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AKTUELLES / HESSEN

„Kultur muss für alle erreichbar sein!“

Boris Rhein, hessischer Ministerpräsident, Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und des Stiftungsrates der Kulturstiftung der Länder, über die Kultur als identitätsstiftenden Ort gesellschaftlichen Zusammenhalts

Kultur schafft Identität, Gemeinschaft und Zusammenhalt. Kultur ist das, was uns Menschen ausmacht. Sie ist das, was von einer Generation bleibt. Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut. Dass in der Bundesrepublik Deutschland die Länder die Kulturhoheit innehaben, muss hier nicht eigens erwähnt werden. Das ist grundgesetzlich so geregelt, und das ist eine gute Regelung. Als Hessischer Ministerpräsident darf ich ergänzend anmerken, dass die Kultur zu Recht Staatsziel in unserer Landesverfassung ist.

Gerade in diesen Zeiten mit vielen globalen Herausforderungen und Unsicherheiten kann eine lebendige Kultur einen wertvollen Bezugsrahmen schaffen. Sie kann unserer Gesellschaft Identität und Orientierung bieten und den Zusammenhalt stärken. Um dies leisten zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein.

Die Grundlagen: Freiheit, Unabhängigkeit und offener Zugang

Als eine Voraussetzung nenne ich Freiheit und Unabhängigkeit. Kunst und Kultur müssen frei und unabhängig sein. Nur dann tragen sie dazu bei, dass sich die Gesellschaft selbst reflektiert, dass die sich wandelnde Wirklichkeit erkannt wird, dass neue Entwicklungen und Herausforderungen verstanden werden. Kunst und Kultur sind Räume der freien, unabhängigen Entfaltung und Reflexion, in denen alle Menschen sich und ihre individuelle Persönlichkeit entwickeln können. Daneben sind sie auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, denn Kultur und kulturelle Vielfalt machen ein Land attraktiv.

Als eine weitere Voraussetzung dafür, dass Kultur ihre Wirkung entfalten kann, nenne ich den offenen Zugang. Kultur muss für alle erreichbar sein, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen und Bildung. Denn erst wenn alle an Kultur, an ihrer Gestaltung und Rezeption teilhaben können, kann diese ihre vielen gesellschaftlich wichtigen Rollen umfassend wahrnehmen – als Impuls der Inspiration, zur Unterhaltung, als Ort der Verständigung und des Austauschs verschiedener Perspektiven sowie als Ort des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, des Zusammenhalts und als kritischer Spiegel der Gesellschaft.

Kultureinrichtungen, seien es die Museen, die Theater, die Kinos oder die soziokulturellen Zentren, tragen viel dazu bei, mit leicht zugänglichen Angeboten die Kultur zu bereichern. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre 16 Länder sind vielfältig. Hier leben Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Hintergründen und Biografien. Genauso verschieden wie die Menschen sind auch die Bezüge, die Menschen zur Kultur haben, und die Wünsche, die sie mit ihr verbinden. Umso mehr gilt: „Arsprototo“ – Kultur ist für alle da. Dieser Gedanke muss unsere Kulturpolitik leiten.

Die Kultur und der Versuch, sie zu zerstören

Welchen Stellenwert die Kultur hat, zeigt sich auch im Vorgehen ihrer Gegner. Wer Identität, Gemeinschaft und Zusammenhalt einer Gesellschaft zerstören will, der zerstört ihre Kultur. Das belegt nicht nur der Blick in die Geschichte. Das belegt auch aktuell der Blick in die Ukraine. In diesem Krieg wurden zahllose Kultureinrichtungen, Denkmäler und historische Gebäude beschädigt, zerstört oder ausgeraubt. Das Ziel ist klar: Mit dem Raub ihres kulturellen Erbes soll den Ukrainern nicht nur ein wichtiger Teil ihrer Identität, sondern auch ihr Selbstvertrauen und ihre Souveränität genommen werden. Eine bei Autokraten leider nur allzu beliebte Methode. Denn eine freie und vielfältige Kultur ist unverzichtbar für eine lebendige Demokratie.

Deshalb ist es mir wichtig, auch hier, in einem Kreis, dem dies selbstverständlich bewusst ist, die große Bedeutung der Kultur für unsere demokratische Gesellschaft in Hessen, in Deutschland und Europa zu zeigen und sichtbar zu machen. Das Bewusstsein für diese Bedeutung müssen wir weitergeben.

Kulturelle Bildung trägt die Zukunft

Kulturelle Bildung muss daher elementarer Bestandteil der Allgemeinbildung sein und bleiben. Die Grundlagen werden in den Familien, in der Kindertagesbetreuung, in Schulen und der Kinder- und Jugendarbeit sowie der außerschulischen Jugendbildung gelegt. Mit diesem Zugang zu Kunst und Kultur, den die kulturelle Bildung eröffnet, lernt man die eigene Persönlichkeit besser kennen und entwickelt sie weiter. Man gewinnt Perspektiven für die Auseinandersetzung mit der Lebenswelt in ihrer ganzen Vielfalt und Komplexität und wird dazu befähigt, kreativ Gesellschaft zu gestalten. Kulturelle Bildung stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer zunehmend diversen Gesellschaft, die Diskurskultur und damit die Demokratie. Sie ermöglicht es allen Menschen, ihre Potenziale zu entwickeln. Sie ermöglicht Teilhabe und ist grundlegend für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

Kulturelle Bildung beschränkt sich nicht auf das Kindheits- und Jugendalter. Menschen jeden Alters können ihre Bildung erweitern und vertiefen, und viele Menschen bemühen sich genau darum. Sie muss ebenso Bestandteil der Erwachsenenbildung und von Angeboten für Seniorinnen und Senioren und für Familien sein. Besonders wichtig ist es, die Angebote zur kulturellen Bildung gemeinsam mit den jeweiligen Zielgruppen, den Künstlerinnen und Künstlern und pädagogischen Fachkräften zu entwickeln und zu konzipieren.

Menschen machen Kultur. Die Leistung derer, die in der Kultur agieren, muss anerkannt, wertgeschätzt und ihrer Qualität entsprechend vergütet werden. Wichtig sind eine transparente Kulturförderung und gute Arbeits- und Lebensbedingungen für Künstlerinnen und Künstler. Verständnis für die künstlerische Arbeit und ihren Wert ebenso wie Wertschätzung im Umgang mit Künstlerinnen und Künstlern sind Voraussetzungen dafür. Nur in einer angemessenen wirtschaftlichen Situation finden Kunstschaffende die kreativen Freiräume, können sie kulturelle Vielfalt und Exzellenz entwickeln, und die Kultur als Ganzes kann so einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Eine qualitätsorientierte, zielgerichtete, nachhaltige und bedarfsgerechte Förderung ist ein wichtiger Baustein dafür.

Kultur braucht Engagement

Doch auch das Ehrenamt hat eine wichtige Bedeutung. Freiwillig Engagierte sind eine Säule des kulturellen Lebens. Mit ihrer Freude, ihrer Tatkraft und ihrer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, machen sie unter anderem in kulturschaffenden und kulturfördernden Vereinen zahlreiche Angebote überhaupt erst möglich. Sie festigen das gesellschaftliche Miteinander, schaffen Gemeinschaft und lassen Neues entstehen. Ehrenamtliche und freiwillig Engagierte tragen gemeinsam zu einer lebendigen, vielfältigen und offenen Gesellschaft bei. Sie verdienen hohe Anerkennung und Wertschätzung.

Auch dies ist Zukunft: Digitalisierung in der Kultur

Eine Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, die in Zukunft weiter an Fahrt aufnehmen wird, ist die Digitalisierung. Sie prägt mehr und mehr auch die Kultur. Sie eröffnet neue Räume der Gestaltung und des Ausdrucks und kann so zur Stärkung der Kultur beitragen. Sie schafft neue Sichtbarkeit, Zugänge und Möglichkeiten von Austausch und Vernetzung. Sie entfaltet zudem grundlegenden Einfluss auf Arbeitsformen und Arbeitsweisen in Kunst und Kultur und stellt dafür neue Werkzeuge bereit. Künstlerinnen und Künstler setzen digitale Technologien und Medien zunehmend in ihrer täglichen Arbeit ein.

Weil der Einsatz digitaler Techniken zudem neue Zugänge zu kulturellen Inhalten eröffnet, erweitert er die Möglichkeiten von Ausstellungsmacherinnen und Ausstellungsmachern, Musikerinnen und Musikern, Literatur- und Theaterschaffenden und bietet ihnen neue Gestaltungsräume für die Kulturvermittlung. Die digitalen Möglichkeiten verändern auch die Gewohnheiten und Anforderungen der Besucherinnen und Besucher von Kultureinrichtungen, ob Museum, Archiv, Bibliothek, Theater oder Konzerthaus. Digitale Formate können vielen Menschen den Zugang zu Kulturgütern erleichtern oder neu eröffnen.

Ein Dank

Die Kulturstiftung der Länder leistet viel für die Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte nicht schließen, ohne allen zu danken, die für die Stiftung tätig sind.

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