Empfehlungen für den Handel mit archäologischem Kulturgut in Deutschland
Der Abschlussbericht zum Download: ILLICID
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, wurden von 2015 bis 2018 wissenschaftliche Methoden zur Beschreibung und Analyse des Handels mit archäologischen Kulturgütern in Deutschland entwickelt und erprobt. In dem jetzt vorgelegten Bericht werden daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet. Verbundpartner des Forschungsprojektes waren die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), das GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT). Dazu kommt eine große Zahl assoziierter Projektpartner. Die Kulturstiftung der Länder hat die Fachredaktion und Veröffentlichung des Berichts ermöglicht.
Bei nur 2,1 Prozent der in Deutschland zum Verkauf angebotenen archäologischen Kulturgüter aus dem östlichen Mittelmeerraum lässt sich anhand der öffentlich zugänglichen Informationen zu diesen Objekten schlüssig nachvollziehen, dass sie legal in Verkehr gebracht wurden. Das hat die Überprüfung der Provenienz von über 6.000 zum Kauf angebotenen Objekten ergeben – ein im Vergleich zu den anfänglichen Vermutungen ungewöhnlich hohes Objektaufkommen, exklusive Münzen. Bei dem überwiegenden Teil der aus Ägypten, dem Irak, dem Iran, Israel, Jordanien, dem Libanon, Syrien, der Türkei und Zypern stammenden Objekte, die angeboten und oft auch verkauft wurden, ist die Provenienz oder die Legalität der Ausfuhr nicht belegt oder anhand der öffentlich zugänglichen Informationen nicht verifizierbar. Bei 2.387 Kulturgütern, die nach wissenschaftlicher Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Irak oder Syrien stammen, konnte anhand der öffentlich verfügbaren Informationen sogar nur für 0,4 % (Irak) bzw. 9,6 % (Syrien) der Objekte angenommen werden, dass diese sich gemäß den einschlägigen EU-Verordnungen legal im deutschen Handel befinden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werteten die öffentlich zugänglichen Objektinformationen auch mit Blick auf die Authentizität der Angebote aus. Bei mehr als der Hälfte (56,3 %) der im Untersuchungszeitraum analysierten, vorgeblich archäologischen Kulturgüter aus dem östlichen Mittelmeerraum konnte die von den Anbietenden behauptete Authentizität der Objekte aus fachwissenschaftlicher Sicht nicht bestätigt werden.
Dazu Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Leiter des ILLICID-Projektes: „Es ist bemerkenswert, dass trotz der strengen Ein- und Ausfuhr- sowie Handelsbeschränkungen, die für archäologische Kulturgüter aus dem Irak und Syrien aufgrund der unmittelbar geltenden EU-Verordnungen in der gesamten Europäischen Union gelten, 38,9 Prozent der im Untersuchungszeitraum in Deutschland gehandelten antiken Kulturgüter aus dem östlichen Mittelmeerraum mit hoher Wahrscheinlichkeit aus diesen beiden Staaten stammen. Auch vor Inkrafttreten der Embargovorschriften war eine legale Ausfuhr archäologischer Kulturgüter aus diesen Staaten aber aufgrund der seit 1869 geltenden Gesetze rechtlich gar nicht möglich. Angesichts der andauernden, umfangreichen Zerstörungen und Plünderungen von archäologischem Kulturgut in Irak und Syrien ist dies ein alarmierender Befund.“
Übergeordnetes Ziel des Forschungsprojekts war, wissenschaftliche Methoden auf ein öffentlich und frei zugängliches Segment des Handels mit archäologischen Kulturgütern in Deutschland – beispielsweise Online-Plattformen, Auktionskataloge oder Fachmessen – anzuwenden, um die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen, rein wissenschaftlichen Vorgehensweise auszuloten und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Nicht öffentlich verfügbare Informationen wie beispielsweise Ergebnisse behördlicher Ermittlungen waren dem Forschungsprojekt nicht zugänglich und wurden demnach auch nicht berücksichtigt.
Auf Grundlage der Forschungsergebnisse hat das Projekt Handlungsempfehlungen für den Verbraucherschutz und die Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung abgeleitet. Dazu Markus Hilgert: „Der Handel mit archäologischen Kulturgütern ist auf Transparenz und Vertrauen angewiesen. Regelungen, die die Legalität und Authentizität der gehandelten Objekte nachvollziehbar machen und damit eine eindeutige Unterscheidung zwischen legalem und illegalem Marktsegment erlauben, stärken Anbietende ebenso wie Erwerbende und damit den Kunsthandelsstandort Deutschland insgesamt.“
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, das Problem- und Verantwortungsbewusstsein für die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Kulturgütern, für deren Gefährdungen und für die besondere Verantwortung der im Kulturguthandel aktiven Institutionen und Akteure zu schärfen. Wichtig für eine derartige Bewusstseinsbildung sind öffentlichkeitswirksame Kampagnen und Vermittlungsformate, sowie die Erweiterung entsprechender Schul-, Studien-, Aus- und Weiterbildungscurricula, sowie die verstärkte Erforschung und Veröffentlichung von Provenienzen.
Zur Stärkung des legalen Handels und des Verbraucherschutzes müssen verbindliche und kontrollierbare Regelungen zur Herstellung von Transparenz über die Legalität und Authentizität der gehandelten Objekte eingeführt werden, damit alle Marktteilnehmer zwischen legal und illegal gehandelten Objekten unterscheiden können. Nur transparente, verifizierbare Provenienzen schützen den Markt effektiv und langfristig vor der Infiltration mit illegal gehandelten oder gefälschten Objekten, was zweifellos auch im Interesse des Handels ist.
Zur Erhöhung der Transparenz empfiehlt der Bericht die Digitalisierung aller Handelspublikationen nach 1945. Zudem muss darauf hingewirkt werden, dass für alle angebotenen Kulturgüter ggf. vorliegende Objektdokumentationen, die die Legalität des Angebots verifizierbar nachweisen, zusammen mit dem jeweiligen Objekt in geeigneter Weise öffentlich gemacht werden.
Zur Stärkung des Verbraucherschutzes wird außerdem der Aufbau einer Datenbank mutmaßlich gefälschter Kulturgüter empfohlen. Außerdem könnten alle aufgrund vorliegender Legalitätsnachweise legal handelbaren archäologischen Kulturgüter, die künftig in den Verkehr gebracht werden sollen, in einem Transparenzregister verzeichnet werden. Auf Basis dieses Transparenzregisters sollte ein Verfahren entwickelt werden, mit dem potentiell legal handelbare Kulturgüter zertifiziert werden. Als Vorbild dafür könnten die Maßnahmen gegen den Handel mit sogenannten ‚Blutdiamanten‘ gelten: Nach Einführung des Kimberley-Prozess-Zertifikationssystems dürfen nur Diamanten aus zertifizierten Minen gehandelt werden. Der Handel mit sogenannten ‚Blutdiamanten‘ wurde dadurch nachhaltig zurückgedrängt.
Darüber hinaus empfiehlt der Bericht die Einrichtung eines „Stakeholder Forums Kulturguthandel“, in dem alle relevanten privaten und gesellschaftlichen Akteure des Kulturguthandels Leitlinien und Maßnahmen für den Verbraucherschutz nach Möglichkeit einvernehmlich verabreden.
Zur Identifizierung von nicht-authentischen oder nicht legal gehandelten archäologischen Kulturgütern in Deutschland erscheint ein flächendeckendes, wissenschaftlich fundiertes und digital unterstütztes Monitoring des Handels als eine der Voraussetzungen des behördlichen Vorgehens. Die Weiterentwicklung der vom Fraunhofer-Institut entwickelten Methoden und IKT-Werkzeuge können darüber hinaus, zur Anwendungsreife weiterentwickelt, den Zoll, Expertinnen und Experten, sowie die Ermittlungsbehörden deutlich entlasten.
Schließlich empfiehlt der ILLICID-Bericht zur Stärkung der Exekutive die Einrichtung eines nationalen Expertennetzwerkes zur nachhaltigen, wissenschaftlichen Unterstützung von Bundes- und Landesbehörden beim Vorgehen gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern. Dadurch wäre es beispielsweise möglich, dass Expertinnen und Experten zeitnah Erstgutachten u.a. zur Herkunft der Objekte abgeben, Objektdokumentationen wie Dokumente, die eine rechtmäßige Ausfuhr belegen, prüfen oder wissenschaftlich fundiert das Objektaufkommen auf dem Markt bewerten. Das Expertengremium könnte überdies die Weiterbildung und Beratung aller Akteure koordinieren.