Klänge der Freiheit

Liebe Leserin, Lieber Leser,

Wenn ich an den Begriff „Freiheit“ denke, fallen mir immer zwei weitere Begriffe ein, die für mich untrennbar mit Freiheit verbunden sind: Wahrheit und Würde. Freiheit bedeutet für mich, mein Leben so gestalten zu können, dass es meinen Überzeugungen, Werten und Grundsätzen, meinem Denken, Hoffen und Lieben entspricht. Wirklich frei fühle ich mich in den Momenten, in denen ich dieser inneren Wahrheit durch mein Leben Ausdruck und Form verleihen kann, wenn das, was mein Menschsein ausmacht, zur Entfaltung kommt.

Diese Würde des Menschen ist unantastbar. Und sie steht allen Menschen gleichermaßen zu, ausnahmslos, zu jeder Zeit, überall auf der Welt. Für mich gibt es keinen Zweifel: Meine Freiheit als Ausdruck meiner ‚inneren Wahrheit‘ und meine Würde nähmen dann Schaden, stellte ich die Freiheit und Würde Anderer in Frage oder wollte ich sie gar einschränken: Ich kann nur dann frei sein, wenn Du es auch bist!

In diesem Sinne verstehe ich auch den emphatischen Ausruf Ludwig van Beethovens in einem Brief an seinen Freund ­Heinrich von Struve von 17. September 1795: „[…] wann wird auch der Zeitpunkt kommen wo es nur Menschen geben wird, wir werden wohl diesen Glücklichen Zeitpunkt nur an einigen Orten heran nahen sehen, aber allgemein — das werden wir nicht sehen, da werden wohl noch JahrHunderte vorübergehen. […]“ (siehe S. 33 in diesem Heft). Nur wenige Jahre früher, am Vorabend der ­Französischen Revolution, hört man bei der Hamburger Uraufführung von Friedrich Schillers „Don Karlos, Infant von Spanien“ am 29. August 1787 den Marquis von Posa jene begeisterte Bitte an Philipp II., König von Spanien, aussprechen, die immer noch erstaunlich aktuell klingt: „Geben Sie ­Gedankenfreiheit, Sire.“

Damals wie heute sind es nicht zuletzt Kunst und Kultur, die Überkommenes hinterfragen, Erstarrtes aufbrechen, Denkräume ausdehnen und so den Weg für eine Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Miteinanders bahnen. Wirksam sind dabei gleichermaßen die lauten, unmissverständlichen Töne wie ­Schillers Ruf nach Gedankenfreiheit und die subtilen, nicht weniger kraftvollen Klänge wie der erste Akkord des unbegleiteten Klaviers zu Beginn des vierten Klavierkonzerts Ludwig van ­Beethovens, der das menschliche Individuum an den Anfang und in den Mittelpunkt jedes künstlerischen Schaffens zu stellen scheint, formal gesehen eine musikalische Revolution. Bezeichnenderweise wurde Beethovens viertes Klavierkonzert am 22. Dezember 1808 während desselben Konzerts uraufgeführt, in dem auch seine fünfte und sechste Sinfonie zum ersten Mal zu hören waren (siehe S. 41 in diesem Heft).

Dass Freiheit auch mit Teilhabegerechtigkeit und Chancengleichheit zu tun hat, unterstreicht Klaus Lederer, Berliner Kultursenator und Vorsitzender der Kulturministerkonferenz (S. 46), während Barbara Klepsch, sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, erläutert, welche Impulse der Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“ für das Leben der Menschen in Chemnitz bereithält und wie die Stadt zu einem Inkubator eines „kreativen, friedvollen Europa“ werden kann (S. 50).

In diesen Tagen ist es jedoch vielleicht am ehesten die Rubrik „Kunst und Kultur in den Ländern“ (S. 102), die eine Freiheitsbotschaft für uns alle enthält, indem sie auf die Fülle der Kulturangebote verweist, die wir in den wiedereröffneten Kultureinrichtungen nach allzu langer Zäsur endlich wieder genießen dürfen.

Vielleicht gönnen Sie sich ja sogar die Freiheit, sich in den Seiten dieses Heftes etwa im Schatten eines alten Baumes auf der Terrasse eines Cafés zu verlieren — ich wünsche es Ihnen von Herzen!

Ihr Markus Hilgert