Erwerbungen
Rast in Rapallo
Versteckte Buchten, kleine Strände, leises Meeresrauschen: Rapallo – ein romantischer Ort für eine heimliche Liebe. Dort verbrachte der verheiratete Wassily Kandinsky (1866–1944) gemeinsam mit seiner Malerkollegin und Geliebten Gabriele Münter im Jahr 1906 unbeschwerte Monate. Das kleine Fischerdorf an der italienischen Riviera bot der Alliance den richtigen Rahmen, fernab von den Anstrengungen seiner unglücklichen Ehe. Seit 1904 reiste der Künstler mit Gabriele Münter durch die Welt, ab Ende 1905 rasteten sie an der Küste Italiens. Eine breite Farbpalette in allen Pastelltönen bestimmt die schöne Landschaft im Sonnenuntergang bei Rapallo, die von den französischen Impressionisten beeinflusst scheint. Wer ist die Gestalt auf dem kleinen Kahn? Ein Fischer oder gar der Maler selbst? Fotos belegen, dass Kandinsky oft in der Bucht von Rapallo gerudert ist. Die Ruhe des Fischerdorfes schien inspirierend auf ihn gewirkt zu haben: In dieser Zeit entstand eine Reihe von Studien, zu der auch „Rapallo – Boot im Meer“ gehört. Das Franz Marc Museum in Kochel am See ersteigerte das Gemälde unlängst auf einer Berliner Auktion und konnte damit sein Repertoire an kleinformatigen Naturstudien entscheidend bereichern. Eine Ölskizze Münters – entstanden in St. Cloud nahe Paris – befand sich bereits in der Sammlung, auch sie spiegelt wie „Rapallo“ die Zeit des gemeinsamen Reisens wider. Wassily Kandinsky und Gabriele Münter finden so mit ihren beiden Werken aus glücklicher Zeit wenn schon nicht in Italien, so doch an einem bayerischen See wieder zueinander.
Ein Rosenheim
Die Frage, wie wir unseren Lebensraum ästhetisch gestalten, treibt nicht erst heute ganze Branchen von Architekten, Handwerkern, Landschaftsplanern bis hin zu Interiordesignern um – auch in der Kunst war und ist sie eine viel gestellte. Hiervon legt auch die Darmstädter Mathildenhöhe beredtes Zeugnis ab, auf der ab 1899 sieben junge Künstler – darunter Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und Hans Christiansen – im Auftrag des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein ein urbanistisches Gesamtkunstwerk entstehen lassen sollten. Die Idee war es, im Rahmen der Ausstellung „Dokument Deutscher Kunst“ (1901) komplett durchgestaltete Wohnhäuser zu errichten, die, wie Olbrich beschrieb, als „in sich abgeschlossene Kunstwerke […] mit größter Empfindung und Einfachheit einem glücklichen Lebensprinzip zum Ausdruck verhelfen“ sollten. Der Flensburger Maler und Kunsthandwerker Hans Christiansen (1866–1945) hatte seine Villa „In Rosen“ getauft und die Blume als Leitmotiv in den vielfältigsten Farb- und Formvariationen durch alle Räume hindurchkomponiert. Bis ins Schlafzimmer, wo, wie zeitgenössische Fotografien belegen, als Teil des Gesamtkunstwerks über dem Ehebett der Wandteppich „Schutzengel“ hing. Um 1901 in Scherrebek gewebt, nimmt der Wandbehang das Rosenmotiv ebenfalls auf. Seit dem Wegzug des Künstlers aus Darmstadt 1912 gilt der Teppich als verschollen; das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nur ein weiteres Exemplar ist heute überliefert: jenes, das Hans Christiansen dem Gründer der Scherrebek-Manufaktur Pastor Jacobsen überließ. Der Museumsberg Flensburg, das kunst- und kulturgeschichtliche Museum der Stadt, das den Nachlass des Künstlers bewahrt, konnte dieses kostbare Unikat nun erwerben.
Göttliches Gericht
Der Papst im Höllenfeuer – ein Opfer im Kampf der Konfessionen. Zwischen Himmel und Hölle spielt sich das dramatische „Jüngste Gericht“ ab, das als Epitaph des Braunschweiger Bürgermeisters Elerdts fragmentarisch erhalten ist. Christus thront richtend über den Wolken; unterhalb der Wolkenbank sind Szenen aus dem Höllenfeuer zu beobachten, rechts die Verdammten – unter denen der sich windende Papst an der Tiara zu erkennen ist – , links die von Engeln begleiteten Auserwählten, die in den Himmel kommen. Die unterste Reihe zeigt die Stifterfamilie Elerdts, die Herren links, die Damen rechts. Die Jahreszahl 1559 steht für das Jahr der Fertigstellung des Epitaphs, das posthum zum Andenken an den 1555 verstorbenen Bürgermeister Melchior Elerdts in Auftrag gegeben worden war. Die Konfessionsstreitigkeiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brechen hier deutlich hervor, den protestantischen Auftraggeber verrät eindeutig die Verdammung des Papstes als Antichrist. Ursprünglich hing das Epitaph in der St. Andreaskirche zu Braunschweig, wo es die schweren Luftangriffe 1944 überstand. Nach dem Krieg verschwand das Epitaph auf mysteriöse Art, später war sogar von Holzdiebstählen die Rede. Der Gedanke an die eisigen Nachkriegswinter ließ diese Vermutung nicht ganz abwegig erscheinen. Doch das „Jüngste Gericht“ tauchte unlängst im Kunsthandel wieder auf, und die evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig konnte das Tafelbild des ehemaligen Epitaphs erwerben. So wird es künftig wieder in der Kirche St. Andreas zu bewundern sein.
Brandenburgisch Blau
Weite Felder und dichte Wälder, der Himmel im blendenden Licht, die tiefe Düsternis der Wolken vor ewigem Horizont – als der Maler Johannes Geccelli (1925–2011) 1994 nach Jühnsdorf umsiedelte, zogen ihn die Landschaft, die Farben und das Licht Brandenburgs in ihren Bann. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod 2011 entwickelte Geccelli hier die Zuspitzung seiner konstruktivistischen Farbfeldmalerei. Eindringliche Farbmodulationen entwerfen auch in Geccellis Gemälde „Im Schatten“ einen suggestiven Bildraum: Lockere Pinselstriche steigern das dunkle Grün bis zu einem erst sanft leuchtenden und schließlich sonor strahlenden Blau zur Mitte hin. Dort, wo sich alles dunkel verschattet, wo die Bildfläche in einem organisch pulsierenden Farbereignis kulminiert, tut sich ein schmaler Spalt auf, der die nackte Leinwand preisgibt. Hier in der Mitte, wo in früheren Werken Geccellis oft noch überlange Gestalten oder später auch geometrische Formen erkennbar waren, bleibt der Meister der Farben in seinem Spätwerk abstrakt, farblos, mehr noch: Die radikale chromatische Intensität erfährt ihren Gegenakzent, das Sichtbare schlägt um ins Unzeigbare. Eine Reminiszenz an künstlerische Anfänge – waren doch überlieferte Stilmittel, Motive und symbolische Besetzungen vielen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg suspekt. In historisch unbelasteten Farbräumen entdeckten manche ihre Freiheit des Ausdrucks. Das Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst (ehemals Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus), dem der Maler Geccelli über viele Jahre durch zahlreiche Leihgaben für zwei Einzelausstellungen eng verbunden war, freut sich über das jetzt erworbene, wichtige Spätwerk des großen Koloristen.
Versilberung des Alltags
Ein ausgekippter Nachttopf, ein übelriechender Misthaufen oder gar der ungewaschene Nachbar – es gab schon immer mannigfaltige Gründe, ein Riechdöschen in der Tasche zu haben, um im Notfall schnell die Nase hineinzustecken. Eine Essenz aus Rosen, Maiglöckchen oder Moschus, geträufelt auf einen Naturschwamm, brachte die Leidenden schnell auf andere Gedanken. Die kunstvoll angefertigten Riechdosen sind nur ein Teil der ostfriesischen Kleinsilbersammlung, die der Antiquitätenhändler Horst Arians in über 40 Jahren zusammengetragen und dokumentiert hat. Hinzu kommen zahlreiche silberne Spangen, Teesiebe, Besteck und allerlei Alltagsgegenstände, die wohlhabende Marschbauern im 18. und 19. Jahrhundert benutzt haben. Besonders die Riechdosen – hergestellt von heimischen Silberschmieden – sind in ihrer Verarbeitung hochqualitative Kunstwerke und gleichzeitig eine regionale Besonderheit: Traditionell wurden sie als Konfirmationsgeschenke an die kommenden Generationen weitergegeben. Mythologische Szenen und auch solche aus dem alltäglichen Leben der Bauern verzieren die 212 Dosen, die Horst Arians neben rund zweihundert weiteren kleinen Silberschätzen leidenschaftlich gesammelt hat. Dem Ostfriesischen Landesmuseum in Emden gelang nun der Ankauf dieser einzigartigen Sammlung.
Zuhause bei Hartmanns
Auch wenn ihr der Gemahl, Fürst Leopold Friedrich Franz III. von Anhalt-Dessau, mit seinem Gartenreich ein einzigartiges florales Imperium zu Füßen legte, zog es Louise von Anhalt stets von Dessau in die Ferne. Denn sowohl die prachtvollen Parkanlagen als auch der für sie errichtete und nach ihr benannte Landsitz, das Luisium, vermochten die empfindsame Fürstin nicht darüber hinwegzutrösten, dass ihre Ehe – politisch motiviert und arrangiert – eine unglückliche war. Reisen nach Italien und in die Schweiz halfen zwar, der bedrückenden Stimmung am Hof von Zeit zu Zeit zu entfliehen, doch ihr Refugium sollte Louise erst Jahre später finden: In Stuttgart, im Haus der bürgerlichen, kunstsinnigen Familie Hartmann, deren Bekanntschaft sie 1798 machte und bei der sie – für den Hof ein Skandal – von 1802 bis 1804 sogar dauerhaft wohnte. Im Vorjahr ihres Zusammentreffens mit den Hartmanns entstand das ganzfigurige Porträt der Fürstin von der Hand Johann Friedrich August Tischbeins. Seit 1795 in Dessau tätig, gelingt dem Hofmaler im kleinen, gleichsam privaten Format das damals hochmodische Thema der empfindsamen Dame in der Natur. Zugleich erfasst der Künstler in der elegischen Stimmung des Bildnisses die große Melancholie und das Fernweh Louises. Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass das Gemälde nicht nur vom Unglück der Fürstin, sondern zugleich von ihrer engen Verbundenheit mit den Hartmanns Zeugnis ablegt: Denn Quellen legen nah, dass sich das Porträt ab 1802 im Besitz der Familie befand und dort mehr als 200 Jahre verblieb. Als sich die Nachfahren jüngst von ihm trennen wollten, gelang es der Kulturstiftung DessauWörlitz, das Bildnis auf einer Auktion zu erwerben. Es kehrt nun ins Gartenreich Dessau-Wörlitz zurück, wo es künftig im Luisium Seite an Seite mit weiteren Porträts der Fürstin präsentiert wird.