Grußwort von Prof. Dr. Markus Hilgert anlässlich des Erwerbs der Korrespondenzen von Clara Schumann und Johannes Brahms mit Ernst Rudorff.
„Lieber Herr Rudorff, wollen Sie so freundlich sein Morgen 4 ½ Uhr zu mir zu kommen? ich höre eben, dass Fidelio gegeben wird, von dem ich nicht gern eine Note versäumte, und doch kaum zu rechter Zeit in’s Theater gelangen könnte. Sollte es Ihnen aber unmöglich sein, so wollen Sie mir nur eine andere Nachmittag-Stunde bestimmen, mir ist jeder Tag recht.“
Mit diesen undatierten Zeilen – vermutlich aus dem Jahr 1858 – beginnt ein über vier Jahrzehnte andauernder Briefwechsel zwischen Ernst Rudorff (1840 – 1916) und Clara Schumann (1819 – 1896), den die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) im Jahr 2020 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und der Mariann Steegmann Stiftung über Vermittlung des Auktionshauses Sotheby’s aus Privatbesitz erwerben konnte. Unter den zahlreichen Korrespondenzen der eifrigen Schreiberin Clara Schumann handelt sich um den letzten bisher weitgehend unzugänglichen Briefwechsel, der nun in eine öffentliche Einrichtung gelangt ist und damit für interessierte Lektüre und Forschung unter der Signatur SLUB Dresden, Mscr.Dresd.App.3222 allgemein zur Verfügung steht.
Die europaweit gefeierte Pianistin Clara Schumann hatte ein großes Netzwerk an Korrespondenten – Familie, Geschäftspartner, Kollegen und Freunde. Ernst Rudorff war Patensohn ihrer Freundin Marie Lichtenstein (1817 – 1890) und erhielt Anfang der 1850er-Jahre Unterricht in Klavier und Komposition bei Woldemar Bargiel, Claras Halbbruder. 1858 nahm Rudorff dann einige Stunden bei Clara Schumann, und eine lebenslange Freundschaft zwischen ihnen begann. Knapp 400 Briefe auf 2.000 Seiten geben ein beredtes Zeugnis von diesem schnell enger werdenden Verhältnis. Von den ersten, noch etwas distanzierten Zeilen bis zu den bald vertraulichen Tönen lässt sich an ihnen die Entwicklung dieser ungewöhnlichen Beziehung, die immer stärker werdende Verbindung zwischen der berühmten Musikerin und ihrem Schüler, über die Stufe des künstlerischen und persönlichen Austausches auf Augenhöhe, hin zu einer innigen Gefährtenschaft im Alter nachvollziehen.
Dabei decken die in den Briefen verhandelten Themen ein breites Spektrum ab: Schumann und Rudorff teilen privates Glück und Leid, sie erzählen von familiären Ereignissen und von Erlebnissen mit gemeinsamen Freunden. Sie beraten und unterstützen sich in organisatorischen Angelegenheiten. Sie besprechen sich in kompositorischen sowie ästhetischen Fragen und werten gemeinsam das Konzertleben der Zeit aus. Auch zu aktuellen politischen Geschehnissen nehmen sie Stellung. So geben ihre Briefe nicht nur Auskunft über die individuellen Befindlichkeiten der beiden Korrespondenzpartner, sondern vermitteln einen lebendigen Einblick in das jeweilige Umfeld, vor allem aber auch in den künstlerischen Freundeskreis um Clara Schumann und Ernst Rudorff, zu dem der Komponist Johannes Brahms, der Geiger Joseph Joachim, der Sänger und Dirigent Julius Stockhausen und etliche weitere gehörten.
Die Vielfalt des Briefwechsels Schumann/Rudorff kann nur exemplarisch vorgestellt werden. Claras Briefe stammen aus ihren verschiedenen Wohn- und Aufenthaltsorten, häufig von Konzertreisen, so aus London, St. Petersburg, Moskau und Paris. Dabei ist sie Botschafterin der Werke ihres verstorbenen Mannes Robert Schumann, berichtet über die Rezeption seiner in ihren Augen „deutschen Kunst“.
So schreibt sie am 19. März 1862 aus Paris an Ernst Rudorff: „ … und jetzt sehen Sie mich in Paris, an das ich nicht dachte, als ich Sie das letzte Mal sprach. Ich bekam hierher so dringende Aufforderungen, man wünsche so sehr, namentlich auch die Sachen von meinem Mann, die sich jetzt sehr hier verbreiten, zu hören, dass ich mich dazu entschloss, gewissermassen auch es als eine Pflicht gegen meinen Mann betrachtend. Ich würde es nicht als Solche angesehen haben, hätte es sich darum gehandelt, den Franzosen seine Musik zugänglich zu machen, denn ich hätte doch nie daran geglaubt, dass eine so tiefdeutsche Natur wie Er jemals von einer anderen Nation ganz anerkannt werden könne, glaube es auch jetzt nicht, jedoch mit solcher Herzlichkeit und Empfänglichkeit für seine Sachen aufgenommen, wie ich es hier bin, wäre es Unrecht gewesen ‚Nein‘ zu sagen.[…]
Weiter kam ich vorgestern nicht, und nun kann ich Ihnen mittheilen, dass meine erste Soirée gestern vortrefflich von statten gegangen. Sie hätten doch Freude gehabt zu hören, wie das Publicum meines Mannes Quintett aufgenommen mit welchem Enthusiasmus, und die Pedal-Fuge in A-moll von Bach etc. Es ist eine eigene Sache, schätzt man auch im Grunde des Herzens Publicum gering, so bedarf man dessen Theilnahme im Concertsaale doch, es regt augenblicklich an und erhöht die Leistungen. Ich möchte wohl meine deutschen Freunde wären gestern hier gewesen, weil Alles so gut glückte! […]“
Immer wieder wirbt der aus Berlin stammende und ab 1869 dort wieder wirkende Ernst Rudorff für Besuche und Auftritte Claras Schumanns in der preußischen Hauptstadt. Im Vorfeld wird nicht nur über mögliche Konzertprogramme und -orte verhandelt, es gilt gleichfalls viel Organisatorisches zu regeln. Hier nimmt Clara Schumann gern die Hilfe der Familie Rudorff in Anspruch. Die Briefe spiegeln die alltäglichen Herausforderungen der Pianistin, die die Bühne zwar liebte, aber nach dem Tod ihres Mannes mit den verschiedenen Engagements schlicht auch den Lebensunterhalt der Familie verdienen musste:
„Düsseldorf, d. 23. Dec. 1864.
Lieber Herr Rudorff, ich warte nicht erst Nachricht von Ihnen ab, denn ich fürchte, Sie beunruhigen Ihre liebe Mutter meines Wohnens halber, und habe mich doch entschlossen, jeden Falls in einem Chambre garni zu wohnen. So ein Aufenthalt bringt gar so viel Unruhe mit sich, fortwährend Menschen, dazu kommt noch, dass ich die Kinder und Mutter dort habe und ihnen auch gern mal die Gelegenheit gönnte, mich so oft als möglich zu sehen, was in einer Familie sehr peinlich für mich wäre, kaum anginge, da ich ja doch nicht ein Wohnzimmer für mich allein beanspruchen kann.
So habe ich aber nun aber die Bitte an Ihre verehrte Mutter, ob sie sich wohl mal bei Diehrgarden am Gensdarme Markt, oder auch Hotel Schlosser Jägerstrasse nach zwei Zimmern erkundigte? Ich möchte dieselben neben einander und nach vorn, dann müssen sie so gelegen sein, dass ich mich nicht fürchtete, sonst halte ich es nicht aus, denn, Sie wissen, in Berlin ist Todschlag nichts seltenes. Dort wo es am behaglichsten, da möchte ich wohnen. Gern wüsste ich dann die Bedingungen, Wohnung, Frühstück, Mittagessen je nachdem ich es bedarf, einfache Hausmannskost! und zwar die Wohnung auf die Woche…“
Über die Jahrzehnte zeigt sich, dass das Band der Freundschaft zwischen Clara Schumann und Ernst Rudorff wesentlich durch eine gemeinsame künstlerische Haltung, denselben musikalischen Anspruch, die gleichen ästhetischen Positionen gefestigt wurde. An diesen Werten hielten sie unabhängig von allen musikalischen Entwicklungen ihres Umfelds fest. Gerade für den jüngeren Rudorff scheint Schumann ein Fixstern gewesen zu sein, an dem er sich stets orientieren konnte.
„Gross Lichterfelde Wilhelmstrasse 26 d. 27ten Januar 1896
Liebe verehrteste Frau Schumann! Dass Ihr Brief neben den Liebeserweisungen der Meinigen das Schönste, Theuerste war, was mein Geburtstag mir brachte, das stellen Sie sich wohl selbst vor. In dem Gedanken an Sie verkörpert sich, je älter ich werde, um so fast ausschliesslicher Alles, was in mir lebt an menschlichem und künstlerischem Idealismus, wie er meine Jugend erfüllte. Die Sehnsucht, der Glaube werden nie sterben; aber ich empfinde mit tiefster Dankbarkeit bei jeder Berührung, die mir von Ihnen zu Theil wird, was es heisst, dass Sie noch da sind, zu der ich aufblicken darf als zu einem Gestirn, das unverwandt in derselben Reinheit und Schönheit leuchtet, und nicht nur leuchtet, sondern zugleich erquickende Wärme ausstrahlt. Möge Gott Sie noch lange, lange erhalten!! –“
Persönliche Begegnungen zwischen Schumann und Rudorff waren zunächst wegen der zahlreichen Verpflichtungen, später wegen der abnehmenden Gesundheit immer schwierig. Für ihren kontinuierlichen schriftlichen Austausch nutzten die Briefpartner die aktuellsten Formen der Kommunikation: Neben dem Brief für kurze praktische Informationen und schnelle Grüße auch die 1869 eingeführte Postkarte sowie zuletzt für das Eiligste auch das Telegramm. Nicht alles hat Schumann selbst geschrieben, in späteren Jahren blieb ihr nur das Diktat. So fühlte man sich über die Distanz hinweg einander nah – bis zuletzt.
„Telegraphie des Deutschen Reiches Blatt Nr. 81 Leitung Nr. 1690 Telegramm aus Frankfurt M. 1896 den 3ten 4. um 12 Uhr 30 Große Herzschwäche. Folge längeren Leidens. Heute Besserung Schumann“
Nach mehreren Schlaganfällen starb Clara Schumann am 20. Mai 1896. Die knapp 400 Briefe zwischen Clara Schumann und Ernst Rudorff wurden nach Erwerbung durch die SLUB Dresden unmittelbar digitalisiert und sind nun über die digitalen Sammlungen inklusiv einer vollständigen Übertragung zugänglich (https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/454577/1). Der eine Million Zeichen umfassende Text ist vollumfänglich recherchierbar.
Darüber hinaus wird eine textkritische, wissenschaftliche Ausgabe der Korrespondenz, bearbeitet von der Schumann-Spezialistin Annegret Rosenmüller, bereits in diesem Sommer im Rahmen der an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten „Edition der Briefe Robert und Clara Schumanns mit Freunden und Künstlerkollegen“ erscheinen.
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