Wechselnde Landschaften
Von „innerer Emigration“ ist immer wieder die Rede, wenn über Otto Dix im Kontext des Nationalsozialismus geschrieben wurde. Die Situation des Malers in dieser Zeit zu rekonstruieren, gestaltet sich bei näherer Betrachtung knifflig. Einerseits verlor der Künstler sein Professorenamt an der Dresdner Akademie und wurde im Zuge der sogenannten Schandausstellungen sowie der Aktion „Entartete Kunst“ rücksichtslos an den Pranger gestellt. Andererseits deuten vereinzelte Ausstellungsbeteiligungen, Aufträge und Verkäufe sowie seine Mitgliedschaft in der „Reichskammer der bildenden Künste“ auf ein vermeintlich normales Künstlerleben hin. Das stark eingeschränkte Verkaufs- und Ausstellungsaufkommen weist jedoch darauf hin, dass es sich nicht um eine „Normalität“ im Sinne einer freien künstlerischen Entfaltung handeln kann. Aufschluss bietet hier ein Blick auf das während der NS-Zeit entstandene Werk, welches als gewichtige Quelle zur Reflektion der Frage nach der „inneren Emigration“ in Bezug auf Otto Dix zu beleuchten ist.
Als Zeugnis dieser Zeit beinhaltet das Gemälde „Selbstbildnis mit Palette vor rotem Vorhang“ von 1942 essenzielle Anhaltspunkte, die auf die Lebensumstände des Malers in der süddeutschen Abgeschiedenheit wie auch dessen künstlerischen Wandel verweisen. Wie im Titel genannt handelt es sich um ein Selbstporträt; ausstaffiert mit Pinsel in seiner rechten und Palette in der linken Hand, sitzt der Künstler leicht vorgebeugt im Malerkittel vor einer gebirgigen Landschaft mit Unwetter im Hintergrund, die sich hinter einem gelüfteten, roten Vorhang in die Tiefe erstreckt. Seine Physiognomie ist von Nachdenklichkeit geprägt, Denkfalten durchfurchen die Stirn, die Augen sind verschattet, der Mund regungslos und versteinert in seiner Wirkung.
Im historischen Zusammenhang erschließen sich Bildinhalte wie die altmeisterlich anmutende Selbstdarstellung und Elemente wie die Landschaft: Dass das Selbstbildnis in altmeisterlicher Manier vor Landschaft autobiographische wie künstlerisch-reflektierende Inhalte birgt, legt der kunstpolitische Kontext nahe.
Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 wurde Dix fristlos von seinem nicht beamteten Lehrstuhl an der Dresdner Akademie auf der Brühlschen Terrasse entlassen. Zur Begründung führte der Reichskommissar für Sachsen Manfred von Killinger (1886 –1944) an, Dix Bilder seien geeignet, „den sittlichen Wiederaufbau [zu] gefährden, [und] den Wehrwillen zu beeinträchtigen“.
Neben den scharf kritisierten Gemälden der 1920er Jahre wurde auch seine bis 1925 dauernde Mitgliedschaft in der Dresdner Sezession sowie die Nähe zu linkspolitisch aktiven Freunden bemängelt. Wenngleich der Maler selbst als unpolitisch galt, hatte er mit seiner veristischen Malerei dennoch gesellschaftliche Missstände kritisch fokussiert. Es folgte sein erzwungener Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied Dix seit 1931 gewesen war. Im September 1933 wurde zudem dieerste Wanderschau „Entartete Kunst“ und dort Dix’ Gemälde „Kriegskrüppel“ und „Schützengraben“ gezeigt. Der Künstler selbst wurde als „Kulturbolschewik“ diskriminiert.
Noch im Jahr der Amtsenthebung verließ die Familie Dix Dresden und zog nach Randegg nahe dem Bodensee. Ende 1936 bezog sie schließlich das eigens erbaute Atelierhaus in Hemmenhofen mit Blick auf den Untersee, welches mit Hilfe einer Erbschaft von Martha Dix finanziert wurde. Zeitgleich mit dem Verlassen der Stadt Dresden gab der Künstler das für ihn so charakteristische gesellschaftskritische Sujet auf: Das Gros seiner Werke stellte nun nicht mehr soziale Milieus und kritisch-sezierende Porträts dar, sondern primär Landschaften, an der altdeutschen Malerei orientierte Porträts und ab 1937 zudem christliche Motive. Landschaft – dieser Begriff ist gleichermaßen prägend als Dix’ Lebensort und dominantes Motiv zwischen 1933 und 1945. Vielfach sind morbide und furchteinflößende Naturelemente wie Stürme, abgestorbene Bäume, düstere Bildstimmungen und seltsame Lichtverhältnisse aufgeführt, wie etwa in dem Gemälde „Düstere Landschaft“ von 1940. Es sind dies antiklassische, Unbehagen transportierende Darstellungen, die nicht allein eine Fiktion abbilden, sondern die Dix umgebende Landschaft nahe dem Bodensee – sein eigenes Milieu in der „inneren Emigration“ – wiedergeben. Dix’ seit Ende der 1920er Jahre entwickeltes Interesse an der Malerei der damals kunsthistorisch als „Donauschule“ subsummierten Malerei, also den für die Augen des frühen 20. Jahrhunderts „expressiv“ anmutenden Landschaftsbildern eines Albrecht Altdorfer (um 1480 –1538), findet sich in diesen Bildern ebenso wieder wie Rückbezüge zur Malerei der Romantik Caspar David Friedrichs (1774 –1840). Wie bittere Ironie erscheint da die zeitgleiche völkische Vereinnahmung dieser Kunst durch die Nazis. In dieser Werkphase entstand auch das Gemälde „Selbstbildnis mit Palette vor rotem Vorhang“. Unbehaglich erscheint der Maler, innehaltend und kritisch reflektierend in seiner versunkenen Pose vor dem roten Vorhang. Als sei er im Moment kritischer Reflexion dargestellt, hinter sich eine Unwetterlandschaft, in der die stürmischen und tristen meteorologischen Verhältnisse an eine kriegsähnliche, von Rauschschwaden geprägte Atmosphäre erinnern. Was hinter dem gelüfteten Vorhang zum Vorschein kommt, ist nicht das Groteske, das Dix-Spezifische, das frappierende Motiv der Weimarer Republik – es ist die Gegenwart: die Landschaft als Medium des Überlebens, da das authentische und frei gewählte Motiv zensiert wurde.
1935 zeigte Dix seine Arbeiten etwa in der Galerie Nierendorf in Berlin, beim Kunsthaus Schaller in Stuttgart sowie 1940 in der Galerie Gerstenberger in Chemnitz. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Ausstellung „Zwei deutsche Maler. Otto Dix und Franz Lenk“. Ausgestellt waren sowohl von der Kunst der deutschen Renaissance und Romantik inspirierte Ölgemälde als auch Silberstift- und Federzeichnungen, wobei es sich vornehmlich um Landschaften beider Maler sowie um Familienporträts von Otto Dix mit seinen Kindern handelte.
Die bei Nierendorf und Schaller gezeigten Motive beinhalteten keine gesellschaftskritischen Bildgattungen. Es verwundert daher nicht, dass sich die vergleichsweise liberaleren NS-Zeitungen angesichts des motivischen Wandels weitestgehend positiv äußerten. So pries die „Deutsche Zukunft“ Dix 1935 als „eine[n] der stärksten Maler von heute“ und die Ausstellung als „eine der lebendigsten und frischesten der letzten Zeit“. In der Zeitschrift „Kunst für alle“ wurde zudem erklärt, Dix sei „vor der Natur genesen“. „Das Schwarze Korps“ als radikales Organ der Reichsführung SS setzte dem entgegen, man habe den Versuch unternommen, den Maler der „Antikriegsbilder“, die „den deutschen Frontsoldaten, die deutschen Kriegsopfer [verhöhnten], die Familien in den Dreck [zogen]“, zu rehabilitieren.
Es folgten Diskreditierungen von Dix’ Person und dessen Werk im 1937 erschienenen Pamphlet „Säuberung des Kunsttempels“ von Wolfgang Willrich (1897 –1948), durch die Beschlagnahmung von 260 Objekten des Malers aus öffentlichem Sammlungsbesitz im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ sowie die Ausstellung von mindestens 26 Werken im Zuge der gleichnamigen Femeschau.
Zeitgleich mit der offiziellen kunstpolitischen Radikalisierung erhielt Otto Dix einige Werkaufträge von privaten Sammlern sowie auch von institutioneller Seite. Verkäufe und Ausstellungsbeteiligungen sowie die Mitgliedschaft in der „Reichskammer der bildenden Künste“ stehen aus heutiger Perspektive in starkem Gegensatz zu der vehementen Diskriminierung, die Otto Dix erdulden musste. Um diesen Widerspruch zu ergründen, arbeitet die Autorin die historischen Fakten sowie die künstlerische Entwicklung wissenschaftlich auf. Fest steht, dass Otto Dix von einem „normalen“ Künstlerleben weit entfernt war, wenngleich er zumindest in den hier gezeigten Einzelfällen am Kunstbetrieb teilnehmen konnte.
Wie bei vielen anderen Künstlern bedeutete die Zurschaustellung von Werken während der Ausstellung „Entartete Kunst“ zwar auch bei Dix nicht das Ende der beruflichen Existenz. Der motivische Bruch mit dem populären wie offensiv sozialkritischen Werk der 1920er Jahre und die stilistische wie motivische Fokussierung „altmeisterlicher Stoffe“ belegen jedoch die existentielle Auswirkung von Zensur und Verfemung. Der Versuch, ein Berufsverbot mit regimekonformen Stilzitaten und Motiven zu umgehen, erscheint als Motivation des Künstlers ebenso naheliegend wie die Sicherung der beruflichen Existenz. Dix’ Malerei geht jedoch darüber hinaus. Im Verborgenen tritt weiterhin das kritische Abtasten seines Motivs zum Vorschein und somit die Reflexion der Gegebenheiten, mit denen sich der Maler konfrontiert sah.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Wüstenrot Stiftung