Förderungen
Höllenmusik

Es sind nicht die populären Messen oder Passionen, nicht das Wohltemperierte Klavier oder die Doppel-Violinkonzerte, die Bachs musikalische Genialität als Komponist am eindrücklichsten beweisen: Die Pflichtstücke, seine sonntäglichen Kantaten, die er als Thomaskantor abzuliefern hatte, gelten Experten heute als die Meisterstücke des Leipziger Kirchenmusikdirektors. Gleich der zweite Kantatenzyklus von 1724/25 wird in Umfang und in seiner komplexen kompositorischen Varianz das ambitionierteste Projekt überhaupt. Dafür greift Bach tief ins musikalische Repertoire, erneuert aber auch die Gattung: Althergebrachte Kirchenlieder und ihre Harmonien verschränken sich mit modernen Formen wie Rezitativ und Arie sowie konzertant angelegten Chören. Nicht Bibeltexte, sondern den Gläubigen wohlbekannte evangelische Lieder in den Mittelpunkt der Predigt zu stellen – das war unter Leipzigs Predigern dieser Zeit ein populäres Phänomen. Und Bach lieferte den eng verzahnten und eindrucksvollen Soundtrack zu den Worten der Pfarrer in beiden Hauptkirchen Leipzigs. Die erste Kantate des Zyklus, „O Ewigkeit, du Donnerwort“, variiert das gleichnamige Kirchenlied von Johann Rist (1607–1667). Die Strophen schildern mit eindringlichen Worten die Schrecken des Jüngsten Gerichts und die Qualen der Hölle, gefolgt von der Ermahnung zu einem gottgefälligen Leben. Wenige der originalen Partituren haben sich erhalten, insofern ist die Erwerbung des kostbaren Autographen mit zahlreichen Korrekturen, Überschreibungen und Randskizzen aus späteren Revisionen für das Leipziger Bach-Archiv ein Glücksfall. Die originalen Aufführungsstimmen des Chores hatte die Stadt nach Bachs Tod erworben. Nun kommen Stimmen und Bachs Niederschrift wieder zueinander.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Stadt Leipzig, Freistaat Sachsen, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ostdeutsche Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Leipzig, private Spender
Reine Quelle

Klares, eiskaltes Wasser aus den Tiefen der Erde: Spindelförmig sucht das kühle, erfrischende Blau seinen Weg über die Leinwand, zieht sich in pastosen Pinselstrichen von der rechten oberen Bildhälfte bis in die untere linke Ecke. Begleitet von einem kräftigen Weiß behauptet es sich zwischen den warmen, changierenden Erdtönen der Landschaft. Als sich Ernst Wilhelm Nay (1902 –1968) 1947 jener Komposition widmete, tat er dies bereits zum zweiten Mal. Schon 1943 hatte der – während des Zweiten Weltkriegs als Kartenzeichner in der Bretagne eingesetzte – Künstler die Quelle als Motiv gewählt. 1947 wiederholte Nay exakt dieselbe Komposition und Bildanlage, doch verzichtete er diesmal auf die Inszenierung menschlicher Gestalten. Stattdessen löste er Farbe und Form fast gänzlich auf – und vollzog damit einen bewussten Schritt hin auf seine neue Malerei der Zukunft. Als einer der frühen Förderer Nays kaufte Carl Georg Heise als Direktor der Hamburger Kunsthalle das Werk in seinem Entstehungsjahr für die Sammlung. Seither bildet es gemeinsam mit sechs weiteren Gemälden und über vierzig Arbeiten auf Papier des Künstlers einen beeindruckenden Schwerpunkt des Hamburger Bestandes. Doch über die Jahre zollte das ungleiche Verhältnis von feinem Leinwandgewebe und Farbauftrag seinen Tribut: Spannungen in den verschiedenen schweren Farbschichten sowie Rissbildungen und Farberhebungen bedrohten den Zustand des Bildes. Zudem litt die Farbigkeit unter der Verschmutzung der Bildoberfläche. Dank des Bündnisses „Kunst auf Lager“ konnte mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder das Gemälde nun aufwändig restauriert werden. Nachdem die konservatorischen und restauratorischen Hürden genommen wurden, kann das Gemälde wieder neu präsentiert werden und als fester Bestandteil des Nay-Konvolutes dessen künstlerische Entwicklung zwischen Figuration und Abstraktion verdeutlichen.
Förderer dieser Restaurierung:
Kulturstiftung der Länder
Auf Montage
Wenn Lehrer zu Schülern werden: Nach dem Erwerb der nagelneuen Kleinbildkamera Leica I musste sich der Bauhaus-Dozent Josef Albers (1888 –1976) die revolutionäre Technik von einem seiner Schüler erklären lassen. Keinen Geringeren als T. Lux Feininger, der mit seinen Fotografien aus dem Leben am Bauhaus international berühmt wurde, zog der spätere Vize-Direktor 1928 in Dessau zu Rate. Bereits ein Jahr später beherrschte Albers das Medium meisterlich, wie 28 auf Karton geklebte Fotomontagen aus den Jahren 1929 bis 1954 schwarz auf weiß belegen. Sie zeigen drei wichtige Lebensabschnitte des Künstlers – am Bauhaus, in Nord- und Südamerika und schließlich wieder in Deutschland. Durch die Nationalsozialisten gezwungen, schloss das Bauhaus 1933. Gemeinsam mit seiner Frau Anni folgte Albers daraufhin einem Ruf ans Black Mountain College in North Carolina. Selbst als der Künstler ab 1950 dem Art Department der Yale-Universität vorstand, fand er doch immer Zeit, auf seinen vielen Reisen die Architektur fotografisch zu vermessen. Die neu gegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm holte Albers schließlich 1954 wieder nach Deutschland. Zu Lebzeiten des Künstlers nicht publiziert, erlangte das fotografische Werk erst mit einer Ausstellung 1988 im New Yorker Museum of Modern Art die gebührende Wertschätzung: Als originärer, unverwechselbarer Beitrag zur künstlerischen Fotografie des 20. Jahrhunderts löste Albers mit seinen Montagen das Einzelbild durch die Zusammenschau mehrerer Fotografien ab. Stürzende Linien großer Architekturen, ungewöhnliche Perspektiven auf Mensch und Natur, Oberflächen, die durch gleißendes Licht und harte Schatten hervortreten: Als Fotograf schuf Albers eine neue Bildwirklichkeit, die den Kompositionsschemata der abstrakten Werke seiner Malerei gleicht. Mit der Erwerbung dieses Konvoluts schließt sich die letzte Lücke der bedeutendsten europäischen Sammlung zum Künstler, dem Josef Albers Museum Quadrat in seiner Heimatstadt Bottrop.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Kunststiftung NRW, Ernst von Siemens Kunststiftung, Land Nordrhein-Westfalen, Sparkassen in Westfalen-Lippe, Kulturstiftung der Sparkasse Bottrop
Hammer Musik

Variationen über einen Walzer? Sammelveröffentlichung mit einem Haufen anderer Komponisten? Ludwig van Beethoven (1770–1827) stand dem von seinem Freund Anton Diabelli vorgelegten Thema skeptisch gegenüber – schwer verdaulich schien dieses Stück, ganz bestimmt kein Kassenschlager. Doch dann machte er mit Aussicht auf eine Einzelpublikation den von ihm scherzhaft „Diabolus“ genannten Wiener Musikverleger unsterblich. Selbst ein vergleichsweise niedriges Honorar hielt ihn nicht davon ab, zu demonstrieren, dass er die Nummer 1 unter den Komponisten der Monarchie sei. Seine 33 Variationen zum Thema gehen als letztes großes Klavierwerk Beethovens in die Musikgeschichte ein. Hans von Bülow, u. a. erster Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, nannte die Diabelli-Variationen einen „Mikrokosmos des Beethovenschen Genius, ja sogar ein Abbild der ganzen Tonwelt“. 2009 war es dem Beethoven-Haus Bonn mit Hilfe u. a. der Kulturstiftung der Länder und zahlreicher Spender möglich gewesen, das Autograph des Opus 120 zu erwerben. Zur Vollständigkeit fehlte den 45 Notenblättern der Originalhandschrift lediglich noch das dazugehörige Titelblatt, das nun glücklicherweise angekauft werden konnte. Knapp, aber beredt verrät es uns einiges über die Entstehungs- und Editionsgeschichte des Zyklus: Ohne jegliche künstlerische Dreingabe ziehen sich einige wenige Zeilen in deutscher Kurrentschrift über das schlichte Notenpapier. In Schwarz hat Beethoven den Titel der Variationen – hier „Veränderungen“ genannt – sowie sich selbst als Urheber vermerkt. In Rot setzte Aloys Fuchs später und deutlich lesbar hinzu, dass die „Uiberschrift“ von „Beethovens eigener Hand“ stamme. Auch fügte er die Opus-Zahl hinzu. Fuchs war ein bedeutender zeitgenössischer Autographensammler, der in Komponisten- und Sammlerkreisen äußerst gut vernetzt war. Die Stellung des Blattes in Fuchs’ Sammlung wird die zukünftige Forschung ebenso beschäftigen wie die Erkenntnis, dass Beethoven den deutschsprachigen Begriff „Hammer-Klavier“ dem italienischen „Piano-Forte“ vorzog.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Land Nordrhein-Westfalen, Gielen-Leyendecker-Stiftung, privater Spender
Adel am laufenden Meter

Wann immer Archive regionaler Adelsfamilien Gefahr liefen, verloren zu gehen oder auseinandergerissen zu werden, bemühte sich der in Freiburg ansässige Nikolaus Freiherr von Gayling-Westphal um deren Erhalt: Der 1942 geborene Nachkomme des badisch-hessischen Adelsgeschlechts Gayling von Altheim trug über Jahrzehnte hinweg Archivalien rund um den Adel des Oberrheins zusammen und brachte sie auf Schloss Ebnet in Freiburg unter. Die mehreren Tausend Urkunden, Handschriften, Rechnungen, Stammtafeln, Tagebücher, Protokolle, Porträtgemälde und Fotografien aus rund 700 Jahren belegen die Einflüsse nobler Familien in den links- und rechtsrheinischen Regionen Baden, Hessen, Pfalz, Elsass und der Schweiz. Neben dem Familienarchiv der Freiherren Gayling von Altheim gehören zu den herausragenden Beständen die des alemannischen Adelsgeschlechts Roggenbach und des badischen Zweigs der Douglas-Familie. Wesentliche Teile dieser Archive sind bereits in die Länderliste Baden-Württemberg des Verzeichnisses national wertvoller Archive eingetragen (Nr. 00139). Herrscherurkunden von Rudolf von Habsburg, Ludwig dem Bayern, Ruprecht, Sigismund und Friedrich III. sowie Bischofs- und Abturkunden aus Fulda, Selz und Weißenburg, zudem frühe Pergament-Schriftrollen und Kerbzettel sind ebenfalls in den insgesamt 180 laufenden Archivmetern bewahrt. Aufgrund der großen Lücken, die Bauernkrieg, Französische Revolution, Deutsch-Französischer Krieg und beide Weltkriege in den Adelsarchiven hinterlassen haben, verkörpern die erhaltenen Dokumente eine entscheidende Quelle: sowohl für die diplomatischen Verwicklungen einzelner Familien als auch für die gesamtpolitischen Geschehnisse jener Region vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Das „Zentralarchiv“ des oberrheinischen Adels gelangt nun als dokumentarisches Gedächtnis der Region in die Abteilung Staatsarchiv Freiburg des Landesarchivs Baden-Württemberg, das damit um eine Sensation reicher wird: In den Archivalien des mittelalterlichen Adelsgeschlechts Landenberg aus dem Kanton Zürich in der Schweiz überdauerte ein frühkarolingisches Handschriftenfragment aus dem 9. Jahrhundert – es ist nun das älteste Dokument im Freiburger Bestand.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Land Baden-Württemberg, Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg
Hamburg im Glas

Von seinem Fuß über einen wabenförmig facettierten Schaft und einen von Rundscheiben gehaltenen Knauf bis zur glockenförmig gebauchten Kuppa und dem hochgewölbten Knaufdeckel misst er stattliche 54 cm. Amethystfarben changiert der gläserne Pokal, neben Waben und Ranken zieren fein geschnittene Zeichnungen seine Wandungen. Das große Hamburger Stadtwappen prangt auf mattiertem Grund, daneben die Ansicht der Hansestadt aus Vogelperspektive sowie die allegorische Darstellung des Gottes Merkur: In einer Rüstung mit Hamburgs Wappen steht der riesenhafte Patron des Handels über der Elbe. Beide Motive rekurrieren auf die prächtige Barock-Medaille des Goldschmieds Sebastian Dadler, die er im Auftrag der Hansestadt im Jahre 1636 anfertigte. Als Erzeugnis barocker Glaskunst gibt der Deckelpokal dagegen seinen Urheber nicht eindeutig preis. Trotz fehlender Signatur offenbart der Pokal immerhin dem Expertenauge seinen sächsischen Ursprung: Größe, Qualität und Gestaltung legen die Königliche Glashütte Dresden nahe, insbesondere den zwischen 1701 und 1726 dort tätigen Glasschneider Heinrich Volckert. Mit großer Wahrscheinlichkeit fertigte er den Pokal vor dem Hintergrund des Hamburger Hauptrezesses von 1712: Wegen eines Konflikts zwischen Senat und Bürgerschaft schwelten und entbrannten in Hamburg seit Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder politische Machtkämpfe. Der unter Vermittlung der kaiserlichen Kommission festgelegte Rezess beendete die Querelen und sicherte die politische Ordnung. Das prunkvolle Gefäß diente höchstwahrscheinlich als „Willkomm“ bei derlei politischen Anlässen. Die wohl in Dresden maßgeschneiderte Hamburgensie gelangt nun an ihren idealen Ausstellungsort: Im Museum für Hamburgische Geschichte zeugt der gläserne Deckelpokal künftig in der neukonzipierten Sammlungspräsentation von Hamburgs reicher Kulturgeschichte und städtischen Selbstdarstellung, aber auch von glaskünstlerischer Finesse mit überregionaler Strahlkraft.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Friederike und Werner Jahn Stiftung, Hubertus Wald Stiftung