Von der Wand gefallen, durch Holzwurmbefall zerstört: Mit dieser knappen, nüchternen Beschreibung wurde die Gedenktafel für Herzog Bernhard von Sachsen-Jena (1638–1678) in den 1970er-Jahren vorerst das letzte Mal erwähnt. Weitere Aufmerksamkeit schenkte man ihr daraufhin erstmal nicht – das einst prunkvolle Epitaph, das sich seit seiner Entstehung 1678 in der Stadtkirche Jena befand, hatte seine beste Zeit offenbar hinter sich. Heute, rund fünfzig Jahre später, strahlt das verloren geglaubte, kulturhistorisch bedeutende Zeugnis wieder in fast altem Glanz. Umgeben von einem plastischen Kranz aus Musikinstrumenten, Waffen, einem Globus und Pflanzenwerk erinnert die ovale Inschriftentafel an das Leben und Wirken Herzog Bernhards. Wie kam es dazu? Was macht dieses Epitaph so bedeutend, dass sich die Friedrich-Schiller-Universität Jena in Kooperation mit der Kirchgemeinde der Stadt und mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder dazu entschieden hat, sowohl die Mühe als auch die Mittel zu investieren, jenes Objekt trotz seines durchaus kritischen Zustands wieder zu neuem Leben zu erwecken? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, kommt man nicht umher, sich mit der Stadt Jena, ihrer Geschichte, ihrer kurzen, aber umso prägenderen Ära als eigenständiges Fürstentum und mit den Lebensbedingungen an der frühneuzeitlichen, protestantischen Universität der Stadt auseinanderzusetzen. Genau das tut seit 2018 ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das unter Einbeziehung der gesamten archäologischen und historischen Quellen das sogenannte Areal des Collegium Jenense wissenschaftlich aufarbeitet. Neben dem Seminar für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie und dem Universitätsarchiv sind auch das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, die Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens und das Institut für Rechtsmedizin an dem Projekt beteiligt.
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts standen die Stadt Jena und ihre Universität in enger Beziehung zu der Herrschaftspolitik der Ernestiner. Diese hatten 1547 eine schwere Niederlage zu verkraften. Als Teil des sogenannten Schmalkaldischen Bundes waren sie gegen Kaiser Karl V. und seine Verbündeten in den Krieg gezogen und hatten die entscheidende Schlacht bei Mühlberg verloren. Doch der Krieg hatte nicht nur zahlreiche Opfer gefordert. Die Ernestiner hatten ihr Recht auf Kurwürde verwirkt und mussten einen Großteil ihrer Länder abgeben – darunter auch die Stadt Wittenberg, die sich mit ihrer Universität und Martin Luthers dortigem Wirken zu einem strategisch wichtigen Ort entwickelt hatte. 1572 verfügte der Kaiser außerdem die sogenannte Erfurter Teilung, in deren Folge die fortwährende Zersplitterung des ernestinischen Besitzes durch ständige Erbteilungen in immer weitere Herzogtümer hinzukam. Unmittelbar nach der Niederlage bemühten sich die Ernestiner jedoch um rasche und strategisch effiziente Kompensation ihrer machtpolitischen Krise. Weimar wurde zur Hauptstadt und zum Regierungssitz des neu entstandenen Herzogtums Sachsen auserkoren, unterdessen sollte Jena als neues universitäres Zentrum etabliert werden. Schon 1548 initiierten die Ernestiner in Jena die Hohe Schule. Mit der kaiserlichen Privilegierung zehn Jahre später konnte diese als Universität im ehemaligen Dominikanerkloster eröffnet werden. Die Dominikanerkirche wurde aufwendig zum Kollegienhaus mit Wohnungen für Studierende umgebaut, ein Auditorium im Dachgeschoss untergebracht, außerdem wurde der Bau um Sitzungszimmer für den Senat, Personalzimmer und Wirtschaftsgebäude erweitert. Im Zuge dessen bildete sich die Jenaer Stadtkirche St. Michael als geistlich-theologisches Zentrum der neuen Universität heraus. Hier wurden Gottesdienste und Universitätspredigten gehalten und, von der Taufe bis zur Bestattung, alle protestantisch-kirchlichen Amtshandlungen für Universitätsangehörige durchgeführt. Der Ort war klug gewählt: In den Jahren zwischen 1521 und 1540 hatte Martin Luther Jena öfter aufgesucht und in der spätmittelalterlichen Kirche St. Michael gepredigt. Dass schließlich ab 1571 auch seine Grabplatte im Chor der Kirche ihren Platz fand und nie zu seiner eigentlichen Grabstätte nach Wittenberg gelangen sollte, war zwar eher einem Zufall zu verdanken, nahm im Herrschaftsprogramm der Ernestiner jedoch eine große und wichtige Bedeutung ein.
Bis zum Tod des Herzogs Wilhelm IV. im Jahr 1662 gehörte die Stadt Jena zum Herzogtum Sachsen-Weimar. Nachdem Wilhelm gestorben war, stand jedoch eine neue Lösung bevor. Während sein Erbe und Territorium den vier noch lebenden Söhnen zunächst gemeinsam gehörte, wurde zehn Jahre später das Land endgültig unter ihnen aufgeteilt. Bernhard, der jüngste Sohn, wurde damit quasi über Nacht zum Herzog des eigenständigen Fürstentums Sachsen-Jena. Zu dem Zeitpunkt war er bereits erfolgreich vermählt und lebte mit seiner Frau im Jenaer Schloss. Bernhard hatte Marie Charlotte de La Trémoille (1632–1682) einige Jahre zuvor in Frankreich kennengelernt, wo er gezielt nach einer Braut Ausschau gehalten hatte, um mittels Heirat die Beziehungen seiner Familie zum Sonnenkönig Ludwig XIV. zu stärken. Durch seine in Frankreich gewonnenen Einblicke bestärkt, versuchte Bernhard, nun Herzog von Sachsen-Jena, einen Hof ganz nach französischem Vorbild zu etablieren. Als Rektor seiner Universität übernahm er beim Aufbau seiner Residenz die Lehrenden in die Hofhaltung, holte die Weimarer Hofkapelle nach Jena und beförderte die Gründung und Privilegierung der ersten Zeitung Thüringens. Mit seinem Wirken verhalf er der Stadt nachhaltig zu kulturellem Aufschwung, wenngleich ihm das offenbar nicht unter besonders wirtschaftlichen Gesichtspunkten gelingen sollte. Und so schnell die Schulden auch kamen, so schnell fand das einstige Fürstentum Sachsen-Jena bereits sein Ende: Im Jahr 1678 starb Herzog Bernhard mit nur vierzig Jahren, sein Sohn war zu dem Zeitpunkt gerade einmal drei Jahre alt. Gleichwohl dieser unter der Vormundschaft seiner Verwandten sein Erbe antrat, war auch ihm kein langes Leben beschert, sodass nach seinem Tod mit nur 15 Jahren die Linie Sachsen-Jena endgültig erlosch und das Land an Sachsen-Eisenach und Sachsen-Weimar zurückfiel. Zum Andenken an Bernhard wurde schließlich 1678 das prunkvolle Epitaph von einem unbekannten Künstler geschaffen und direkt über der Grabplatte von Martin Luther im Chorraum der Stadtkirche St. Michael installiert, die wiederum über dem Sarg Herzog Bernhards an der Wand hing – ohne Zweifel eine politische Inszenierung. Das schnelle und abrupte Ende des Fürstentums Sachsen-Jena sollte der Stadt und ihrer Bedeutung als universitäres und kulturelles Zentrum jedoch keinen Abbruch tun – im Gegenteil: Nicht ohne Grund bezeichnete Johann Wolfgang von Goethe Jena einst als „Stapelstadt des Wissens“. Im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelte sich die Universität überregional zu einer der wichtigsten Hochschulen, an der renommierte Professoren lehrten und ein großer Zuwachs an Studierenden zu verzeichnen war. Auch in den folgenden Jahrhunderten waren zahlreiche weltbekannte Persönlichkeiten mit der Universität Jena verbunden, darunter Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Schiller, Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Friedrich Schlegel und Wilhelm von Humboldt.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Grundstruktur des Collegium Jenense weitestgehend bestehen. Gleichwohl das Areal durch einen Bombenangriff auf die Jenaer Innenstadt am 19. März 1945 erheblich beschädigt wurde, wurde es bis heute, über 500 Jahre, fast durchgängig universitär genutzt. Kein Wunder also, dass sich dem eingangs genannten, seit 2018 laufenden interdisziplinären Forschungsprojekt mehr als 21 Kooperationspartner und 24 Förderer angeschlossen haben, um dieses einzigartige historische Ensemble umfassend zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als man 2023 im Rahmen dieses Forschungsprojekts das bis dahin verloren geglaubte Epitaph Herzog Bernhards von Sachsen-Jena wiederfand, war die Aufregung groß und der Wille, dieses zu restaurieren und zu rekonstruieren, stark. Schließlich gilt es als eines der letzten erhaltenen Zeugnisse des nur 18 Jahre andauernden Fürstentums – das Jenaer Stadtschloss wurde Anfang des 20. Jahrhunderts abgerissen und kann somit heute nicht mehr als Kulturdenkmal der Jenaer Residenz dienen. Doch der schlechte Zustand des Epitaphs bei seiner Wiederentdeckung war offensichtlich. Auch für einen Laien waren die Löcher, die die Würmer fleißig in das Holz gefressen hatten, auf den ersten Blick erkennbar. Die Tafel mit der Inschrift war in einzelne Teile zerbrochen und teilweise deformiert, die Fassung des schwarzen Fonds und der goldenen Lettern äußerst fragil. Sofort wurden die Epitaphreste geborgen und sorgfältig dokumentiert. Anschließend wurden sie nach Rudolstadt verbracht, wo sie die Kolleginnen und Kollegen im Residenzschloss Heidecksburg übernahmen. Das Thüringer Landesmuseum hat eine eigene Thermokammer entwickelt, die ebenfalls im Jahr 2023 in Betrieb genommen wurde. In dieser können verschiedenste Materialien wie Holz, Textilien, Papier, Gemälderahmen, Bücher bei Verdacht auf Insekten- und Larvenbefall behandelt werden, indem man die Hitze langsam, über mehrere Stunden hinweg, bis zu 52 Grad hoch- und langsam wieder herunterregelt. Dank der Wärmebehandlung des Epitaphs in Rudolstadt konnten die Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Kirchgemeinde Jena sicher sein, dass es zu keinem erneuten Befall durch Holzwürmer kommen würde. Anschließend wurden die einzelnen Teile in das Atelier des Diplom-Restauratoren Michael Bruckschlegel verbracht, wo die fraßgeschädigten Bruchstücke des Epitaphs gereinigt und substanziell gefestigt auf einem geeigneten Holzträger appliziert und Fehlbereiche angearbeitet wurden. Die fragile Fassung benötigte durch Festigung und der Niederlegung von Hebungen ebenfalls restauratorische Unterstützung. Der ehemals plastisch geschnitzte und fast vollständig vergoldete Schmuckrahmen war bis auf die Hand eines Puttos und den Globus nahezu vollständig verloren, weshalb der Rahmen nach der fotografischen Vorlage des originalen Epitaphs als 2D-Modell in Originalgröße wiederhergestellt, die Fotovorlage bearbeitet und anschließend auf einen Alu-Dibond-Träger gedruckt und ausgefräst wurde. Die erhaltenen Originaldetails konnten somit nach Konservierung von Träger und Fassung auf diese Platten appliziert werden. Doch so aufwendig die restauratorischen Arbeiten auch waren: Der hohe, gesamtstaatlich bedeutende Zeugniswert der Schrifttafel ließ an der Notwendigkeit dieses umfangreichen Einsatzes keinen Zweifel.
Inzwischen ist das Epitaph Herzog Bernhards von Sachsen-Jena vollständig restauriert und rekonstruiert. In Abstimmung mit der Familie Sachsen-Weimar-Eisenach als Erben der Linien Sachsen-Jena verbleibt das Epitaph auch nach der Restaurierung für immer in der Stadtkirche Jena. Als einziges Epitaph, das jemals für einen Angehörigen der Fürstenfamilie Sachsen-Jena und für einen fürstlichen Rektor der Universität angefertigt wurde, ist es ab sofort neben den dort ebenfalls zu besichtigenden Grabplatten und Epitaphien bedeutender Jenaer Bürger und Universitätsprofessoren und der Grabplatte Martin Luthers wieder der Öffentlichkeit zugänglich und erinnert nachhaltig an das Leben Herzogs Bernhard, an seine Bedeutung als Erhalter der Universität sowie an das 18 Jahre währende Fürstentum und dessen Auswirkungen auf das heutige Jena als regional wie überregional bedeutende Kultur- und Wissenschaftsstadt.