Licht und Schatten

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit der Kunst in Museen verhält es sich wie mit der sprichwörtlichen Spitze des Eisberges. Nur ein Bruchteil ragt heraus. Und das im doppelten Sinne. Die Zahlen schwanken: Mal ist es vielleicht die Hälfte der Bestände, die im Licht der Schausammlung auf den Betrachter wartet, in den meisten Fällen aber weitaus weniger, mitunter gar nur zehn Prozent. Natürlich mangelt es an Platz.

Aber nicht nur das: Denn Museen sind nicht nur Orte für Herausragendes. Sondern für viel mehr: das Überlieferte, das Bildgedächtnis einer Gesellschaft. Ob Historiengemälde längst vergangener Zeiten oder Porträts kaum noch bekannter Menschen, ob Studien oder Stillleben, die uns heute allzu harmlos erscheinen mögen, oder Werke von Künstlerinnen und Künstlern, deren Namen schlichtweg keinen Klang mehr haben – sie alle finden sich im Schatten der Depots, der Magazine, Lager, die klein und niedrig oder riesenhaft sein können, meterhohe Hallen, in denen zu Tausenden schlummert, was Menschen einst bedeutend fanden. Mitunter herausragend.

Nicht immer hat das Aufbewahren der Kunst indessen gut getan. Nur allzu oft waren es feuchte Keller oder trockene Dachböden, in welchen Kunst gelagert wurde. Alles Organische zerfällt. Holzbild­träger, Leinwände, Papier, Farbe. Und je schlechter die Bedingungen, desto schneller. Und nur allzu oft gelangte Kunst bereits beschädigt ins Museum, rasch geborgen nach Krieg und Krisen und ins Museum gebracht. Dort ­fehlten Zeit und Geld, um sie zu pflegen. Menschen fehlten, die sich kümmern konnten. Und das meint nicht nur Restauratoren. „Kuratoren“ heißen Kunsthistoriker für Museumssammlungen. Kurator bedeutet „Pfleger“.

Heute möchten wir Ihnen die Initiative „Kunst auf Lager“ vorstellen, die die Kulturstiftung der Länder gemeinsam mit 13 anderen Stiftungen und Förderern ins Leben gerufen hat. Unser Ziel ist es, eben jene Kunst zu bewahren, die im Dunkel der Depots auf ihre Restaurierung wartet. Um dann, eines Tages, wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Entdecken kann man nur, was man sieht. Und welche Entdeckungen auf uns warten, das haben einige Museen in den letzten Jahren vorgemacht. Denken Sie an Ottilie Roederstein in Frankfurts Städel oder Osman Hamdi Bey in Berlins Alter Nationalgalerie. Was herausragt und was nicht, Historisches wie Gegenwärtiges, das bestimmt jede Zeit für sich und immer wieder neu. Ein Grund mehr, das Erhaltene auch zu bewahren!

Unsere Sommerausgabe von Arsprototo ist Hamburg gewidmet, der Hansestadt, die sich nicht nur mit Elbphilharmonie und jüngst umgebauter Kunsthalle kulturell neu positioniert. Allein die große Manet-Ausstellung ab Ende Mai, mit der sich Hubertus Gaßner als Direktor der Kunsthalle verabschiedet, macht Hamburg eine Reise wert! Und ab Seite 50 erfahren Sie, wie Hamburg als Stadt der Foto­grafie glänzt, mit Hilfe des großen Fotografen und Sammlers F. C. Gundlach. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine schöne Sommerzeit!

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen