Stiller Architekt sprechender Formen
Heinz Bienefeld (1926 – 1995) verlor nicht viele Worte über seine Arbeitsweise. Traktate und Manifeste überließ er anderen Architekten. Genauso wie Konzerthallen, Firmentürme oder Ausstellungshäuser: Großbauprojekte sucht man vergeblich im Werk des Rheinländers, den man in Nachrufen „Architekt der Stille“ taufte. Neben wenigen öffentlichen Gebäuden – darunter eine Handvoll Kirchen kleinerer rheinischer Gemeinden sowie ein Kindergarten im pfälzischen Lahnstein – realisierte Bienefeld vor allem private Wohnhäuser. Kenner schätzten seine Sorgfalt, seine präzisen Formen und seine Hingabe zum ehrlichen Handwerk bereits zu Lebzeiten. Bis seine Kollegen dem eigensinnigen Außenseiter die verdiente Anerkennung zukommen ließen, sollte es jedoch dauern: Erst 1996 adelte der Bund Deutscher Architekten mit seinem Großen Preis den kurz zuvor Verstorbenen – das höchste Prädikat des Verbandes, das zuvor Hans Scharoun, Ludwig Mies van der Rohe und Egon Eiermann entgegengenommen hatten.
Dass er nur wenige Bauten realisierte, mag an Bienefelds umfassenden Vorbereitungen gelegen haben, denn was er an Worten sparte, glich er mit zeichnerischem Fleiß aus: Für einige seiner Bauvorhaben erschuf er über eintausend Handzeichnungen, von ersten, annähernden Skizzen über rasche Miniaturgrundrisse bis hin zum feinsäuberlich berechneten Aufriss. Perfektionistisch arbeitete er selbst kleinste Details auf dem Papier aus, widmete sich Fensterbeschlägen, Türklingeln und der optimalen Anordnung von Ziegelsteinen. Die Baumarktkultur und ihre industriell gefertigten Massenprodukte widersprachen seinen Gestaltungsprinzipien zutiefst: Seine Gebäude veredelte er mit Elementen, die Handwerker nach seinen Entwürfen in Kleinstserien herstellten. Nur so genügten sie seinen Qualitätsansprüchen.
War der Architekt zunächst geprägt von Mies van der Rohe – für Bienefelds Heimatstadt Krefeld hatte der Großmeister der Moderne die Häuser Esters und Lange entworfen –, distanzierte sich der Schüler und spätere Assistent des Kirchenarchitekten Dominikus Böhm Ende der 1950er-Jahre von den zeitgenössischen Tendenzen seiner Generation: Auf seinen Reisen nach Italien eroberte die Antikenarchitektur Bienefelds Gestalterherz, die technische Exzellenz ließ ihn fortan nicht mehr los. Inspiriert von Palladios Villen errichtete Bienefeld schließlich mit dem in einer Wohngegend in Wesseling gelegenen Haus Wilhelm Nagel einen verblüffenden anachronistischen Bau, dessen Radikalität erst spät wahrgenommen wurde: Ein Jahrzehnt blieb das äußerlich zurückhaltend gestaltete Backstein-haus unbemerkt, bevor ihm eine Neubewertung als erste postmoderne Architektur widerfuhr. Bienefelds Ausbruch aus der Architekturgeschichte resultierte nicht nur in diesem Fall in betörend schönen Gebäuden: Durch die Verbindung wiederbelebter architektonischer Archetypen und einem gleichzeitigen Verständnis für die Gegenwart stehen seine Häuser für eine neuartige, reichhaltige Formensprache, die, getreu einer „architecture parlante“ (sprechende Architektur), durch jedes Bauelement etwas mitteilt.
Trotz seines eher schmalen, konzentrierten Werkes und seines langanhaltenden Außenseiterdaseins gilt Heinz Bienefeld heute als eine der überragenden Figuren unter den deutschen Architekten. 1999 widmete das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt a. M. dem Baukünstler die erste Retrospektive. Seither war der rund 15.000 Zeichnungen und 52 Modelle starke Nachlass Bienefelds, der die Arbeitsweisen des detailverliebten Perfektionisten umfassend dokumentiert, im Museum als Dauerleihgabe verwahrt. Mit den Nachlässen der Bienefeld-Lehrer Dominikus Böhm und Emil Steffan sowie dem Archiv Gottfried Böhms bilden die Arbeiten des rheinischen Architekten eine Archiv-Gruppe, die exemplarisch die Entwicklung der westdeutschen Architektur der 1950er- bis in die frühen 1990er-Jahre veranschaulicht. Dank der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung konnte nun der drohende Verlust der Bienefeld’schen Arbeiten verhindert werden und der inhaltliche Zusammenhang im Museum bestehen bleiben. Nach dem Ankauf des Archivs des Pritzker-Preisträgers Gottfried Böhm und des Nachlasses seines Vaters Dominikus im Jahre 2005 gelingt es somit erneut, einen bedeutenden Architekturnachlass mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder für das Haus in Frankfurt a. M. zu erwerben. Bis Ende Oktober wird eine repräsentative Auswahl von Bienefelds Arbeiten in der Ausstellungsreihe „Schätze aus dem Archiv“ im Deutschen Architekturmuseum gezeigt.