Her mit Licht, Schatten und Nähe

Goldenes Gera: Der Krieg ist vorbei, Textilindustrie, Maschinenbau und Handel erleben ihre Blütezeit und die Stadt setzt sich an die Spitze des wirtschaftlichen Aufschwungs. Damit wandelt sich auch die Gesellschaft radikal: Bunte Reklame, rauschender Verkehr und neue technische Medien wie Film und Rundfunk verändern Wirklichkeit und Wahrnehmung der Menschen grundlegend. Neue Sachlichkeit nennt sich ab 1925 die Reaktion auf den beschleunigten Lebensrhythmus. Die Kunst sucht einen neuen formalen Ausdruck und gibt Orientierung: Nah am Menschen, nah am Alltag, lebendig und authentisch auf der einen Seite, formal und streng auf der anderen Seite. Im Schwarzweiß des Mediums fotografiert die Geraer Künstlerin Aenne Biermann (1898–1933) zunächst im familiären Umkreis, es folgen Stillleben, Porträts und Landschaftsbilder. Aufnahmen für geologische Forschungen standen am Anfang ihrer Karriere, im Laufe derer sie sich zu einer wichtigen Vertreterin der Neuen Fotografie in Deutschland entwickelte.

„Auch international war Aenne Biermann eine gefragte Künstlerin, ihr Werk wird neben das von Albert Renger-Patzsch, Lázló Moholy-Nagy und Karl Blossfeldt gestellt. Wir freuen uns, dass wir diese national bedeutenden Zeugnisse der Fotokunst nach Gera holen konnten. Die wichtige Ausstellung präsentiert erstmals auch die 40 mit unserer Unterstützung erworbenen Aufnahmen einer Gesellschaft, die sich nach Erstem Weltkrieg und Zusammenbruch plötzlich mit der allumfassenden Industrialisierung konfrontiert sieht“, sagte Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.

Aenne Biermann, Selbstporträt, ca. 1931, 23,6 x 17,9 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera; © Museum für Angewandte Kunst Gera
Aenne Biermann, Selbstporträt, ca. 1931, 23,6 x 17,9 cm, Museum für Angewandte Kunst Gera; © Museum für Angewandte Kunst Gera

140 Fotos Aenne Biermanns versammelt das Museum für Angewandte Kunst Gera: Pflanzen- und Mineralienaufnahmen, Landschafts- und Architekturfotografien, Stillleben und Porträts, aber auch Mehrfachbelichtungen und Montagen. Zeitgenössische Bildstandards hatten bei Aenne Biermann ausgedient: Weg mit starren Posen und gutbürgerlichen Möbeln vor theaterhaften Kulissen – her mit neuen Perspektiven, Licht, Schatten und Nähe. Authentizität statt Inszenierung! Man schaut einem Kind über die Schulter auf sein Schreibheft, erspäht die Winterlandschaft durch ein Atelierfenster oder beobachtet Biermanns eigene Kinder Helga und Gerd beim Spielen, wie ihre frühesten Fotos dokumentieren. Diese Zeitzeugnisse deutscher Geschichte zeigt die Ausstellung „…der Sachlichkeit verpflichtet. Aenne Biermann – Fotografien 1926–1932“ im Rahmen von „100 Jahre Bauhaus“ im Museum für Angewandte Kunst Gera.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Freistaat Thüringen, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen.