Künstler im „Dritten Reich“

Kunst im „Dritten Reich“ und „Innere Emigration“ sind zwei schwierige, miteinander verbundene Problemfelder. Hier kann es kaum einfache oder klare Ergebnisse geben. Schon der Begriff der „Inneren Emigration“ ist umstritten und wird häufig abgelehnt, scheint er doch eine bewusste Entscheidung, verdeckte Kritik – Camou­flage – und einen gewissen Heroismus nahezulegen, den man in der Wirklichkeit selten antrifft. Erstaun­licherweise hat man sich mit dem Thema innerhalb der Kunstgeschichte kaum dezidiert beschäftigt. Nach 1945 wurde die offizielle NS-Kunst der sogenannten Entarteten Kunst plakativ entgegengesetzt. Die in Deutschland verbliebenen wichtigen Künstler wurden aufgrund der Diffamierung ihrer Werke in der NS-Zeit oft pauschal rehabilitiert. Die Museen versuchten die Verluste der Beschlagnahmungen auszugleichen. An der Produktion der Jahre zwischen 1933 und 1945 und deren Voraussetzungen war man weniger interessiert. Die „Abstraktion“ galt als neue Weltsprache der Kunst. Das Interesse richtete sich schnell auf das Wiederanknüpfen an die unterbrochene Moderne und nicht auf eine differenzierte Aufarbeitung der Vergangenheit.

Diese Tendenz ging oft mit der pauschalen Einschätzung einher, dass unter „totalitären Bedingungen“ gar keine relevante Kunst entstehen könne, was die Kunstproduktion nach 1933 ins Abseits stellte. Der Dichter Gottfried Benn belegt das eindrucksvoll. Er hatte 1933 kurz mit den neuen Machthabern sympathisiert und war nach 1945 sogar so mutig oder verwegen, den Nationalsozialismus als „ehrlichen“, dann aber verbrecherisch missbrauchten Versuch der Krisenbewältigung in der Moderne zu bezeichnen. Der Schriftsteller schrieb in einem Brief vom 4. April 1937 mit Blick auf den neuen Staat drastisch: „Ich betrachte ausnahmslos u. alles, was ich irgendwo aus deutschem Hirn gedruckt sehe von vornherein für allerletzten Dreck. Was heute die Lizenz der Schriftleiter u. Lektoren passiert, muß Dreck sein.“ In seiner Poesie und Prosa sowie in einigen Essays rechnete Benn schonungslos mit den National­sozialisten ab; in seinem Alltagsleben passte er sich jedoch durchaus an – trennte er die Sphären von Geist bzw. Kunst und Macht doch kategorisch. Zugleich wurde Benn im September 1937 vom Reichsführer SS, Heinrich Himmler, gegen Attacken von Neidern auf bezeichnende Weise verteidigt. Himmler verbot seinen Dienststellen jede Einmischung und hielt dem Denunzianten Wolfgang Willrich entgegen: „Ich glaube aber, daß dieser Kampf [gegen die ‚Entartete Kunst‘, Anm. d. Red.] nicht so, wie ich bei Ihnen den Eindruck habe, Lebensinhalt und Amoklaufen werden darf.“

Der Hinweis auf Benn zeigt bereits alle Facetten möglichen Agierens – alltägliche Anpassung, intellek­tuelle Distanz, literarischen oder künstlerischen Widerstand – und deren Bedingungen: kurzfristiges Engagement für den Nationalsozialismus, „Innere  Emigration“, Angriffe auf die eigene Person, Inschutznahme durch prominente Funktionsträger. Mit diesen Aspekten ist auch die Alltagswirklichkeit des „Dritten Reichs“ angesprochen und die Frage nach dem Handeln oder Nicht-Handeln der deutschen Bevölkerung und der Künstler angesichts von Einschüchterung und Bedrohung, aber auch von Förderung und Belohnung mit Blick auf Ablehnung oder Annäherung. Den ausgebildeten Arzt Benn hätte es sicherlich gefreut zu hören, dass der Zeitgeschichtler Martin Broszat den aus der Medizin entlehnten Begriff der „Resistenz“ in die Diskussion einführte, um zwischen den Polen Anhängerschaft und Widerstand bzw. Kooperation und Opposition zu differenzieren. Der Terminus wurde verschiedentlich kritisiert und mit Begriffen wie Distanz, Dissens oder gar „loyale Widerwilligkeit“ zu unterscheiden versucht, prägte aber ab den 1980er-Jahren die Debatte.

Der Hinweis auf die Zeitgeschichte – sie war mit Blick auf eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus überhaupt erst begründet worden – zeigt zweierlei: erstens, wie spät über eine Auflösung der scharfen Entgegensetzung diskutiert wurde, und zweitens, dass erst nach 1980 begriffliche Schattierungen skizziert wurden, die der Kunstgeschichte analytisch weiterhelfen konnten. Die individuelle Fallanalyse wurde notwendig, um das angemessene Verständnis der einzelnen Handlungen zu gewährleisten. Die 1945 geführte scharfe Kontroverse zwischen dem Exilanten Thomas Mann einerseits und seinen Schriftstellerkollegen ­Walter von Molo und Frank Theiß andererseits um den Begriff der „Inneren Emigration“ zeigte früh die Fruchtlosigkeit der Pauschalisierung und die Notwendigkeit der Differenzierung an. Theiß hatte im Sommer 1945 einen Artikel in der „Münchner Zeitung“ mit dem Begriff überschrieben, der aber schon zur Zeit des „Dritten Reichs“ benutzt wurde, etwa von Klaus Mann 1939. In der bildenden Kunst ging es um „Entartung“ – die nun zur Auszeichnung wurde – und „Abstraktion“. Vereinzelt wurde Künstlern das Engagement für den National­sozialismus oder ein „Mitläufertum“ angekreidet, etwa wenn Karl Hofer den Namen Franz Radziwills in „Naziwill“ abwandelte. Der Begriff „Innere Emigration“ wurde für die Kunst übernommen. Der diffamierte Ernst Barlach interpretierte sich kurz vor seinem Tod in diesem Sinne 1937 selbst. Kurz nach Kriegsende wurde Max Pechstein als „innerer Emi­grant“ bezeichnet. Wirklich benutzt wurde der Begriff kaum – „entartet“ überwog – und konzeptualisiert schon gar nicht.

Was als Kunst der „Inneren Emigration“ bezeichnet werden könnte, bereitete sich in der Endphase der Weimarer Republik vor, denn bereits ab 1930 waren die Künstler mit der aufkommenden und immer stärker werdenden NS-Bewegung konfrontiert. Vor allem die Regierungsbeteiligung der NSDAP im Land Thüringen im Jahr 1930 konnte vor Augen führen, was die Künstler im Falle einer Machtübernahme im Deutschen Reich zu erwarten hätten. In Weimar versuchten die Nationalsozialisten umgehend, das noch existente Erbe des Bauhauses, das inzwischen nach Dessau übergesiedelt war, zu zerstören und nahmen in der Kunstsammlung Gemälde von Künstlern wie Otto Dix, Lyonel Feininger, Paul Klee oder Oskar Schlemmer von den Wänden. Diese Vorgänge stießen zunächst nur auf Staunen und Unglauben und wurden in ihrer Tragweite und Beispielhaftigkeit verkannt. Aber einige Künstler wurden hellhörig. Der in Frankfurt unterrichtende Max Beckmann, der im Zusammenhang mit der Ausstellung seines großformatigen Gemäldes „Der Strand“ auf der Biennale in Venedig 1930 von denin Italien herrschenden Faschisten attackiert worden war und deshalb auch die Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten erregte, reagierte. Er schrieb an seinen Kunsthändler Günther Franke am 23. Oktober 1930: „Vergessen Sie nicht wenn Sie dazu Gelegenheit haben, den Nazis beizubringen daß ich ein deutscher Maler bin. Mittwoch stand im Völkischen Beobachter bereits ein Angriff gegen mich. Vergessen Sie das nicht. – Es kann einmal wichtig werden.“

Die generelle Fehleinschätzung der konkreten Vorgänge konnte auch 1933 noch der Fall sein, als es nach der Machtübernahme zu spontanen, sogenannten  Schandausstellungen kam. In Städten wie Dresden, Karlsruhe oder Mannheim bemächtigten sich lokale Künstler und Funktionäre des von Alfred Rosenberg geleiteten „Kampfbundes für Deutsche Kultur“ der Museen, magazinierten Werke, stellten ihre Kollegen an den Pranger und kontrastierten deren Werke mitunter mit den eigenen, als vorbildlich eingestuften Arbeiten. Hier zeigten sich ganz grundsätzliche Mechanismen, die selbst von NS-Funktionären wie Himmler und Goebbels scharf kritisiert wurden: die Aktivität von lokalen, zweitrangigen Figuren; der bloße Neid auf erfolgreichere Kollegen; die Konfrontation von „entartet“ (jüdisch-bolschewistisch) und „arteigen“ (deutsch); die Diffamierung mittels Herabwürdigung der Werke (z. B. durch Entrahmung und irreführend-agitatorische Beschriftung).

Mit der Verunglimpfung sowie dem Verlust von Stellen, Auftraggebern und Ausstellungsmöglichkeiten stellte sich die Frage von Engagement, Anpassung, „Innerer Emigration“ oder Exil immer drängender. Eine besondere Gruppe von Künstlern stellten hier die Vertreter des sogenannten rechten Flügels der Neuen Sachlichkeit dar. Sie – u. a. Alexander Kanoldt und Georg Schrimpf sowie Franz Lenk und Franz Radziwill – traten zum Teil an die Stelle entlassener Akademieprofessoren. In den frühen 1930er-Jahren wurde ihre Malerei unter dem Etikett einer „Neuen Deutschen Romantik“ diskutiert, und damit war eine Richtung aufgerufen, die das Werk dieser Maler in die Tradition der deutschen Kunst rückte. Daran knüpfte sich die Perspektive, von den Machthabern toleriert oder gar gefördert zu werden, denen man mitunter ideologisch nahestand. Jedoch: Georg Schrimpf, der sich 1918/19 in München für die linke Räterepublik eingesetzt hatte, erhielt Mitte der 1930er-Jahre einen Auftrag von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, ohne dass er zum Nationalsozialismus konvertiert war. Franz Radziwill hingegen sympathisierte mit dem linken Flügel der NSDAP, wurde zum Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie ernannt und engagierte sich im Sinne des NS kunstpolitisch. Gleichwohl brachten auch in seinem Fall Neider das expressionistische Frühwerk gegen ihn in Stellung. Radziwill verlor seine Professur und zog sich nach Dangast zurück. Dabei wurde er aber von seinem lokalen Gauleiter und der Kriegsmarine weiterhin unterstützt. Der frühere Kommunist, Dadaist und Libertinär Rudolf Schlichter näherte sich ebenfalls der neuen Ästhetik an und formulierte eine Art „Denkschrift“. Aber er empfand darüber in den letzten Kriegsjahren selbst auch Scham, wenn er sich eingestehen musste, wie sehr er sich doch dem künstlerischen „Spießergeist“ der Nationalsozialisten angepasst hatte. Bei Schlichter haben wir den ungewöhnlichen Fall einer dezidierten Kritik, ja Bekämpfung der späten Weimarer Demokratie vor uns, die nach 1933 in eine Widerwilligkeit gegenüber dem NS-Regime trans­formiert werden konnte. Schlichter war gut mit der Galions­figur des rechten antidemokratischen Nationalismus, Ernst Jünger, befreundet, den er zweimal porträtierte. Dieses Beispiel zeigt die facettenhafte Prozess­haftigkeit des Vorgangs „Innere Emigration“.

Eine Voraussetzung dafür war, dass nach der Machtübernahme 1933 vielen Künstlern die kultur­politische Situation noch als relativ offen erscheinen konnte. Das lag zum einen an einer fehlenden kunst­politischen Strategie der Machthaber und zum anderen an deren internen Fraktionskämpfen. Die gleichnamige Ausstellung und die daran geknüpfte Beschlagnahmungs- und Verwertungsaktion „Entartete Kunst“ ab 1937  stellten hier eine tiefgreifende Zäsur dar, auch wenn sie de facto nicht das Ende der modernen Kunst im „Dritten Reich“ bedeuteten, wohl aber deren Existenz an Ränder oder ins Geheime abdrängten. Künstlerstrategien änderten sich jetzt oder wurden abgebrochen. Nachdem Max Beckmann zuvor Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München im Radio gehört hatte, verließ er mit seiner Frau Quappi am Tag der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München Deutschland. In Amsterdam lebte er bis 1947 und war zwischen 1940 und 1945 unter deutscher Besatzung ausgesprochen produktiv. Lange hatte Beckmann, der zum Teil nationalsozialistisch beeinflusste Sammler und Förderer besaß, abgewartet. Auch er war entlassen worden, auch er hatte sich zurückgezogen und auch er überlegte, wie man im neuen Staat reüssieren könne. Allerdings verwarf er nach und nach jede Möglichkeit des Arrangements, untersagte 1934 seinem Kunsthändler, Aufhebens um seinen 50. Geburtstag zu machen und ging stattdessen auf Distanz und schließlich ins Exil. Unter der Besatzung hielt er aber Verbindungen nach Deutschland aufrecht, und seine Bilder wurden nach Deutschland gebracht und verkauft. Daran kann man sehen: Neben der offiziellen Kunst, die aufgrund ihrer schwachen Qualität aber eher mehr und mehr zum bloßen Ausstattungsstück von Amtsstuben verkam, existierte ein zweiter, inoffizieller Kunstmarkt, der entweder mit neuen Arbeiten oder in Museen als „entartet“ beschlagnahmten Werken bestückt wurde. Der „entartete“ Emil Nolde etwa bekam massive Schwierigkeiten mit dem NS-Regime, weil er trotz Verfemung so gut verkaufte.

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ hatte zwar die immer wieder aufgeflammte Diskussion über den zukünftigen Status des Expressionismus im „Dritten Reich“ offiziell beendet, aber die Lebensrealität des NS-Staates war komplexer. Man konnte im NS-Staat überleben, weil das Regime trotz aller Repressionsmaßnahmen die bildenden Künstler relativ ungeschoren davonkommen ließ. Selbst ein Maler wie Otto Dix, dessen Menschenbild und dessen Kriegsdarstellungen dem Regime tief verhasst waren, konnte als Mitglied der „Reichskammer der bildenden Künste“ seine Landschaften weiterhin ausstellen und verkaufen und tat dies noch zu Beginn der 1940er-Jahre . Zwar wurden seine Werke aus den Museen entfernt und er verlor seine Professur, aber seine Existenz war zu keinem Zeitpunkt lebensbedrohlich in Frage gestellt. Man konnte im „Dritten Reich“ auch überleben, weil das Regime trotz seiner ab 1937 proklamierten offiziellen Ästhetik so sehr in sich zersplittert war, dass sich immer wieder Nischen auftaten, in die man schlüpfen und dort ein Auskommen haben konnte. Hier waren dann mitunter allerdings Tendenzen der Anpassung zu beobachten und nötig, wurde die vormals revolutionäre Ästhetik abgemildert und eine gewisse Konformität gesucht beziehungsweise ein bereits vor 1933 eingeleiteter Stilwandel weiterentwickelt – für Dix und Heckel könnte das gezeigt werden. Die in dieser Arsprototo-Ausgabe dokumentierten Erwerbungen zeigen zwei zentrale Felder auf, die als Folge der zerstörerischen NS-Kunstpolitik heute weiter relevant sind: erstens die Ergänzung der zerstörten Sammlungen moderner Kunst, mit denen Deutschland in der Zwischenkriegszeit weltweit führend gewesen war, sowie zweitens die Erinnerung an das Festhalten an und Beharren auf die eigene künstlerische Integrität. Flankiert wird dieses Bemühen heute von einer gewandelten Museumspolitik, die die Jahre 1933 –1945 offensiver thematisiert. Die schwer zu fassende „Innere Emigration“ ist hierbei von beispielgebender und leider aktueller Bedeutung für das Ver- und Beharren der Kunst, wenn „erwählte Völker Narren eines Clowns“ (Gottfried Benn) geworden sind.