In den Alpen ist Caspar David Friedrich nie gewesen. Doch als der 29 Jahre jüngere Ludwig Richter 1824 sein Gemälde „Der Watzmann“ ausstellt und viel Lob erntet, malt auch er einen. Als Vorlage dienen ihm ein Aquarell seines Schülers August Heinrich und eigene Felsen-Studien, die er im Harz angefertigt hat. 1825 präsentiert Friedrich seine Version des imaginierten Gipfels in der Dresdner Akademie, deren außerordentlicher Professor er seit gut einem Jahr ist. Die Kritiker reagieren verstört: „Es ist nicht zu leugnen, daß ein Gefühl des Einsamseyns uns bei dem Beschauen des Bildes ergreift, eine düstere Leere ohne Trost, ein Hochstehn ohne erhoben zu seyn.“
Der 1774 in Greifswald geborene und 1840 in Dresden gestorbene Caspar David Friedrich, dessen 250. Geburtstag 2024 mit einem Reigen großer Ausstellungen gefeiert wird, gilt nicht nur als der deutsche Maler der Romantik, sondern auch als derjenige, der einen „Bruch mit den Traditionen der Landschaftsmalerei“ vollzog. Generationen von Interpretinnen und Interpreten haben sich seit seiner Wiederentdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts gefragt, was er eigentlich meint, wenn er Landschaft malt.
Vielleicht sollte man von einer Landschaftsmalerei des globalen Nordens sprechen, deren Grundlagen Friedrich an der Kopenhagener Akademie vermittelt bekommt. Praktiziert wurde die bildnerische Landschaftsdarstellung bereits in der römischen Antike (Vitruv und Plinius d. Ä. berichten davon) und in Ostasien, allerdings in anderen Kontexten und Techniken. Die europäische Landschaftsmalerei entsteht im ausgehenden Mittelalter in den Niederlanden – buchstäblich im Hintergrund der damals hochgeschätzten biblischen Historien- und Andachtsbilder. In deutscher Sprache wird der Begriff Landschaftsmaler 1521 bei Albrecht Dürer greifbar: Er nennt seinen Antwerpener Kollegen Joachim Patinir einen „gut landschafft mahler“. Patinir malt biblische Szenen, die er vor wahrhafte Weltlandschaften stellt. Im 17. Jahrhundert hat sich das Landschaftsbild als eigenständige Gattung durchgesetzt, in den Niederlanden bricht ein Goldenes Zeitalter der Landschaftsmalerei an, die fleißig produziert und gesammelt wird. Caspar David Friedrich bewundert Jacob van Ruisdaels „Judenfriedhof“ mit dem markanten Ruinenmotiv in der Dresdner Galerie.
Zu Friedrichs Lebzeiten erfährt die Landschaftsmalerei, die zunehmend an Akademien gelehrt wird, eine grundlegende Neubewertung. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts werden die Relationen zwischen Natur, Landschaftsmalerei und Gartenkunst in der Kunsttheorie reflektiert. 1773 beschreibt Horace Walpole Poesie, Malerei und Gartenkunst als „the ‚Three New Graces‘ who dress and adorn Nature“. Um 1800 gerät die Malerei selbst in Bewegung. „Landschaftsmalerei, eine Reisekunst?“ lautete 2015 der mit rhetorischem Fragezeichen versehene Titel einer Tagung, die die neue Mobilität von Kunstschaffenden und ihre immer stärker individualisierten Naturerfahrungen in den Blick nahm. Die Verbindlichkeit ästhetischer Standards, wie sie noch Goethe mit seinen „Weimarer Preisaufgaben“ – Friedrich nimmt daran teil und gewinnt – voraussetzt, ist jedenfalls bald dahin.
Was begreifen wir heute noch von diesem Wandel? Liegt die Faszination von Friedrichs „Kreidefelsen auf Rügen“ in der Wiedererkennbarkeit, der suggestiven Wirkung der Bildmittel oder im verborgenen symbolischen Sinn? So viel immerhin steht nach 120 Jahren wissenschaftlicher Exegese fest: Ein getreues Abbild dessen, was man beim Wandern oder beim Blick aus dem Fenster sieht, gibt es bei ihm nicht. „Ein Bild“, notiert Friedrich um 1830, „muß sich als Bild als Menschenwerk gleich darstellen; nicht aber als Natur täuschen wollen.“
Wie Caspar David Friedrich Bilder baut, wird an seiner „Ruine Eldena im Riesengebirge“ deutlich. Einzelmotive wie der abgestorbene Ast im Vordergrund, das strohgedeckte Bauernhaus vor der ruinösen Kirche (ihr Vorbild steht am Stadtrand von Greifswald) sowie die Kulisse des schlesischen Riesengebirges lassen sich auf Zeichnungen nachweisen, die er auf Reisen anfertigt und später im Atelier ins Bild überträgt. Daraus entsteht ein Capriccio, mit Sorgfalt und Kalkül aus Versatzstücken zusammengesetzt. Friedrich konstruiert im Modus der Landschaft allegorische Programmbilder. Landschaften als Naturabbild malt er nicht. Verstärkt seit den Jubiläumsausstellungen zum 200. Geburtstag 1974 in Dresden und Hamburg haben Forscherinnen und Forscher versucht, Friedrichs Bilder- und Gedankenwelt zu rekonstruieren. Neben unverzichtbaren Werkverzeichnissen erschienen unzählige Einzelstudien: zu vielfältigsten inhaltlichen und technischen Aspekten der Gemälde und Zeichnungen, zu privaten und kunsttheoretischen Texten, seinen politischen Ansichten und den theologischen Grundlagen seines Glaubens. Oder, nahezu kriminalistisch, zur Identifikation von Felsformationen, die er auf Wanderungen im Elbsandsteingebirge, in Böhmen, dem Harz oder auf Rügen zeichnet und – oft Jahrzehnte später – in den Bildern neu kombiniert.
Als Resümee lebenslanger Beschäftigung erscheinen rund um das aktuelle Jubiläumsjahr neue Monografien von Helmut Börsch-Supan und Werner Busch, die methodisch die Spannbreite der Forschung markieren. Die Ergebnisse intensiver Deutungsarbeit liegen bereit, und auch in der populären Kultur hinterlässt der Künstler längst Spuren. Zudem erweitern neue interdisziplinäre Fragestellungen den Blick der Kunstgeschichte. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815 und das daraus resultierende „Jahr ohne Sommer“ 1816 stehen seit einigen Jahren im Fokus kultur-, sozial- und klimahistorischer Forschungen. Unlängst untersuchte ein meteorologisches Team der Harvard University den Einfluss steigender Luftverschmutzung während der Industriellen Revolution auf die Maltechnik von Friedrichs Zeitgenossen William Turner und Claude Monet. Man darf gespannt sein, welche neuen Wege der Interpretation und Präsentation die Jubiläums-Ausstellungen 2024 – die meisten gefördert von der Kulturstiftung der Länder – finden werden.
Das Pommersche Landesmuseum Greifswald verspricht in drei aufeinanderfolgenden Ausstellungen eine intensive Beschäftigung mit Friedrichs Heimatlandschaften und holt dazu erstmals die „Kreidefelsen auf Rügen“ als Leihgabe in die Region. Auf der Suche nach „Anschlussfähigkeit für Themen der Jetztzeit“ präsentiert die Hamburger Kunsthalle neben ihrem eigenen umfassenden Friedrich-Bestand Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wie Elina Brotherus, David Claerbout und Hiroyuki Masuyama. Angesichts eines Friedrich-Hauptwerks wie „Das Eismeer“ wird man dabei drängende ökologische und soziale Fragen nicht ausklammern. Die Alte Nationalgalerie Berlin legt Schwerpunkte auf Friedrichs Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert, auf programmatische Bilderpaare wie „Der Mönch am Meer“ und „Die Abtei im Eichwald“ sowie auf seine Maltechnik. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beleuchten in einer Doppelausstellung im Albertinum und im Kupferstich-Kabinett neben Friedrichs Natur- und Religionsverständnis die Vorbilder, die er in Dresden studierte: Ruisdael, Salvatore Rosa und Claude Lorrain. Mit der Handschrift „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern“ besitzt das Kupferstich-Kabinett zudem einen zentralen kunsttheoretischen Text des Malers.
Im Sommer 1823 bekommt Caspar David Friedrichs norwegischer Malerfreund und Nachbar Johan Christian Clausen Dahl Besuch von einem jungen Maler aus Berlin: Carl Blechen. Blechen, 1798 in Cottbus geboren, hat im Vorjahr seinen Beruf als Bankkaufmann aufgegeben, um an der Berliner Akademie Landschaftsmalerei zu studieren. Mit dem Unterricht in der Landschaftsklasse von Peter Ludwig Lütke ist das frühreife Talent unzufrieden. In Dresden bleibt Blechen drei Monate und lernt dort sehr wahrscheinlich Friedrich kennen. Zurück in Berlin, beendet Blechen sein Studium (1831 wird er als Professor an die Akademie zurückkehren) und arbeitet, empfohlen von seinem Förderer Karl Friedrich Schinkel, drei Jahre als Theater- und Dekorationsmaler am neuen Königsstädtischen Theater am Alexanderplatz. Auch diesen Job wirft er 1827 nach einem Zerwürfnis mit der berühmten Operndiva Henriette Sontag hin, um freier Maler zu werden.
Carl Blechen gehört nicht nur einer neuen Generation an, die nichts anderes kennt als eine aus den Fugen geratene und von Kriegen gezeichnete Welt. Er verfügt auch über ein starkes künstlerisches Temperament, hat Sinn für Dramatik, Tempo, Poesie. Er ist ein Vielleser, und so bevölkern literarische Anspielungen und Figuren seine Bildwelt, in der es von Mönchen, Eremiten, Drachen, Odalisken, schroffen Schluchten, verfallenen Marienstatuen und pittoresken Ruinen nur so wimmelt. Unweigerlich denkt man an E. T. A. Hoffmanns „Elixiere des Teufels“, hat Webers und Mozarts Opernarien im Ohr.
Doch Blechen ist vor allem ein „Landschafter“, den es hinaus zieht. Auf der Berliner Akademieausstellung 1828 kann er sein ambitioniertes Großformat „Das Semnonenlager“ (seit 1945 verschollen) verkaufen. Vom Erlös finanziert er eine gut einjährige Italienreise, die er im September 1828 antritt. Italien ist seit einem halben Jahrhundert nicht nur das Sehnsuchtsland für alle, die ans Reisen denken können, sondern beinahe ein Pflichtprogramm für Künstler aus ganz Europa – und für sehr wenige Künstlerinnen. Blechen folgt der klassischen Route über Venedig, Florenz und Rom bis nach Neapel, doch Monumente und Sehenswürdigkeiten interessieren den Maler offenbar nur bedingt.
Stattdessen schließt sich Blechen mit der internationalen Szene kurz. Pathetisch formuliert: Die Italienreise wird zum Erweckungserlebnis und markiert den Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. In Rom besichtigt er atelierfrische Gemälde von William Turner. Von Turner kann Blechen viel lernen: wie man selbst Großformate trotz antiakademischer Malweise in den Griff bekommt; wie man Farben auf ein Bild bringt, die nach tradierter Ansicht nicht zusammenpassen – und wie man trotzdem Erfolg hat.
Im Frühjahr 1829 bricht Blechen von Neapel zu mehreren Malausflügen auf: zum Posillip, nach Pompeji und auf den Vesuv, nach Capri, ins Mühlental bei Amalfi und nach Ravello. Hier entsteht nicht nur das sogenannte Amalfi-Skizzenbuch (Akademie der Künste Berlin), ein Konvolut von 66 Bleistift- und Sepiazeichnungen, das Blechen im Urteil der Nachwelt zu einem Vorläufer der Moderne macht und bei dessen Sepia-Blättern, so Helmut Börsch-Supan, „der Eindruck entsteht, der Maler zeichne mit Licht“. An der Amalfitana findet Blechen auch reichlich Stoff für seine berühmt gewordenen Ölskizzen, die vermutlich nicht unmittelbar vor der Natur entstehen, aber in großer zeitlicher Nähe, um die noch frischen Sinneseindrücke einzufangen.
Blechens großes Talent für die kleine, vermeintlich offene Form ist besonders von Künstlerkollegen erkannt worden. Johann Gottfried Schadow, als Berliner Akademiedirektor seit 1831 Blechens Vorgesetzter, lobt den „unvergleichlichen Skizzierer“. Theodor Fontane, der die erste Blechen-Monografie schreiben wollte, urteilt: „Am größten und genialsten ist er wohl in seinen Skizzen.“ Und Max Liebermann, auch er glühender Verehrer, schreibt 1921 über die italienischen Ölskizzen: „Die Studien […] geben wieder, was Blechen gesehen hat: das Einfachste und daher Schwerste.“
Die Akademie-Chefs Schadow und Liebermann wussten, wovon sie reden: Nach seinem Tod 1840 gibt die Witwe Henriette Blechen ausgewählte Teile des Nachlasses an die Akademie. Die Blechen-Sammlung zählt noch immer zum bedeutendsten Kunstbesitz der Akademie. Zu diesem Konvolut gehören die zwei Ölskizzen „Mühlental bei Amalfi“ und „Tiberiusfelsen auf Capri“, die mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder nach kriegsbedingter Absenz nun zurückerworben werden konnten. Im Winter 2022/2023 wurden sie in der Akademie-Ausstellung „Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken“ als Beispiele für „Diebesgut aus der Reichsmünze“ vorgestellt. 1943 waren sie mit weiteren wichtigen Beständen in die Neue Reichsmünze ausgelagert worden, wo sich den Mitarbeitern der Akademie im Oktober 1945 ein „Anblick radikalster Zerstörung“ bot: „Der Boden des ganzen Raumes ist hoch bedeckt mit Papier, Zeichnungen, Grafik, Fotografien – das meiste beschmutzt, vieles zerknüllt und zerrissen.“ Oder ganz gestohlen. Allein 24 Arbeiten Blechens gelten noch immer als Kriegsverlust. Das „Mühlental“ und der „Tiberiusfelsen“ tauchen 2018 wieder auf, als sie ein Kunsthändler einem Berliner Auktionshaus zur Versteigerung anbietet. Der Einlieferer gab an, dass sich die Bilder seit Jahrzehnten im Familienbesitz befunden hätten. Durch Stempel und alte Inventarnummern auf den Rückseiten ließen sich beide zweifelsfrei als Eigentum der Akademie der Künste identifizieren. Werner Heegewaldt, Direktor des Archivs der Akademie, resümiert den Rückerwerb: „Trotz dieser Indizien erwies sich die Rechtslage 70 Jahre nach Kriegsende als keineswegs einfach. […] Nach Konsultation mit dem Kunstraubdezernat der Polizei und Juristen entschloss sich die Akademie daher, ein Verwahrentgelt anzubieten.“
Der Wert für die Öffentlichkeit zahlt sich in anderer Münze aus, denn Szenen aus dem Mühlental bei Amalfi sind ein Glücksfall in Blechens Œuvre. Gleich mehrere Blätter im Amalfi-Skizzenbuch zeigen das Tal, in dem sich seit dem Mittelalter Mehl- und Papiermühlen und Sägewerke angesiedelt hatten. Die Zeichnungen, darunter ein berückend schönes Sepiablatt, blättern den Motivfundus auf, aus dem Blechen weiter schöpft. Die Ölskizze nimmt eine Mittlerrolle ein, sie dient als Grundlage eines um 1831 entstandenen Atelierbilds, das sich heute im Museum der bildenden Künste Leipzig befindet.
Vergleicht man Zeichnungen, Ölskizze und Gemälde mit Arbeiten anderer Künstler und aktuellen Fotos, fällt auf, wie stark Blechen die Szene romantisiert hat: Die Schlucht gerät von Mal zu Mal schmaler, die Berge immer höher, die Schattenzonen geheimnisvoller. Das extreme Hochformat der Ölskizze unterstützt den dramatischen Effekt. Dass Studien wie diese seine Zeitgenossen begeistert haben, ist überliefert. Und ein Aufkleber auf der Rückseite belegt, dass das „Mühlental bei Amalfi“ noch 1880 als Kopiervorlage angehender Maler im Umfeld der Akademie in Gebrauch war.
Etwa doppelt so groß, präsentiert sich der „Tiberiusfelsen auf Capri“ beinahe bildmäßig. Das Sujet ist nicht eindeutig, es könnte der Monte Tiberio oder, wie Markus Bertsch vermutet, der Monte Solaro mit der Certosa San Giacomo sein. Auch diese Ansicht nimmt Blechen mehrmals auf: in zwei weiteren motivgleichen Ölskizzen (Niedersächsisches Landesmuseum Hannover; ehem. Privatbesitz Zürich) und dem Gemälde „Nachmittag auf Capri“ (Österreichische Galerie Belvedere, Wien). Das eigentliche Thema der Ölskizzen sind die durch Licht modulierten Formen und Farben: das tiefe Azurblau des Meeres und, etwas heller, des Himmels, und der vor Hitze glühende Fels der Insel, die schon damals als touristisches Ziel entdeckt worden ist. Blechen malt nicht das Land, wo die Zitronen blühn, sondern, in Fontanes märkischer Prosa, „helle Töne, Sonnenbrand, gelbe Kahlheit“. Mit dem Wissen um Klimawandel und overtourism blickt man heute noch einmal ganz anders auf seine Bilder.
Noch pointierter, reduzierter, beinahe abstrakt, kommt eine Ölskizze daher, die 2019 für die Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz zurückgewonnen werden konnte. Auch „Aus dem Apennin“ ging 1945 an seinem Auslagerungsort bei Cottbus verloren und galt als Kriegsverlust. Seit 1992 weiß man in Branitz allerdings, dass das Bild noch existiert, weil es damals auf einem Berliner Flohmarkt den Besitzer gewechselt haben soll. Nun kehrte es mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder in seinen angestammten Sammlungskontext zurück: die ab 1913 entstandene Cottbuser Carl-Blechen-Sammlung.
Der Bildtitel „Aus dem Apennin“ ist, wie viele andere, vermutlich eine Erfindung von Paul Ortwin Rave, der 1940 das Werkverzeichnis zu Carl Blechen vorlegt, wo die Ölskizze im Sammelkapitel „Landschaftsstudien aus Italien“ aufgenommen ist. Als die Stadt Cottbus 1915 das Bild im Berliner Auktionshaus Rudolph Lepke erwirbt, lautet der Titel noch „Felsenstudie mit Wasser“. Genauere Anhaltspunkte, wo Blechen seinem Motiv begegnet ist, ergeben sich nicht.
Hier frappiert nicht, was Blechen malt, sondern wie er es tut. Mit beherztem Schwung legt sich unwirtliches Gelände um einen rätselhaft blauen Teich oder See. Doch die eigentliche Sensation spielt sich am Himmel ab, wo gleich aus tiefdunklen Wolken ein Gewitter losbrechen wird. Es ist ein Hochgenuss zu sehen, wie nervös Blechen hier – und ebenso in der pastosen Zone von Ton, Steinen, Erden – den Pinsel führt.
Peter-Klaus Schuster spricht mit Blick auf Blechens italienische Reise von einem „Kult der Ölskizze“ im Sinne einer „Aneignung von Wirklichkeit nur noch nach den Besonderheiten von Licht und Farbe, die für eine Landschaft zu einer gewissen Stunde charakteristisch sind“. Auf unserem Bild werden aus dieser gewissen Stunde Minuten: Malerei für den Augenblick. Dass er mit seiner Haltung um 1830 nicht allein steht, ließ sich unlängst eindrucksvoll in der von Florian Illies kuratierten Ausstellung „Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“ in Düsseldorf und Lübeck nachvollziehen – so bei Ölskizzen des Niederländers Anton Sminck van Pitloo, den Blechen 1829 in Neapel trifft.
Vor der Auslagerung 1943 wird die Cottbuser Blechen-Sammlung im Städtischen Museum präsentiert. Bereits 1947 beginnt trotz herber Kriegsverluste – noch heute werden allein 23 Arbeiten Blechens vermisst – die Geschichte der Blechen-Ausstellung im Pückler-Schloss Branitz. Seit 2022 beherbergen die neu konzipierten Fürstenzimmer des Schlosses eine Sammlung, deren Kernbestand rund 80 Werke Blechens umfasst. Blechen und Fürst Pückler sind sich nie begegnet. Was in Branitz vor bald 80 Jahren als Provisorium begann, hat sich dank kluger musealer Vermittlung zu einem freundlichen Zwiegespräch von „zwei Meistern der Landschaft“ entwickelt.
Direkter mit Fürst Pückler verknüpft ist eine sensationelle Serie von 74 großformatigen Aquarellen des preußischen Hofmalers Carl Graeb (1816–1884), die mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder für die Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“ erworben werden konnte. Sie kehrt nun aus adligem Familienbesitz dauerhaft an ihren Ursprungsort zurück, nachdem sie 2018 bei den Vorbereitungen einer Ausstellung wiederentdeckt und zwei Jahre später erstmals in Muskau vollständig ausgestellt worden ist.
Kein anderer deutscher Park des 19. Jahrhunderts ist so flächendeckend und durch topografisch und botanisch derart präzise Ansichten dokumentiert worden – nicht einmal von Graeb, dessen in den 1840er- bis 60er-Jahren entstandenen Potsdamer Aquarelle (Potsdam, SPSG, Graphische Sammlung) nur Teile des dortigen Gartenreichs vorstellen. In Muskau waren seine Aquarelle bereits der zweite Aufschlag, hatte der „Grüne Fürst“ doch schon August Wilhelm Schirmer mit einer Reihe von Parkansichten beauftragt, die seine 1834 erschienenen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ illustrieren.
Die Blätter des Muskauer Albums bilden als Konvolut ein gemaltes Garteninventar und sind zugleich Kunstwerke auf feinstem französischen Aquarellpapier, montiert auf Kartons mit Goldschnitt. Vergleichbare Gartenserien finden sich in der Aquarellsammlung Queen Victorias auf Schloss Windsor. Serien wie die Muskauer stehen fest in der topographical tradition der britischen Kunstwelt, die in vielen Medien, von der Druckgrafik bis zu Wedgwoods Steingutgeschirr, Erfolge gefeiert hat. Halb Kunstgenuss, halb Bildungsprogramm, und oft genug Besitzstandsanzeige, werden topografische Ansichten zum Spiegel einer gartenverliebten Gesellschaft.
Graeb malt ab 1855 in mehrjähriger Tätigkeit die Ansichten des Pücklerschen Landschaftsparks mit seinen Brücken und Gebäuden, einige Außen- und Innenansichten des Schlosses und – eine echte Überraschung – zwei ebenfalls zum Besitz gehörende Hüttenwerke sowie das Muskauer Alaunbergwerk im Auftrag des neuen Besitzers der Standesherrschaft Muskau, Prinz Friedrich der Niederlande. Aus zeitgenössischen Rezensionen und Lexikoneinträgen weiß man, dass die Folge ursprünglich über 100 Blatt umfasst und weitere Industrieanlagen vorgestellt hat. Der Künstler dokumentiert die größten Schätze der Lausitzer Standesherrschaft – Park, Bauten, Industrie – gut zehn Jahre nachdem der bankrotte Fürst Pückler 1845 seinen Besitz verkaufen und sich nach Branitz zurückziehen musste. Graebs Aquarelle zeigen den aufgewachsenen Park: blühende Landschaften, die ihr Schöpfer nicht mehr genießen kann. Was Graeb in meisterhaften Farb- und Lichtstimmungen einfängt, ist die „Parkomanie“ nach Pückler: ein Renommier-Album seines stolzen neuen Besitzers, der mit Carl Eduard Petzold auch einen hervorragenden Garteninspektor beschäftigt.
Prinz Friedrich der Niederlande aus dem Hause Oranien-Nassau wird 1797 im Berliner Exil geboren, heiratet 1825 die preußische Prinzessin Luise und wird damit der Schwager zweier preußischer Könige: Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Bei einem angeregten Gespräch in Sanssouci, in dem es vielleicht um die Freuden und Sorgen des Parkbesitzes ging, wird Friedrich Wilhelm IV. stolz Graebs Aquarelle vorgezeigt haben. Der Prinz jedenfalls erteilt dem Berliner Künstler 1855 einen Großauftrag. Ende August schreibt Friedrich aus Muskau an Friedrich Wilhelm in Potsdam: „Mit Graeb bin ich was ehrliches herumgegangen um ihm verschiedene Punkte und Gegenstände anzuweisen die ich wünsche daß er zeichnen soll. Er scheint die Sache mit Freude aufzufassen und ich hoffe, daß eine hübsche und interessante Sammlung zusammen kommen wird, an der er aber rechnet 3 bis 4 Jahre Arbeit zu haben. Einiges hat er jetzt bereits angefangen aufzunehmen, da ich wünsche zu Weihnachten bereits einige Blätter an Luise geben zu können.“
Hohe Erwartungen an einen peniblen Arbeiter. Die Kunsthistorikerin Sibylle Harksen schreibt 1986 über Graebs Malweise: „Auch das fertig ausgeführte Aquarell erhielt bei ihm den Charakter eines sorgsam ausgeführten Ölbilds.“ Graeb konnte wohl auch mit flotterem Strich malen, denn er hat sein künstlerisches Talent zunächst als Theater- und Dekorationsmaler erprobt, und zwar wie Carl Blechen am Königsstädtischen Theater. Blechen leitet, als Graeb die Akademie besucht, die Landschaftsklasse. Früh bereist der junge Künstler Tirol und Frankreich, mehrfach Italien, vielleicht sogar Armenien, wo Skizzen für größere Architektur- und Landschaftsgemälde entstehen, die nicht nur bei Hof, sondern auch unter wohlhabenden Berliner Familien wie den Mendelssohns Gefallen erregen. 1851 erhält er den Titel eines Hofmalers, 1860 die Berufung in die Akademie der Künste. Zur Ausstattung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel trägt er Wandbilder bei. Doch sein eigentliches Metier bleibt die Aquarellmalerei.
Graebs Muskauer Album ist eine einzigartige Quelle. Manche Blätter dokumentieren verschwundenen Fassadenschmuck oder verlorene Parkbauten wie die Gloriette, deren Reste in den 1960er-Jahren verschrottet worden sind und die nach 1990 als Annäherung in allen Details rekonstruiert wurde. Zur Gloriette hat sich ein motivgleiches Studienblatt mit dem Blick aus dem filigranen eisernen Pavillon über die Tränenwiese (Potsdam, SPSG, Graphische Sammlung) erhalten. Es verdeutlicht Graebs Arbeitsweise. Die Potsdamer Bleistiftzeichnung ist teilweise farbig laviert, in freigelassenen Bereichen notiert der Künstler Angaben zu Materialien, Farben und Baumarten. Auf den Aquarellen werden Bäume von Graeb dann so präzise porträtiert, dass sie bei aktuellen Nachpflanzungen zu Rate gezogen werden können. So ist auf der Grundlage einer Ansicht des Schlossteiches die Anpflanzung einer neuen Linde geplant, deren Vorgängerin Pückler als Rest einer barocken Lindenallee respektiert hatte.
Graebs Aquarelle sind von geradezu mikroskopischer Genauigkeit, bis hin zu den Fliegenpilzen am Wegesrand. Um eine vergleichbare Präzision auch im Bildaufbau zu erreichen, benutzt Carl Graeb Hilfsmittel wie die Camera obscura. Der beinahe fotografische Blick seiner Ansichten fällt schon den Zeitgenossen auf. Bemerkenswerterweise beauftragt Prinz Friedrich der Niederlande wenige Jahre nach Graeb auch Fotografen mit der Dokumentation seines Parks. Eine Reihe erhaltener Fotos aus Privatbesitz konnten 2020 im direkten Vergleich mit Graebs Aquarellen gezeigt werden. Was die Tiefenschärfe der Darstellung im Bildraum angeht, erweist sich der brillante Techniker der jungen Fototechnik als deutlich überlegen.
In Friedrich Eggers’ Zeitschrift „Deutsches Kunstblatt“ liest man 1851 über seine Malerei: „Aus diesem Bestreben, die Schöpfung in ihrer lieblichen Fülle gleichsam vor dem Fernglase des Beschauers naturgemäß enthüllen zu können, entspringt denn auch die fast miniaturartige Ausführung, wodurch sich besonders die kleineren landschaftlichen Darstellungen in höchst eigenthümlicher Weise auszeichnen. Was sie indes bei aller Durchführung im Einzelnen so überaus hoch stellt, ist die grosse Meisterschaft, mit welcher Graeb trotzdem das Ganze beherrscht […].“
Wie in einem Fernglas die großen Linien und kleinste Details zusammen sehen – ein passenderes Bild für Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert lässt sich kaum denken.