten Erwerbung glückte dem Leipziger Museum nun die Zusammenführung des Altarensembles: Nachdem sie drei Monate lang in einer Restaurierungswerkstatt für ihren großen Auftritt vorbereitet worden sind, wachen Petrus und Paulus seit Januar 2017 erneut an der Seite der drei Jungfrauen im Schrein.