Es sind die zahlreichen Perspektiven und eine gewisse Monumentalität, die dazu führen, dass sich der Betrachter in der „Waldlandschaft mit Reiherjägern“ schnell verliert. Der flämische Maler Gillis van Coninxloo schuf in seinem letztdatierten Werk 1605 eine differenzierte und variantenreiche Szenerie, die zur Erkundung einlädt. Inmitten hoch aufragender Bäume finden sich im miniaturhaften Kontrast zwei Jäger auf einem Steg, von denen einer auf einen nahen Reiher schießt. Ein Dritter entfernt sich in Begleitung seines Hundes auf einem weiter in den Wald führenden Weg vom Geschehen. Die beiden am äußeren Bildrand stehenden Bäume bilden den Rahmen des Gemäldes, den Vordergrund nimmt eine schilfbewachsene, mit Wasser gefüllte Waldsenke ein. Ein verschlungener Pfad führt durch den ansonsten dunklen Wald, von dem sich ein helles Stück mit Weiher deutlich abhebt. Dies alles führt zu einem beeindruckenden Panorama mit verschiedensten Einblicken in eine Waldlandschaft, getragen durch den raffinierten Einsatz von Licht und Schatten sowie der Schaffung von kompositorischen Binnenräumen.
Das in Amsterdam entstandene Werk nimmt eine besondere Stellung im Œuvre des Malers ein und ist ein Beleg für seine bedeutende Rolle in der Entwicklung der niederländischen und sogar europäischen Landschaftsmalerei, auch wenn Coninxloo mittlerweile nicht mehr als künstlerischer Vater der (niederländischen) Waldlandschaften gesehen wird. Obgleich das Gemälde als Spätwerk einen gegenüber den früheren Arbeiten weiterentwickelten Stil aufweist, so ist der in der Forschung aufgeworfene Gedanke reizvoll, ob sich in Ansichten wie diesen motivische Einflüsse seiner Zeit im pfälzischen Frankenthal finden, wo Coninxloo zwischen 1587 und 1595 lebte. Wie viele andere niederländische Protestanten war er vor den religiösen Verfolgungen in seinem Heimatland in die Pfalz geflohen, wo der calvinistische Kurfürst Friedrich III. gezielt protestantische Religionsflüchtlinge ansiedelte. Coninxloo verarbeitete möglicherweise in seinen Bildern die eigene Fluchtgeschichte.
Auch den Waldlandschaften könnte vor diesem Hintergrund eine symbolhafte Bedeutung zukommen: Der Wald avancierte für die niederländischen Exilanten in Frankenthal zu einem Sehnsuchtsort. Denkbar ist, dass Coninxloo hier die Motive seiner Landschaftsbilder entwickelte. Gerade die Werke, die er nach seiner Zeit in Frankenthal in Amsterdam anlegte, wirken dreidimensionaler und weniger fantastisch als seine früheren Arbeiten. Die Motive wandelten sich hin zu mikroperspektivischen Szenen, bei denen der Betrachter in einen dichten, üppigen Wald hineinblickt. Hier mag auch ein stiller Widerspruch gegenüber der Einschränkung der Forstrechte durch die kurpfälzer Fürsten nachklingen. Der Verlust des Überblicks kann zugleich als Metapher für die Zeit im Exil verstanden werden. Der Wald wirkt undurchdringlich und unberührt – ein Symbol nicht nur für die ursprünglichen Nutzungsrechte der Bevölkerung, sondern auch für den Wald als Zufluchtsort für die Exilanten. Es ist durchaus denkbar, dass die pfälzischen Rheinauen die Inspiration für die dargestellten idealisierten Waldlandschaften darstellten. Und doch war es wohl nur ein Nachhall, denn die sicher datierten Arbeiten mit dieser Thematik wurden allesamt erst nach der Rückkehr aus der Pfalz gemalt. Wie auch die eher unpfälzische Staffage den ideellen Hintergrund betont.
Durch die Verbindung zu den „Frankenthaler Malern“ erregten der Künstler und das Gemälde, das 1952 als Leihgabe des Nürnberger Kunsthändlers Valentin Josef Mayring in einer Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu sehen war, das Interesse des Historischen Vereins der Pfalz. Für eine beachtliche Summe konnte es schließlich 1957 erworben werden und stellt seitdem eines der wichtigsten Stücke der Vereinssammlung dar, die wiederum größtenteils im Historischen Museum der Pfalz Speyer verwahrt wird, dessen Gründer und Mitstifter der Historische Verein der Pfalz ist.
Doch bei der Anschaffung und in den folgenden Jahren blieb unbeachtet, dass sich das Gemälde ursprünglich im Eigentum des Sammlers und vormaligen Direktors der Kunstbibliothek Berlin und vielseitigen Kunstprofessors Curt Glaser befand und von diesem aufgrund zunehmender Repressalien 1933 auf einer Auktion verkauft werden musste.
Curt Glaser, geboren 1879 in Leipzig, promovierter Mediziner sowie promovierter Kunsthistoriker, war ab 1924 Direktor der Staatlichen Kunstbibliothek Berlin. Glaser war eine feste Größe im Kunstbetrieb der Weimarer Republik, verfasste Kritiken für Zeitungen und Zeitschriften und war als Autor kunsthistorischer Bücher bekannt. Glaser wurde 1933 auf der Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen und musste emigrieren. Nach einer Odyssee über Frankreich, die Schweiz, Italien und Kuba erreichte er schließlich gemeinsam mit seiner zweiten Frau die USA, wo er das Ende des Zweiten Weltkrieges aber nicht mehr erlebte. Er verstarb 1943 in Lake Placid im Staat New York. Vor seiner Flucht aus Deutschland war er gezwungen gewesen, sein Eigentum zu verkaufen. Seine Sammlung, bestehend aus mehreren hundert Kunstwerken, wurde in alle Welt zerstreut.
In den vergangenen Jahren gelangte der Fall Glaser schließlich vor dem Hintergrund zahlreicher Restitutionsanfragen und der zunehmenden Provenienzforschung in den Blick der Öffentlichkeit. Entsprechend des Grundsatzes der Washingtoner Erklärung von 1998, bei verfolgungsbedingtem Verlust oder Entzug eine faire und gerechte Lösung zur Wiedergutmachung anzustreben, einigten sich nach und nach verschiedenste betroffene Museen und Institutionen mit den Erbberechtigten, wobei im Regelfall ein Verbleib der Kunstwerke in den jeweiligen Häusern erreicht werden konnte. 2012 und nochmals 2016 vereinbarte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den Erben von Curt Glaser die Rückgabe von Gemälden Edvard Munchs und Ernst Ludwig Kirchners, die 1933 erworben worden waren, während weitere Werke in Berlin verbleiben konnten. Auch das Germanische Nationalmuseum (2013) oder die Bayerische Staatsgemäldesammlung (2013) erreichten ähnliche Einigungen. Zuletzt einigte sich das Kunstmuseum Basel nach langjähriger Debatte 2020 mit den Erben auf einen Verbleib von 200 Kunstwerken im Haus, verbunden mit einer Entschädigungszahlung sowie einer Ausstellung über Curt Glaser. Damit wurden nach und nach den Vorgaben der Washingtoner Erklärung im In- und Ausland im Fall Glaser entsprochen.
Ein privatrechtlich organisierter Verein wie der Historische Verein der Pfalz ist nicht im selben Maße wie öffentliche Institutionen an die Selbstverpflichtungserklärungen vor dem Hintergrund der Washingtoner Erklärung gebunden. Doch es war dem Historischen Verein wichtig, eine gerechte und faire Lösung in ihrem Sinne anzustreben. Entsprechend aufmerksam wurden die Entscheidungen und Einigungen der vergangenen Jahre im Verein beobachtet und zugleich im Zusammenspiel mit dem Land Rheinland-Pfalz sowie der Kulturstiftung der Länder eine Einigung mit den Erben von Curt Glaser angestrebt, die schließlich 2021 gelang. Gillis van Coninxloos „Waldlandschaft mit Reiherjägern“ kann im Besitz des Historischen Vereins der Pfalz verbleiben und wird im Historischen Museum der Pfalz mit Verweis auf den Restitutionsfall sowie das Leben und Wirken von Curt Glaser ausgestellt. Die Einigung wurde durch die Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz, der Kulturstiftung der Länder und nicht zuletzt des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder möglich, der sich hier erstmals gemeinsam mit der KSL an einer Erwerbungsförderung beteiligte. Initiativen wie diese ermöglichen es auch privat getragenen Geschichtsvereinen ihrer Verantwortung im Sinne der Washingtoner Erklärung gerecht zu werden und sich mit dem Erbe der eigenen Sammlung auseinanderzusetzen.