„Träume von Freiheit“

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Seit 2018 arbeiten die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau und das Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eng zusammen: an dem gemeinsamen Ausstellungsprojekt „Träume von Freiheit“. Noch nie wurden Gemälde der Romantik aus beiden Ländern in diesem Umfang im direkten Neben- und Miteinander präsentiert. Das Konzept der Ausstellung wurde durch Kuratorinnen und Kuratoren aus beiden Museum zusammen entwickelt. Im Frühling / Sommer 2021 war „Träume von Freiheit“ in der Neuen Tretjakow-Galerie Moskau zu sehen, und im Oktober 2021 kommt die Ausstellung nach Dresden ins Albertinum.

In diesen Tagen im April 2021 in Moskau nutze ich die frühen Morgenstunden vor dem Ausstellungsaufbau, um noch einmal grundsätzlich über dieses Projekt nachzudenken, an dem wir jetzt in den letzten zwei Jahren intensiv gearbeitet haben. Jetzt tritt es sichtbar vor unsere Augen und wird räumlich erfahrbar. Die Gemälde der Romantiker aus Russland und Deutschland kommen hier in der Ausstellungsarchitektur von Daniel Libeskind in der Neuen Tretjakow-Galerie zusammen und dabei zeigt sich, dass sie mehr noch als gedacht einen gemeinsamen künstlerischen Kosmos bilden, dass Themen und Sichtweisen der Menschen dieser Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts in beiden Ländern eng beieinander sind und dass die politische Dimension dieser oft so sehr emotional aufgeladenen Werke deutlich hervortritt. Es ist das erste Mal, dass die Kunst dieser Zeit aus beiden Ländern in einer Ausstellung zusammenfindet. Jetzt bauen wir sie in Moskau auf, und im Oktober zeigen wir sie dann in Dresden. Über 80 Objekte sind dafür aus den Staat­lichen Kunstsammlungen Dresden, darunter allein 60 Gemälde aus dem Albertinum, nach Moskau gereist, und mehr als 70 Gemälde aus russischen Sammlungen kommen dann mit ihnen ­gemeinsam im Herbst 2021 nach Dresden.

Das Konzept unserer Ausstellung „Träume von Freiheit“ ­haben Ljudmila Markina, Sergej Fofanow und ich, mit tatkräftiger Unterstützung von Julia Fabritius und Marija Isserlis, in ­einem konzentrierten Austausch zwischen der Tretjakow-­Galerie und dem Albertinum mit einer großen Neugier für die Kunstwerke in den jeweils anderen Sammlungen wie auch die unterschiedlichen kunstgeschichtlichen Traditionen in beiden Ländern entwickelt. Mit unserem Projekt, das die General­direktorinnen beider Häuser Marion Ackermann und Zelfira Tregulova initiiert und mit äußerster Kraft weiterentwickelt haben, gehen wir neue Schritte im Deutsch-Russischen Museumsdialog. Mit Zelfira Tegulowa gab es zu diesem Thema bereits ­ein ausführliches Interview in Arsprototo 2/2019.

Das Interview im Podcast:

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Bei der gemeinsamen Entwicklung des Konzepts formierten sich nach und nach einige Hauptblickpunkte, die für die Kunst in beiden Ländern gleichermaßen gelten: Die Betrachtung romantischer Sujets – Nachtlandschaften, die Entdeckung der Heimat oder die Liebe der Künstler aus beiden Ländern für Italien – spielte dabei eine wichtige Rolle. Sie zeigt sich jetzt in den entsprechenden Abteilungen der Ausstellung. In ihnen wird das Ringen um einen neuen Ausdruck deutlich. Abseits der um 1800 obsolet gewordenen Ikonographie wenden sich die Künstler nach Innen und suchen nach einer neuen Symbolsprache, die jedoch individuell und damit auch rätselhaft bleibt. Künstler wie Caspar David Friedrich und Alexander Andrejewitsch Iwanow stoßen schon zu Lebzeiten auf das Unverständnis ihrer Zeitgenossen. Diese beiden Künstler, wie auch Alexej Gawrilowitsch Wenezianow und Carl Gustav Carus, bilden das Zentrum der Ausstellung, weil in ihrem Werk die zentralen Fragen der Zeit anschaulich werden. Sie sind mit ihren Meisterwerken aus der Tretjakow-Galerie und dem Albertinum vertreten. Es ist uns aber auch gelungen, weitere ihrer Hauptwerke aus anderen russischen und deutschen Sammlungen, wie beispielsweise dem Russischen Museum und der Eremitage in Sankt Petersburg oder der Alten Nationalgalerie in Berlin und der Hamburger Kunsthalle, hinzu zu gewinnen. Gerade in der aktuellen Weltlage angesichts von Covid 19 ist der internationale Leihverkehr eine besondere Herausforderung, und so sind wir den Kolleginnen und Kollegen besonders dankbar, die das ermöglicht haben. Das kleine, aber feine Literaturmuseum im Geburtshaus von Novalis hat uns sein Porträt des Dichters ausgeliehen. Novalis ist eine Schlüsselfigur der Romantik in beiden Ländern.

Bei den Diskussionen um die Inhalte unserer Ausstellung zeigte sich sehr schnell, dass den politischen Dimensionen der Romantik besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte. Die Zeit ist geprägt von der Französischen Revolution, den Napoleonischen Kriegen und der darauffolgenden Restauration. Sie wird begleitet von Revolutionen, Studentenunruhen in Deutschland und dem Aufstand der Dekabristen in Russland. Dem gegenüber erscheinen die Gemälde der Romantiker oft still und in sich gekehrt. Auf den zweiten Blick zeigt sich die Zerrissenheit des Subjekts. Es entsteht eine Begeisterung für die Nacht, die wie eine Art Gegenmodell zum hellen Tag erscheint und in der sich nicht nur gefühlvoll, sondern auch politisch konspirativ träumen lässt, wie in Caspar David Friedrichs „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“, oder in der Resignation anschaulich wird, wie bei Pawel Andrejewitsch Fedotow in seinem Gemälde „Encore, noch einmal encore!“. Italien wird zur Utopie der Freiheit in einer Mischung aus der großen Vergangenheit – antiken Ruinen, dem religiösen Zentrum und dem kultisch verehrten Raffael – und einer Möglichkeit, abseits der Zwänge in den Heimatländern im Norden selbstbestimmt zu leben und unabhängig künstlerisch, aber im Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt zu arbeiten. So kommen beispielsweise Alexander Iwanow und Friedrich Overbeck zum Zeichnen in Rom zusammen. Dort begegnen sich auch Vogel von Vogelstein und Orest Adamowitsch Kiprenski wieder, die sich schon aus Sankt Petersburg kannten. Später wird Kiprenski dann Vogel auf seiner Rückreise nach Russland in Dresden besuchen.

Die europäische Dimension der Romantik hatte bereits Werner Hofmann in seiner Ausstellungsreihe „Kunst um 1800“ in der Hamburger Kunsthalle in den 1970er-Jahren entfaltet, aber in dieser Reihe keinen russischen Künstler dieser Zeit vorgestellt. In der kunstwissenschaftlichen Forschung hat zuletzt Christian Scholl von der Universität Göttingen die Frage aufgeworfen, ob man nicht statt von „Romantik“ von „Romantiken“ sprechen sollte, um damit der Vielfalt dieser Strömung in ganz Europa Rechnung zu tragen. Mit der Ausstellung „Träume von Freiheit“ lassen wir ein dichtes Geflecht von Verbindungen in Europa zwischen Russland und Deutschland wieder sichtbar werden. In der Schau verzichten wir bewusst auf die Trennung „lokaler Schulen“, die bei der Herausbildung von Museen wie der Dresdner Gemäldegalerie und der Moskauer Tretjakow-Galerie im 19. Jahrhundert ordnungsbildend war und deren Folge unter anderem der Nationalismus wie auch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren.

Hilke Wagner, der Direktorin des Albertinum, ist es gelungen, den Architekten Daniel Libeskind für die Gestaltung der Ausstellungsräume zu gewinnen. Mit seiner Architektur für das Jüdische Museum Berlin, aber auch durch den Umbau des ­Militärhistorischen Museums in Dresden ist er für eine kritisch reflektierende Formensprache bekannt. Mit seinem Entwurf für „Träume von Freiheit“ wird die politische und gesellschaftliche Dimension unserer Ausstellung deutlich. In der Tretjakow-­Galerie basiert die Architektur auf zwei ineinander verschränkten Spiralen, die von zwei Hauptachsen durchzogen werden, deren eine die Verbindung zwischen Moskau und Dresden symbolisiert. Im Augenblick arbeitet Daniel Libeskind noch an seinem Entwurf für die Ausstellung in Dresden, die aufgrund einer anderen Raumstruktur auch einen eigenen Charakter ­entwickeln wird.

Zudem haben wir uns entschieden, die Ausstellung um einige Positionen zeitgenössischer Kunst zu erweitern. Damit sollen einerseits Themen verstärkt werden, die in der Romantik schon vorhanden sind, und andererseits sollen auch Fehlstellen sichtbar werden. So tritt ein Performancevideo von Andrej Kuskin in Beziehung zu Fedotows „Encore, noch einmal encore!“, in dem Kuskin so lange im Kreis durch erstarrenden Estrich läuft, bis der erhärtet, seine Handlung und das Spiel des Pudels füllen Zeit, beide gleichermaßen sinnlos. Mit „Woman to go“ von Mathilde ter Heijne holen wir mehr Frauen in die Ausstellung, deren Position in Kunst und Öffentlichkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts stark eingeschränkt war, und deren Arbeiten bis heute kaum von der Tretjakow-Galerie und vom Albertinum angekauft wurden.

Gleich geht es mit dem Aufbau in der Tretjakow-Galerie weiter. Auch hier verständigen wir uns untereinander. Ich bin drei Wochen in Moskau, selbst in der aktuellen Lage, um mit Ljudmila und Sergej die finale Position der Werke zu bestimmen, und das mit schnellem Einverständnis auf der Grundlage des in den letzten Jahren entwickelten Vertrauens.

Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland

Staatliche Tretjakow-Galerie, Neue Tretjakow-Galerie, Moskau
bis 8.8.2021
www.tretyakovgallery.ru

Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
2.10.2021 – 6.2.2022
https://albertinum.skd.museum