Freunde für Museumsnachwuchs
Stipendiaten in Basel: Aufsehenerregende Kunststücke, schräge Kostüme und Pantomime-Künstler bringen nicht nur in der Manege der Gebrüder Knie die Augen der Besucher zum Leuchten. Direkt neben dem rotweißen Zelt auf dem Basler Messegelände macht dem „Schweizer National-Zirkus“ ein Großevent seinen Titel streitig: Die 47. Art Basel – die weltweit bedeutendste Messe für zeitgenössische Kunst – steht dem benachbarten Zuckerwatte-Spektakel in nichts nach.
Am Dienstag gilt: Manege frei für die Preview – auch für die „Jungen Freunde“ und fünf wissenschaftliche Volontäre aus verschiedenen deutschen Museen, denen der Junge Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder ein Reisestipendium nach Basel ermöglicht. Die meisten von ihnen sind das erste Mal auf der Art Basel, um die kommerzielle Seite des Kunstbetriebs in Reinform zu erleben. Eindrücke prasseln auf die Gruppe nieder – jede Galeriekoje eine kleine Zirkusmanege: Gagosian offeriert Blendendes von Koons und Hirst, Sprüth Magers Großflächiges von Stella und die König Galerie Buntes von Grosse. Ein Schaulaufen des Schönen und Teuren. Doch die Kunst in der Haupthalle bleibt größtenteils verborgen, zu viele vermeintliche VIPs verstellen die Sicht – die wirklich kaufkräftigen haben ihre Runde schon während der Pre-Preview gedreht. Dass die richtigen Leute kommen, dafür ist unter anderem Karen Boros verantwortlich – Kunstsammlerin und zugleich Botschafterin der Messe. Sie nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit der Gruppe und erklärt das erfolgreiche Konzept der Art Basel. Nach Miami und Hongkong verzweigt, ist sie ein äußerst profitables, global agierendes Unternehmen. Basel allein an den sechs Messetagen in diesem Juni 95.000 Kunstbegeisterte anziehen.
Wer da nicht gezielt sucht, geht schnell verloren im Überangebot der 286 Aussteller und 4.000 gezeigten Künstler. Für Orientierungshilfe sorgt Julia Friedrich, Kuratorin der Grafischen Sammlung des Museum Ludwig in Köln, sie führt die „Jungen Freunde“ und die Volontäre über die Messe. Mit der Nüchternheit der Museumsfrau schärft sie den Blick für die subtileren und weniger subtilen Strategien, mit denen die Aussteller um die Aufmerksamkeit der Besucher buhlen: von edlem Teppich statt schnödem Messeboden über die richtig gesetzten Spotlights (jeder einzelne Scheinwerfer kommt die Galerie teuer zu stehen) bis hin zur Präsentation möglichst spektakulärer Werke.
Etwas entspannter geht es bei den Statements zu, bei denen die Galerien sich einzelnen Projekten von jungen Künstlern widmen. Friedrich führt die Gruppe u. a. zu Carroll / Fletcher aus London, wo die Volontäre das junge palästinensische Künstlerduo Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme treffen. Filmbilder von Ruinen ihrer vom Nahost-Konflikt geprägten Heimat haben die beiden Künstler mit Zeilen eines arabischen Gedichts überblendet. Ihre Videocollagen versuchten neue Sichtweisen in einer scheinbar ausweglosen Krise auszuloten, erklären sie im Gespräch. Kunst, die herausfordert und besprochen werden will. Mit Diskussionen und genauem Betrachten einzelner Positionen steuert die Gruppe der allgemeinen Reizüberflutung entgegen. Auch während der Führung von Tobias Burg, Kurator der Grafischen Sammlung im Museum Folkwang in Essen, der den Fokus auf graphische Arbeiten und Editionen setzt: Wie verhält sich der Markt für Kunst, die in Auflagen vorhanden ist? Sind die reproduzierten Fotomontagen „Bringing the War Home“ von Martha Rosler wie Originale zu handeln?
Der Gruppe fällt es schwer, sich dem ambivalenten Vergnügen zwischen Schaulust und Überdruss zu entziehen. Richtig interessant wird es für den Museumsnachwuchs aber erst auf der Unlimited: Selbst mehr Ausstellung als Messe zielt dieser Bereich der Art Basel auf Museen als Käufer. Nicht leichtverdauliche, kojentaugliche Häppchen werden hier serviert, sondern Überdimensionales, Installatives und Performatives. Die 83-jährige Fluxus-Mitbegründerin Alison Knowles bereitet in der von Gianni Jetzer kuratierten Halle an einer langen Tafel Salat zu und verteilt ihn – ganz im Sinne der Einheit von Kunst und Leben – an die Messebesucher. Kunstkonsum einmal buchstäblich. Nach dem Salat wollen die messemüden Beine ausgeruht werden: Hans Op de Beecks maßstabsgetreuer Nachbau eines fiktiven Sammlerhauses, grau in grau wie von Asche überzogen, bildet einen Gegenpol zum grellen Messetreiben, lädt die Gruppe zum Verweilen ein. Trotz großen Besucherandrangs beherrscht den Raum eine unwirkliche, gedämpfte Stimmung, in der sich die Sinne erholen können. Die Unlimited, so das Resümee des Museumsnachwuchses, wagt mehr, ist politischer, kontroverser. Die Galerien zeigen hier anspruchsvollere Positionen, die nach Auseinandersetzung verlangen und daher nicht nur aufgrund ihrer Dimensionen im Museum bestens aufgehoben sind. Darunter Künstler wie Kader Attia: Er beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Verhältnis des Westens zur kolonialisierten Welt, betitelt seine hier gezeigte Installation aus einschlägigen Zeitschriften, Zeitungen und Büchern, drapiert auf übermannshohen Regalen, mit „The Culture of Fear: An Invention of Evil“. Beim Verlassen der Unlimited-Halle stößt die Gruppe schließlich auf die Pantomimen der Performance von Davide Belula. Mit neonpinken Handschuhen formen sie die Umrisse nicht vorhandener Skulpturen nach, lassen vor dem inneren Auge der Betrachter Klassiker des Kunstkanons entstehen von Henry Moore bis Louise Bourgeois. Auch hier ein Hauch von Zirkus in der Luft.
Volontärspreis in Stuttgart: Extravagant und unprätentiös zugleich. So lässt sich nicht nur James Stirlings Architektur der Neuen Staatsgalerie Stuttgart beschreiben – diese postmoderne Umdeutung klassizistischer Formen, die neben einer hochkarätigen Kunstsammlung auch den berüchtigten grünen Noppenboden aus Gummi beheimatet. Denselben Gegensatz vereint die Performance von Pablo Bronstein, die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer im Rahmen des Sommerfests des Museums im Stirling-Bau zur Aufführung bringen: Durch die Ausstellungsräume hindurch vollführen sie eine Choreographie, deren Posen sowohl dem klassischen Ballett als auch dem Vogueing entlehnt zu sein scheinen – ein Tanzstil, der sich in den 1980er Jahren aus den überzogenen Haltungen der Vogue-Models entwickelte: theatralisch und extravagant. Unprätentiös im Gegensatz dazu die Alltagskleidung der Tänzer und ihre unaufgeregte Mimik. Nicht Musik bestimmt ihre Bewegungen – die Darbietung findet im Stillen statt –, sondern der architektonische Kontext: Eher statisch statt fließend ineinandergreifend, glaubt man in den Haltungen der Tänzer Bauelemente und dekoratives Ornament zu erkennen. Ein klassizistischer Dreiecksgiebel in der Position der Arme, kunstvoll zu Voluten verdrehte Hände und exaltierte Posen, die an römische Skulpturen erinnern, denen aus Stirlings Rotunde im Herzen der Neuen Staatsgalerie nicht unähnlich.
Ob auf Papier oder als Performance: Bronsteins ironisch angehauchte Arbeiten nehmen stets Bezug auf die Baukunst. Neben dem Barock haben es dem 39-jährigen Argentinier vor allem die Formen des Klassizismus angetan. Dass der Künstler in James Stirlings baulicher Kapriole in der schwäbischen Metropole eine Inspirationsquelle finden würde, hat Susanne Kaufmann erkannt: Mit dem ortspezifischen Konzept zur Performance bewarb sie sich um den Volontärspreis und gewann die mit 5.000 Euro dotierte Projektförderung, die der Junge Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unter den Stipendiatinnen der Art Basel-Reise 2014 ausgelobt hatte. „Das war eine echte Chance für mich als Volontärin. Ohne die Förderung hätte ich in dieser Position so ein Projekt nicht realisieren können“, sagt Kaufmann, die heute wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Staatsgalerie ist. Mit Bronstein bringt sie zeitgenössische Performance in das Haus am Schlossgarten, eine Kunstform, die hier nur selten auf dem Programm steht. Während des sehr gut besuchten Sommerfests ist die Performance eine der Hauptattraktionen. Von Raum zu Raum folgen die Besucher den Performern, zwischen denen Symmetrien entstehen, die sogleich wieder gebrochen werden. Eine Tänzerin gibt den Impuls, die anderen reagieren: Es ist ein immer gleicher Dialog der Posen, der in den sich ändernden Räumen widerhallt, der in Beuys’ Raumplastik „Dernier espace avec introspecteur“ eine andere Bedeutungsdimension entwickelt als vor Giacomettis langgliedrigen Bronzefiguren oder den Figurinen des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer. Nicht nur die ortsspezifische Architektur spiegelt sich in Bronsteins Performance wider – die erneute Aufführung am nächsten Tag in der Stirling-Rotunde beweist das aufs Schönste –, sie harmoniert auch mit der Sammlungspräsentation, bringt die Kunstwerke zum Schwingen und macht sie auf neue Weise erfahrbar.