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Kultur ist für alle

Falko Mohrs, Vor­sitzender der Kulturminister­konferenz und Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, über die integrative Kraft von Kunst und Kultur in einer offenen Gesellschaft

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Hören Sie hier den ausführlichen Podcast #35 Falko Mohrs: „Kulturelle Teilhabe“. Auch auf iTunes und Spotify.

 

Der Kulturbetrieb mit all seinen Institutionen und den vielen Kulturschaffenden hat in der Coronavirus-Pandemie schwer gelitten. Dass harte Einschnitte ins gesellschaftliche Leben nötig waren, steht außer Frage. Dass das gesellschaftliche Leben ohne Kunst und Kultur ärmer ist, allerdings auch. Die Kultur­einrichtungen waren die ersten, die schließen mussten, und gehörten zu den letzten, die wieder aufmachen durften.

In der Zeit, in der die Menschen nicht in Museen, Theater, Opernhäuser und Konzerthallen durften, traten viele Künstlerinnen und Künstler im Netz auf – das Publikum erlebte Kultur zu Hause vom Sofa aus. Das war definitiv besser als nichts. Doch nun, da das Virus endemisch geworden ist, hat sich unser Alltag, das gesamte gesellschaftliche Leben verändert. Nicht zuletzt auch deshalb, weil auf die Corona-Krise mit der Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ohne Atempause das nächste disruptive Ereignis folgte. Hohe Energiekosten, Inflation und andere Kostensteigerungen sind für den gesamten Kulturbetrieb herausfordernd. Denn in einer Zeit, in der Inflation herrscht und in der das Heizen, das Wohnen und die Lebensmittel teurer werden, halten die Menschen ihr Geld zusammen. Das Publikumsverhalten schwankt entsprechend.

Wir stehen jetzt vor der großen Aufgabe, das Publikum wieder zurückzubringen in die Kultur. Denn Kulturgenuss ist kein bloßes Freizeitvergnügen, das krisenbedingt gestoppt wurde. Vielmehr sind Kunst und Kultur tragende Säulen einer offenen Gesellschaft – als Orte des Diskurses und Austausches von Ideen und Meinungen. Es geht also nicht einfach darum, das alte Publikum zurück in die Theatersäle, Konzerthallen und Museen zu holen, sondern darum, auch neue Zielgruppen zu erreichen und an die Orte zu holen, an denen die Demokratie lebendig wird.

Es ist Aufgabe der Politik, den Umwälzungsprozess infolge der disruptiven Ereignisse zu begleiten und zu unterstützen. Wir wollen und müssen den Betrieb eines für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglichen, breiten Kulturangebots aufrechterhalten: für alle Bürgerinnen und Bürger. Resilienz ist dabei das Schlagwort. In einer offenen Gesellschaft, in der Kunst und Kultur als Ausdruck des menschlichen Daseins zugleich Vergangenheitsbewältigung betreiben und Visionen einer künftigen Gesellschaft be­inhalten, gelingt eine Steigerung der Resilienz über mehr kulturelle Teilhabe. Kultur muss für alle da sein!

Mit einem Theaterabonnement verhält es sich ähnlich wie mit einem Zeitungs­abonnement: Die, die es abschließen, gehören mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Generation der Baby Boomer als zu den Millennials. Letztere halten den Besuch einer Theaterpremiere oft für elitär und teuer. YouTube ist egalitär – und lässt sich zu Hause angucken. Kultur kann und darf nicht mit Zerstreuung und Unterhaltung gleichsetzt werden, aber Kulturkonsum soll auch Spaß machen. Um junge Leute in die Kultureinrichtungen zu holen, müssen die Kultureinrichtungen genauso ihre Komfortzone verlassen wie das Publikum, das es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat.

Die aktuellen Krisen haben vielen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Kunst und kultureller Bildung erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Eine Stärkung der kulturellen Teilhabe bedeutet daher, dass insbesondere junge Menschen wieder zurück – und teilweise erstmals – in die Kultur­einrichtungen geholt werden müssen. Kinder brauchen einen barrierearmen Zugang zu Kunst und Kultur – und zwar unabhängig von ihrer Lebenssituation, das heißt von ihrem Wohnort und ihrem Elternhaus. Dazu können Ganztagsschulen einen wichtigen Beitrag leisten. In Niedersachsen werden daher Kooperationen von Schulen mit Kulturbildungsträgern unterstützt. Dies sind insbesondere die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, die Theaterpädagogik, aber auch die Kunst-, Musik- und Tanzschulen in Niedersachsen.

Damit, junge Leute zu Ballettaufführungen und Vernissagen zu locken, ist es allerdings längst nicht getan. Die Gesellschaft ist vielfältiger geworden – entsprechend vielfältig müssen die Kulturprogramme sein, wenn ein diverses Publikum angesprochen werden soll. Und schließlich muss der Zugang zu Kunst und Kultur unkompliziert und möglichst frei von jedweden Barrieren sein. Der Kulturpass ist eine gute Idee. Er sollte allerdings so ausgestaltet sein, dass möglichst viele davon profitieren.

Natürlich muss die kreative Freiheit in der Kunst gewahrt bleiben. Man darf sie nicht auf Zweckgebundenheit reduzieren. Kultur entsteht nicht im gesellschaftsleeren Raum. Sie hat auch einen bildungspolitischen Auftrag. Den nehmen die Kultureinrichtungen auch sehr überzeugt an. Es gibt ein großes Interesse etwa aus den Theatern und Museen selber, sich neuen Themen und Zielgruppen zu öffnen. Sie wollen eine Diversitätsentwicklung auf allen Ebenen und Angebote niedrigschwellig platzieren. Dann nämlich kann Kultur erst ihre besondere, auch verfassungsrechtlich geschützte Rolle spielen – und eine große integrative Kraft entfalten. Wir wollen sie dabei unterstützen, indem wir zum Beispiel theater- und kunstpädagogische Projekte fördern.

Kulturelle Vielfalt ist Ausdruck gesellschaftlicher Stärke: Kunst und Kultur stärken den Zusammenhalt, insbesondere wenn es gelingt, Menschen aus verschiedenen Milieus und generationenübergreifend zusammenzubringen. In Niedersachsen werden Kultureinrichtungen dabei unterstützt, sich stärker an den Bedarfen des Publikums zu orientieren und sich weiter für neue Publikumsschichten zu öffnen. So soll beispielsweise mit Programmen zur Entwicklung von Dritten Orten als Kulturorte eine niedrigschwellige Möglichkeit des Austausches untereinander und der Begegnung mit Kunst und Kultur möglich gemacht werden. Zur Stärkung der kulturellen Teilhabe gehören nicht zuletzt auch barrierefreie Zugänge und Kommunikation in Leichter Sprache.

Um neue Zielgruppen zu erreichen, müssen kulturelle Angebote auch digital noch besser aufgestellt werden. Nicht, um Kunst und Kultur in Gänze im digitalen Raum zu belassen, sondern, um Begeisterung zu wecken und die Menschen dann doch raus aus ihren Wohnungen und an die Veranstaltungsorte zurückzuholen. Einige gehen diesen Weg bereits erfolgreich. Ich wünsche mir, dass solche guten Beispiele Strahlkraft entfalten und als Vorbild für andere dienen. Die Digitalisierung im Kunst- und Kulturbereich ist ein Teil der Veränderung, auf die sich sowohl Kultureinrichtungen als auch Kulturschaffende einstellen müssen – und die ganz neue und spannende Formate hervorbringen wird. Denn Digitalisierung in der Kultur bedeutet nicht nur, Analoges und Digitales gewinnbringend zu verbinden, sondern auch, interdisziplinär zu denken und Kultur mit Wissenschaft und Forschung noch stärker zu verzahnen. Es geht darum, beste Bedingungen für kulturelles Erleben zu ermöglichen.

Gerade in den ländlichen Räumen sichern Kultureinrichtungen und Kultur­schaffende mit ihrer Arbeit die kulturelle Grundversorgung, sie sind Diskurs- und Versammlungsorte, Projekt- und Ausstellungsräume sowie Impulsgeber für zukunftsweisende Projekte. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Für eine demokratische offene Gesellschaft ist Kultur nicht nur relevant, sondern lebenswichtig.

Um dem Anspruch, dass Kultur für alle ist, gerecht zu werden, müssen wir den aktuellen Veränderungsprozess nutzen für eine von der Gesellschaft getragene Transformation des Kulturbetriebs. Kultureinrichtungen und Kulturschaffende arbeiten daran, wie sie mit dem Wandel und den neuen Herausforderungen umgehen. Die Aufgabe der Politik ist es, die Transformation positiv zu begleiten und Kulturschaffende und -institutionen bei Veränderungsprozessen zu unterstützen. Dazu ist in Niedersachsen die Erhöhung der Pro-Kopf-Ausgaben des Landes für Kultur geplant.

In diesem Jahr hat Niedersachsen außerdem insgesamt 77 Millionen Euro für die Kultur- und Veranstaltungsbranche bereitgestellt, um den Betrieb eines für alle zugänglichen, breiten Kultur- und Veranstaltungsangebots aufrechtzuerhalten. Niedersachsen setzt darauf, der Kulturbranche unbürokratisch zu helfen sowie Planungssicherheit zu verschaffen – damit sie Kultur für alle in bewährten, aber auch in kreativen, ganz neuen Formaten anbieten kann.

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