Mehr für alle

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Nordmann, sehr geehrte Frau Pfeiffer-Poensgen, sehr geehrte Frau Dr. Schweizer, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Nominierte!

Ich freue mich sehr, heute bei der feierlichen Preisverleihung des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp!“ dabei sein zu können.
Als Hamburger finde ich es natürlich schön, dass von den vielen Bewerbern aus dem Bereich Schule auch eine Schule aus Hamburg nominiert wurde.
Vor allem aber bin ich heute als Vertreter der Kultusministerkonferenz hier. Für die KMK sind Kunst und Kultur neben der Schul- und der Hochschulpolitik der dritte wichtige Schwerpunkt der Arbeit. In der „Empfehlung zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung“ (in der Fassung von 2013) hat die KMK wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung kultureller Bildung von Kindern und Jugendlichen gelegt.

Es hat sich gezeigt, dass gerade Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen, beziehungsweise Kulturschaffenden, eine ganz besondere Bedeutung im Bereich kultureller Bildung haben. Die Fülle der einzelnen Projekte, die in den ersten zehn Jahren des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp!“ eingereicht wurden, bestätigt diesen Eindruck. Aber so eindrucksvoll die Ideen, Prozesse und Ergebnisse auch waren, so richteten sich diese Projekte doch nur an eine begrenzte Zahl von Kindern und Jugendlichen und das auch nur für eine begrenzte Zeit. Natürlich ist es großartig, dass diese Kinder und Jugendlichen das Glück hatten, in den Genuss so hochwertiger Angebote und Erfahrungen zu kommen. Großartig, dass sie auf besonders engagierte Lehrkräfte und Kulturschaffende, Schulen oder Kultureinrichtungen trafen.

Aber das reicht nicht aus, wir wollen mehr, wir brauchen mehr – und zwar für alle!

Viele Kinder und Jugendliche haben noch immer keinen selbstverständlichen Zugang zu Kunst und Kultur. Wir wünschen uns aber genau das: einen selbstverständlichen, einfachen und vielfältigen Zugang im schulischen Alltag. Wir alle wissen, dass kulturelle Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen unverzichtbar ist, dass sie den Erwerb kognitiver und kreativer Kompetenzen ermöglicht, dass sie zur emotionalen und sozialen Entwicklung beiträgt und dass sie die Integration in die Gemeinschaft erheblich unterstützt. Und gerade die Künste eröffnen erweiterte Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten jenseits des gesprochenen oder geschriebenen Wortes. Dies ist ganz besonders in einer Zeit wichtig, in der Menschen aus vielen Ländern mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zu uns nach Deutschland kommen.

Eine Gesellschaft, die die kulturelle Entwicklung und die kulturelle Bildung der Heranwachsenden stärkt, schafft auch eine wichtige Grundlage für ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Je breiter, je selbstverständlicher und je zuverlässiger die Angebote für kulturelle Erfahrungen sind, je mehr Raum wir ihnen geben, desto größer ist die Chance, dass jedes Kind seinen Zugang zu Kunst und Kultur findet – passend zu seinen Interessen, seinen Fähigkeiten und seinen Möglichkeiten.

In Hamburg wird der Entwicklung kultureller Bildung seit vielen Jahren große Bedeutung beigemessen. Gemeinsam mit der Kulturbehörde arbeitet die Behörde für Schule und Berufsbildung, intensiv daran, landesweite Strukturen zu etablieren.In diesem Schuljahr sind wir beispielsweise durch ganz konkrete strukturbildende Maßnahmen (u.a. durch die Einführung von Kulturbeauftragten an allen Schulen) ein gutes Stück vorangekommen.

Die Neuausrichtung des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp!“ begrüße ich daher sehr, denn sie ist ein wichtiger und konsequenter Schritt in die richtige Richtung.
Sie steht in Einklang mit den Zielen der Kultusministerkonferenz und damit denen aller Bundesländer. Mit den beiden neuen Wettbewerbskategorien „Programme kultureller Bildung“ und „Kulturelles Schulprofil“ verschiebt sich der Fokus auch hier von Einzelprojekten zur Stärkung von Strukturen. Statt „Leuchtturmprojekte“ zu identifizieren und auszuzeichnen, geht es jetzt darum, bei Schulen, Kultureinrichtungen und Kulturanbietern gelungene, erfolgreiche und innovative Strukturen und Programme zu entdecken. Denn sie sind Voraussetzung dafür, dass nicht nur einzelne, sondern alle Kinder und Jugendlichen die Chance haben, selbstverständlichen Zugang zu Kunst und Kultur im Alltag zu finden.

Zwei Aspekte halte ich persönlich gerade im Zusammenspiel zwischen Schule auf der einen Seite und Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden auf der anderen für eminent wichtig – Aspekte, die nicht selten übersehen oder vernachlässigt werden.

Der eine: Kinder sind in der Entwicklung. Jeder Eindruck zählt für sie doppelt, ist besonders stark – niemand wird in seinem Erwachsenenleben Eindrücke je wieder mit der Farbigkeit, der Wuchtigkeit, dem Klang empfinden, die sie in der Kindheit hatten. Und weil das so ist, müssen Kinder durch und durch ernst genommen werden. Wir dürfen sie nicht abspeisen mit „Kultur“ in Anführungsstrichen. Wir dürfen nicht denken: Hauptsache, sie malen ein bisschen, singen ein bisschen, haben Spaß. Nein, der allererste Zugang zu Kultur mag noch so aussehen, aber dann muss es heißen: Für Kinder ist nur das Beste gut genug. Deswegen müssen wir, wenn wir ihnen Kultur nahebringen wollen, in die alleroberste Schublade greifen. Ich denke da an die Möglichkeiten, die die Elbphilharmonie bieten wird, ich denke an Simon Rattle. Und ich rufe ganz bewusst dazu auf, Kinder mit Hochkultur herauszufordern, ja zu überfordern. Sie können mehr ab, als man gemeinhin glaubt. Und Kultur ist nun einmal nichts Gefälliges.

Und damit komme ich zum zweiten Aspekt, der mir wichtig ist. Kultur ist nichts Gefälliges und auch nichts Bequemes. Die Geschichte der Menschheit zeigt: Kunst und Kultur zielen auf das Innerste des Menschen – und sind deswegen per se keine glatte, eingängige Angelegenheit. Kultur formt den Menschen, sie bewegt ihn, sie wühlt ihn auf, sie verändert ihn, sie prägt ihn.
Natürlich sollen sich die Schülerinnen und Schüler freuen auf und über die Projekte, die sie im Rahmen und im Namen der Kultur machen. Aber viel zu oft wird verkannt, dass Kunst und Kultur – wirkliche Kunst und Kultur –  auch eine Sache des Willens, der Anstrengung und der Disziplin sind. Kreativität bedeutet nicht – wie es oft landläufig übersetzt zu werden scheint – zielloses Brainstormen und ab und zu das Zufliegen von guten Ideen. Im Gegenteil: Sehen Sie sich Künstler und Künstlerinnen an wie Oda Jaune, wie Christo, wie den Autoren Wolfgang Herrndorf, dessen Blog- und Buchtitel „Arbeit und Struktur“ Motto seines viel zu kurzen Lebens war, wie Daniel Richter … alles harte Arbeiter, die sich ihrem jeweiligen Metier, ihrer Kunst, mit Härte gegen sich selbst, ja geradezu unerbittlich widmen. Einen Teil dieser Disziplin sähe ich in Verbindung mit dem Wort „Kultur“ und „Projekt“ gerne öfter auch in den Klassenräumen – davon, meine Damen und Herren, wäre ich uneingeschränkter Befürworter.

Ich freue mich sehr, dass ich heute gerade im ersten Durchgang des neu aufgestellten Wettbewerbs bei der Preisverleihung dabei sein kann. Und ich bin sehr gespannt darauf, welche Schule, welche Kultureinrichtung erstmals diesen Olymp erklimmt und den neugeschaffenen Preis „DER OLYMP – Zukunftspreis für Kulturbildung“ erhält.

Vielen Dank!