Kölner Ritus aus Amsterdam

Vielfarbige Bordüren, leuchtende Ornamente und vergoldete Initialwörter zieren die Liturgien zu Rosch ha-Schana, Jom Kippur, Purim, Pessach und Shavuot: Die 331 teils prächtig gestalteten Pergamentblätter des sogenannten Amsterdam Machsor enthalten Gesänge und Gebete aus dem Tanach – der aus Tora, Nevi’im und Ketuvim bestehenden „hebräischen Bibel“ –, die dem liturgischen Jahreszyklus entsprechend an hohen jüdischen Feiertagen vorgetragen werden. Machsorim, mit deren Hilfe der Kantor die öffentlichen Gebete in der Synagoge leitete, waren hauptsächlich in den jüdischen Gemeinden im Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation in Gebrauch, überwiegend von der Mitte des 13. bis zu Mitte des 14. Jahrhunderts. Der kostbare, ca. 1250 entstandene Amsterdam Machsor, jiddisch für Wiederholung bzw. Zyklus, gehört mit 47 auf 34 Zentimetern nicht nur zu den größten heute bekannten hebräischen Codices aus dem Mittelalter, sondern auch zu den frühesten illuminierten Manuskripten aschkenasischer Herkunft.

Ohne Kolophon, das den Schreiber oder Auftraggeber benennt, überliefert das Buch seinen Entstehungshintergrund nicht eindeutig. Dass seine Wurzeln aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch im Kölner Raum liegen, dokumentieren feine Besonderheiten der Liturgie: Das Fehlen einer festgelegten Ordnung der Bußgebete zum Versöhnungsfest Jom Kippur beispielsweise gilt als Eigenheit des Kölner Ritus, den auch kleinere benachbarte Gemeinden, wie etwa Bonn, Remagen und Linz am Rhein praktizierten. Die qualitätvolle Illumination – darunter Löwen, Greifen, ein Pfau und ein Kastell – und die elegante Kalligraphie der hebräischen Quadratschrift legen als Ursprung wiederum eine Metropole und damit das mittelalterliche Köln nahe, wo Schreiber ein solch hohes künstlerisches Niveau erreichten. Spätestens mit der endgültigen Ausweisung der Juden aus Köln 1424 gelangte der Machsor vermutlich an einen anderen Ort – zahlreiche Schreibspuren belegen seine intensive Nutzung hernach. Eine datierte hebräische Notiz in der Handschrift vermerkt schließlich, dass ein in Amsterdam ansässiger Drucker namens Feivesh ha-Levi, in dessen Familienbesitz sich das Buch zuletzt befand, den Machsor 1669 der jüdischen Gemeinde in Amsterdam übergab. Nach rund 350 Jahren im Eigentum der Niederländisch-Israelitischen Hauptsynagoge, bot die Jüdische Gemeinde Amsterdam den Machsor nun zum Kauf an.

Ein internationaler Schulterschluss zwischen dem Joods Hijstorisch Museum Amsterdam, das den Machsor seit 1955 als Dauerleihgabe verwahrt, und LVR in Köln ermöglichte es, dieses Rarissimum unter den hebräischen Handschriften für die Öffentlichkeit, aber auch für die weitere Erforschung zu sichern: Dank der europäischen Kooperationsvereinbarung wird der Machsor wechselseitig sowohl an seinem Entstehungs- als auch an seinem jahrhundertlangen und namensgebenden Aufbewahrungsort zu sehen sein. Insbesondere für das im Entstehen begriffene jüdische Museum in Köln, für das der LVR das wertvolle Artefakt jüdischer Lokalgeschichte hälftig erwirbt, bedeutet dies eine einmalige Chance: Nachdem der Kölner Ritus im Zusammenhang mit der Vertreibung der Juden aus Köln weitestgehend in Vergessenheit geriet, kann das Museum zukünftig mit dem Amsterdam Machsor ein sehr gut erhaltenes Zeugnis dieser liturgischen Ausformung präsentieren. Zunächst in Amsterdam ausgestellt, soll das kulturhistorisch bedeutende Objekt schließlich zur Eröffnung des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier in Köln gezeigt werden. Die glückliche Zusammenarbeit zwischen Köln und Amsterdam, die über Ländergrenzen hinweg der speziellen Biografie des Machsor gerecht wird, unterstützen auf deutscher Seite die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die C.L. Grosspeter Stiftung, das Land Nordrhein-Westfalen, der Rheinische Sparkassen- und Giroverband, die Kreissparkasse Köln sowie die Sparkasse KölnBonn.