Liebe Leserinnen und Leser,
zu Beginn des neuen Jahres freue ich mich, Ihnen die neue Ausgabe des Magazins Arsprototo der Kulturstiftung der Länder präsentieren zu dürfen. Bei der Auswahl der Schwerpunktthemen für dieses Heft haben wir uns wieder bemüht, aktuelle Debatten in Kultur und Kulturpolitik aufzugreifen und sie in einen inhaltlichen Bezug zueinander zu setzen. Wir hoffen, auf diese Weise Aspekte und Dimensionen der behandelten Themen herauszuarbeiten, die andernfalls vielleicht verborgen geblieben wären. Das Verhältnis zwischen Natur und Kultur ist einer der beiden Schwerpunkte dieses Heftes. Er wird uns in variierter Gestalt in der nächsten Ausgabe von Arsprototo wiederbegegnen. Gleichzeitigt blicken wir – 25 Jahre nach Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien – auf ein schwieriges Kapitel in der Geschichte der Kulturpolitik in Deutschland: die Identifikation und Restitution NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter. Auch hier kommen unterschiedliche Stimmen zu Wort, die nicht nur die Komplexität der bestehenden Fragen sowie Fortschritte im Umgang damit benennen, sondern auch auf die nach wie vor bestehenden Defizite und Herausforderungen hinweisen.
Bei aller Verschiedenheit dieser beiden Themen gibt es für mich ein verbindendes Element, das im Zentrum steht: der nach bestimmten Grundsätzen und im Interesse seiner Mitmenschen handelnde Mensch. Längst haben wir begriffen, dass der Schutz unseres Planeten und die Eindämmung der Folgen des Klimawandels nur bis zu einem gewissen Maß von Technologie, internationalen Verträgen und restriktiven Maßnahmen abhängt. Entscheidend ist vielmehr, wie wir mit diesen Werkzeugen umgehen, ob und mit welcher Stringenz wir sie nutzen und ob wir tatsächlich bereit sind, im Interesse unserer Mitmenschen und zukünftiger Generationen zu handeln, selbst wenn dies bedeutet, dass wir selbst unser Leben verändern müssen. Das verantwortungsvolle Handeln mit und an der Natur, zu der selbstverständlich auch unsere Mitmenschen gehören, ist demnach vor allem eine Frage der Kultur.
Unser Umgang mit den unermesslichen Verlusten an Kulturgut, die die nationalsozialistische Kulturpolitik insbesondere jüdischen Menschen beigebracht hat, ist in diesem Sinne ebenfalls in erster Linie eine Frage der Kultur. Er ist wesentlich abhängig von unserer Fähigkeit, die Perspektive der gewaltsam enteigneten Jüdinnen und Juden sowie ihrer Nachfahren als unserer Mitmenschen einzunehmen und unser Handeln von dieser Perspektive der Mitmenschlichkeit leiten zu lassen. Gesetzliche Regelungen und konkrete Maßnahmen zu ihrer möglichst effektiven Umsetzung können wichtige Instrumente in diesem Zusammenhang sein. Entscheidend aber ist das Maß der Aufrichtigkeit, mit der wir bereit sind, das Leid unserer Mitmenschen und ihrer Vorfahren wahrzunehmen und begangenes Unrecht zu sühnen.
Dass unser Mitgefühl und unsere Mitmenschlichkeit ausnahmslos allen Menschen gelten müssen, sollte sich dabei von selbst verstehen. Auch dies ist eine Frage der Kultur. Wert und Leistungsfähigkeit unserer Kultur werden daran gemessen, diesseits und jenseits der Grenzen unseres Landes, heute und in Zukunft.
Ihr Markus Hilgert