Mit Winkel und Webschiff
Stark schattiert tritt die kräftige Rückenmuskulatur des männlichen Aktmodells hervor, von Alfred Arndt (1898–1976) in verschiedenen Ansichten skizziert. „Vor Bauhaus“ ist klein auf dem Blatt notiert. Nur aus geometrischen Formen zusammengesetzt erscheint ein voranschreitender Rückenakt auf einem weiteren Blatt, datiert auf „Weimar 21“. Mit dem Eintritt in das Staatliche Bauhaus in Weimar zum Wintersemester 1921 wandelte sich der auf mimetischer Wiedergabe beruhende, an der Königsberger Kunstakademie erlernte Stil des angehenden Künstlers zu einer subjektiven, abstrahierenden Ästhetik. Wie sehr sich der von Johannes Itten eingerichtete Vorkurs zur Vermittlung gestalterischer Grundlagen von den bisherigen Praxen künstlerischer Vermittlung unterschied, belegen Arndts Blätter schwarz auf weiß. Arbeiten aus dem Unterricht Wassily Kandinskys, Paul Klees und Oskar Schlemmers bezeugen ebenfalls nicht nur das Können des jungen Studenten Alfred Arndt, sie geben darüber hinaus Einblicke in die Lehre der ersten interdisziplinär arbeitenden Ausbildungsstätte, die Architektur, Design, bildende und darstellende Kunst vereinte.
Neben Blättern aus seinen Studienjahren von 1921 bis 1927 umfasst das Nachlasskonvolut des späteren Bauhaus-Meisters auch Unterlagen aus seiner eigenen, bisher kaum erforschten Lehrtätigkeit am Dessauer Bauhaus. Bevor er jedoch 1930 von Direktor Hannes Meyer als Leiter der Ausbauabteilung berufen wurde, erhielt er als freier Architekt den Auftrag für die Gestaltung des „Haus des Volkes“ in Probstzella. Pläne, Schnitte, Risse, aber auch Plakate und Briefköpfe – aus dem Planungs- und Gestaltungsprozess blieben viele Dokumente erhalten. Anders als auf den flächigen Darstellungen der Pläne treten die Gebäude auf den axonometrischen, zum Konvolut zählenden Ansichten räumlich hervor. Blätter wie diese machten den Bauhäusler zu einer namhaften Figur in der internationalen Architekturszene der Moderne. Zahlreiche Fotografien und Postkarten zeigen den Bau in Probstzella fertiggestellt. Setzung und Farbwahl der ebenfalls im Konvolut erhaltenen Werbegrafiken Arndts stehen dabei im Einfluss der De Stijl-Bewegung, die Fotografien sind der streng strukturierten Fotoästhetik Albert Renger-Patzschs verpflichtet.
1923 – zwei Jahre nach Alfred Arndt – brachte der Wunsch, Architektin zu werden, Gertrud Hantschk (1903–2000), spätere Arndt, ans Bauhaus. Zugewiesen wurde sie der Textilwerkstatt. Die rund 80 im Konvolut enthaltenen Stoffmuster geben einen umfassenden Überblick über die experimentellen Versuchsarbeiten in der Weimarer und später Dessauer Weberei, aber auch das Werk der jungen Künstlerin. Berühmt wurde sie zunächst als Weberin, als ihr gelb-blauer Teppich im Direktorenzimmer Walter Gropius‘ auslag. Direkt nach ihrer Gesellenprüfung und Eheschließung begleitete sie ihren Mann Alfred 1927 nach Probstzella und kehrte zwei Jahre darauf mit ihm nach Dessau zurück, wo sie ihre Beschäftigung mit der Fotografie intensivierte. Eine Serie von Selbstporträts in Maske entstand 1930. Im Dessauer Meisterhaus aufgenommen, unter Zuhilfenahme eines einfachen Zwirns ausgelöst, zeigen die Schwarz-Weiß-Fotografien die junge Frau in unkonventionellen Kleidern und Posen. 1979 zeigte das Museum Folkwang die Bilder erstmalig der Öffentlichkeit. Neben diesen Pionier-Werken der Porträtfotografie umfasst das Konvolut aus Gertrud Arndts Nachlass zudem Aufnahmen anderer Bauhäusler, aber auch Stillleben, Architektur- und Objektaufnahmen.
Mit dem Erwerb des umfassenden Nachlasskonvolutes der Eheleute Arndt gelang es der Stiftung Bauhaus Dessau mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und Lotto Sachsen-Anhalt, eine Sammlungslücke nachhaltig zu schließen. Waren bisher nur einige Stahlrohrstühle aus dem „Haus des Volkes“ in der Dessauer Sammlung, kommen nun mit den Unterrichtsblättern und den Plänen aus Probstzella seltene Werke zweier zentraler Bauhäusler hinzu. Lernen und Lehren am Bauhaus illustrieren die Werke Gertrud und Alfred Arndts und eröffnen dabei neue Perspektiven für Forschung und Museum.