Temperament in Terrakotta
In dramatisch gewundener Pose, das Haupt mit weit aufgerissenen Augen himmelwärts gestreckt bei der Schau des Göttlichen – künstlerisch kühn meißelte Pierre Puget (1620–1694) die Skulptur des Bischofs Alessandro Sauli aus feinstem Carrara-Marmor. Die kolossale Statue in der Kirche Santa Maria Assunta di Carignano in Genua zählt in ihrer Ausdruckskraft zu den herausragenden Standbildern des italienischen Hochbarock, geschaffen von einem französischen Bildhauer. Jüngst erwarb der Kaiser Friedrich Museumsverein, Förderverein der Gemäldegalerie und Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, für das Bode-Museum ein tönernes Entwurfsmodell dieses italienisch-französischen Kunsttransfers.
Ein Geistesblitz in Ton gebrannt: Die Inspiration Pierre Pugets ist in der – mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Rudolf-August Oetker-Stiftung erworbenen – skulpturalen Skizze greifbar: Flink formte der Künstler den weichen Ton mit bloßen Händen – hinterließ gar Fingerabdrücke im warmen Ocker des Materials – und entwarf mit raschen Ritzungen Details wie die Schmuckbordüren des in sanften Draperien fließenden Bischofsmantels. Bereits im 66 cm hohen Modell, auch Bozzetto genannt, zeigen sich die Meisterschaft und der unverwechselbare Stil Pugets. Geboren bei Marseille, begann dieser seine Karriere zunächst in einer Werft als Schnitzer von Gallionsfiguren, bevor er sich in Florenz und Rom auch der Malerei, Architektur und Bildhauerei widmete. In einem Leben zwischen Frankreich und Italien verschmolz er in seinen, heute u. a. im Louvre zu erlebenden Werken die dynamischen innovativen Körperhaltungen nach dem Vorbild des römischen Barockmeisters Bernini mit französischer Finesse.
Den Auftrag zur Skulptur des Alessandro Sauli (1534–1593), Bischof von Alesia und Pavia, erteilte dem Künstler das mächtige genuesische Patriziergeschlecht der Sauli. Für die Ausgestaltung ihrer über der Stadt thronenden Basilika sollte Puget neben Heiligenfiguren auch den Bischof verewigen – nicht zuletzt, um die Heiligsprechung des Familienpatrons nachdrücklich zu befördern, dessen Messen sich durch tiefste religiöse Hingebung bis zur Entrückung ausgezeichnet haben sollen. Den Besuchern des Bode-Museums wird künftig das Temperament des Predigers, der erst 1904 heiliggesprochen wurde, wieder eindrucksvoll lebendig. Das Terrakotta-Modell gesellt sich dort zu Pugets Relief einer Himmelfahrt Mariens und bildet ein neues Glanzlicht in der weltweit bedeutenden Sammlung von Barock-Bozetti.