Hochburg in Halle

Eigentlich bin ich kein Kunsthistoriker, sondern Sammler“, bekannte Max Sauerlandt. „Mein Sein ist es, Kunstwerke ins rechte Licht zu rücken, aus versteckten Händlervitrinen, Schubladen und Kästen das Richtige herauszugreifen und es so aufzustellen, dass es in seiner individuellen Bedeutung erkennbar ist.“ Bescheidener hätte das Selbstzeugnis eines der mutigsten Museumsdirektoren der deutschen Geschichte kaum klingen können. Max Sauerlandt verdankt das Museum in Halles Moritzburg seinen frühen Ruhm: 1908 war er in die Stadt gekommen, um als erster Direktor – mit gerade einmal 28 Jahren – das bis dahin eher unbedeutende Städtische Museum von Grund auf neu zu erfinden. 1926 folgte ihm Alois Schardt, der die moderne Sammlung dann in der ganzen Breite entfalten sollte. Nach der Machtergreifung Hitlers aber würde Halle all das wieder verlieren.

Blick in das Atelier Feiningers im Obergeschoss des Torturmes der Moritzburg mit einigen Halle-Bildern.
Blick in das Atelier Feiningers im Obergeschoss des Torturmes der Moritzburg mit einigen Halle-Bildern.

Entdeckergeist und Wissen, Zielstrebigkeit und Qualitätsgefühl, Verhandlungsgeschick und Leidenschaft halfen Max Sauerlandt dabei, binnen weniger Jahre aus dem zusammengestückelten Städtischen Museum ein modernes Haus zu machen. So verfasste er eine Geschichte der Stadt, trug Zeugnisse der Renaissance zusammen, insbesondere im Kunsthandwerk, fand neue Zuschreibungen für seine Exponate und sicherte sich bei der Umstrukturierung des halleschen Provinzialmuseums, dem ältesten seiner Art, einen Bestand gotischer Schnitzplastik aus der mitteldeutschen Region. In kurzer Zeit trug er Werke zusammen, deren weitreichende Bezüge zur Stadt-, Regional- und Kunstgeschichte sowie zur Formenlehre ein eindrucksvolles Panorama der älteren und neueren Kunst ergaben. Mit dem alten Museumsgebäude allerdings haderte er von Anfang an. Vehement verfolgte er die Idee eines Neubaus für eine eigenständige Gemäldegalerie.

Aller Aufmerksamkeit zum Trotz, die Sauerlandt der historischen Kunst widmete, galt seine größte Leidenschaft der zeitgenössischen Kunst, die ins Museum zu bringen und dabei in die großen kunsthistorischen Zusammenhänge einzubetten er als seine wichtigste Aufgabe empfand. Nach Ankäufen von Werken deutscher Impressionisten sowie einem frühen Max Beckmann – einem der ersten Museumsankäufe dieses Künstlers – entdeckte er den Expressionismus.

Zum Schlüsselerlebnis sollte ihm die Begegnung mit Emil Nolde werden. Im Haus des Juristen und Malerfreundes Hans Fehr, der damals an der halleschen Universität lehrte, sah er 1912 Noldes Gemälde „Abendmahl“ zum ersten Mal. Schon im folgenden Jahr veranstaltete er im halleschen Kunstverein, der ihm als experimentelles Forum diente, eine Nolde-Ausstellung. Aus dieser erfolgte denn auch der spektakuläre Erwerb des „Abendmahls“ – wiederum einer der ersten Museumsankäufe eines Nolde-Gemäldes überhaupt. Der folgende Eklat war Sauerlandts Durchbruch. Kein geringerer als der allmächtige Wilhelm von Bode, Generaldirektor der Berliner Museen, attackierte ihn in der Presse aufs heftigste – und machte das Museum damit schlagartig deutschlandweit bekannt. Nur um „einmal recht ordentlich zu lachen“ würde das Volk in solche Museen gehen, hatte der „geradezu angewiderte“ Bode noch gespottet; fortan indessen galt das Hallenser Haus als Vorreiter eines „Museums der Gegenwart“.

Auf Nolde folgten Rohlfs und Hofer, Minne und Lehmbruck, in den frühen zwanziger Jahren dann – Sauerlandt war 1919 als Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe nach Hamburg gegangen, steuerte das Haus in Halle aber aus der Ferne weiter – noch Munch, Modersohn-Becker und Dix. Mit dem Erwerb der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer, der ebenfalls durch seine Verbindungen zustande kam, sollte das Museums 1924 dann beachtlich wachsen: 24 Werke, darunter allein sieben von Kirchner und fünf von Heckel, sowie Gemälde von Nolde, Mueller, Schmidt-Rottluff, Kokoschka, Franz Marc und sogar Picasso, gaben dem Museum ein einzigartiges Profil; vor allem die Kunst der „Brücke“ war jetzt in der Moritzburg mit Spitzenwerken vertreten. Endgültig war Halle damit in der Gegenwart angekommen – wie übrigens auch Sauerlandts bescheidene Privatwohnung. So mancher Wegbereiter der Moderne hatte sich aus Dankbarkeit an seinen Wänden verewigt – so wurden etwa alle sechs Sauerlandt-Kinder von Emil Nolde persönlich porträtiert.

 

Alois Schardt, der 1926 aus Dresden-Hellerau nach Halle kam, setzte aufgrund seiner hervorragenden Kontakte zu zeitgenössischen Künstlern den Ausbau und die Verfeinerung der Sammlung ungebrochen fort. Weitere Werke von Heckel, Mueller, Nolde, Schmidt-Rottluff und Kokoschka kamen hinzu, teils im Tausch, teils als private Leihgaben. Schardts Verbindung zu Lyonel Feininger machte auch hier bedeutende Ankäufe möglich: Der großartige Halle-Zyklus ist das Ergebnis dieser Freundschaft und wurde geschlossen für das Museum erworben. Durch Schardts Verbindung zur Witwe Franz Marcs gelangten nicht nur Schlüsselwerke wie die „Tierschicksale“ oder die „Hirsche im Walde“ nach Halle, sondern auch die kleinen Tierplastiken Marcs einschließlich ihrer Wachsmodelle. Und von El Lissitzky erwarb er ein Konvolut von 46 Zeichnungen, Aquarellen und Ölstudien aus der „Proun“-Serie. Hinzu kamen größere Werkgruppen von Klee und Kandinsky.

1933 stand das hallesche Museum im Zenit seines Ruhmes und konnte nach dem Museum Folkwang in Essen und dem Berliner Kronprinzenpalais die bedeutendste Sammlung deutscher zeitgenössischer Kunst aufweisen. Auch Alois Schardt träumte von einem Museumsneubau. Er sollte Teil des großen Stadtkronenprojektes sein, für das 1927 ein prominent besetzter Wettbewerb ausgelobt wurde, dessen Verwirklichung jedoch nie zustande kam. Die Zeit nach 1933 brachte schließlich auch der Moritzburg die große Katastrophe: Im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ von 1937 beschlagnahmt und schließlich zur „Verwertung“ preisgegeben, ging dem Museum nahezu sein gesamter Schatz der Moderne verloren: über 60 Gemälde und mehr als 120 graphische Arbeiten. Auch Noldes „Abendmahl“ war darunter; es wurde in der Femeschau „Entartete Kunst“ in München gezeigt und später, nachdem Nolde es auf abenteuerliche Weise zurückerlangen konnte, von ihm an das Statens Museum for Kunst in Kopenhagen vererbt, wo es noch heute hängt. Über 1.000 Werke Noldes, obgleich selbst bekennender Nationalsozialist, waren aus deutschen Museen verschwunden, so viele wie von keinem anderen Künstler. Kaum etwas von den verlorenen Meilensteinen der Moderne gelangte nach Halle zurück; das meiste befindet sich heute in anderen deutschen und amerikanischen Museen. Zwangsläufig hatte das Museum im Dritten Reich nun Kunst des 19. Jahrhunderts gesammelt. Schon ein Jahr nach der Machtergreifung, am Neujahrstag 1934, starb Max Sauerlandt in Hamburg an einem Magenkarzinom, mit 54 Jahren. Zuvor hatte man ihn aus seinem Amt als Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg entlassen.

Auch Alois Schardt hatte die Moritzburg nicht retten können. Zwar Mitglied der NSDAP und überzeugter Anhänger der Theorie vom „nordischen Expressionismus“ – in Fortsetzung romanischer und gotischer Kunst -, trat er 1933 die Nachfolge des entlassenen Ludwig Justi in Berlin an, doch ging auch sein Eintreten dort für die Moderne den Machthabern zu weit. Schon im November 1933 wurde er wieder entlassen und nach einem Vortrag über Franz Marc 1936 schließlich verhaftet. 1955 starb er im amerikanischen Exil.

Nach 1945 sollte es mit einigem Geschick gelingen – bevor Währungsreform und die Gründung zweier Staaten Deutschland teilten -, einige Werke der Klassischen Moderne im Kauf oder als Leihgaben in die Moritzburg zurückzuholen, ebenso nach 1989. Mit dem verbliebenen Sammlungstorso, der immerhin ungewöhnliche Solitäre von Beckmann, Klimt und Munch sowie bedeutende Werkgruppen von Feininger und El Lissitzky barg, ergänzt um die „Brücke“-Sammlung Hermann Gerlinger, die 2001 als Dauerleihgabe an das Haus gegeben wurde, kann die Moritzburg heute mit auserlesenen Werken wieder einen beeindruckenden Einblick in die avantgardistischen Positionen des 20. Jahrhunderts geben. Im Erweiterungsbau der spanischen Architekten Nieto Sobejano haben diese Bestände seit Dezember 2008 einen einmaligen Ort gefunden.