Erwerbungen

Bethlehem am Niederrhein

Dries Holthuys, Anbetung des Kindes, 1490/95, 37×45×16,8 cm
Dries Holthuys, Anbetung des Kindes, 1490/95, 37×45×16,8 cm

Bitter kalt ist die Heilige Nacht: Joseph schützt sich mit dicken Fäustlingen vor der Kälte. Ein Engel müht sich, das schadhafte Dach des strohgedeckten, zugigen Stalls auszubessern, ein ebenfalls behandschuhter Hirte schlittert eilig den Hang hinab, um die Geburt des Heilandes zu erleben. Aber ist das wirklich Bethlehem? Denn hinter der Stadtmauer sind deutlich niederrheinische Staffelgiebel zu erkennen. Mit überraschenden Details und ungewöhnlichen Anekdoten schmückte Dries Holthuys seine „Anbetung des Kindes“ aus und erschuf so einen Höhepunkt der niederrheinischen Schnitzkunst. In seiner Darstellung folgte Holthuys der Vision der Heiligen Birgitta von Schweden, die für die spätmittelalterliche Kunst und insbesondere für nordalpine Darstellungen der Geburt Christi von großer Bedeutung war. So zeigt er das Christkind nicht in Windeln gewickelt in der Krippe liegend, sondern splitternackt am Boden auf dem Mantel Mariens, die in Anbetung versunken ist. Womöglich sein Drang nach realer Vergegenwärtigung ließ Holthuys das Weihnachtsgeschehen – wenigstens teilweise – in heimatliche Gefilde verlegen. Auch wenn im Lauf der Jahrhunderte Maria ihre Hände und der Engel seine Flügel verloren haben, erstaunt noch heute die feinteilige Bearbeitung der Gesichtszüge, der Haare sowie die meisterhafte Wiedergabe der Gewandfalten. Ursprünglich bildete diese virtuos in Eichenholz geschnittene Christgeburt vermutlich die zentrale Darstellung eines privaten Altarschreins. Jetzt konnte sie aus Antwerpener Privatbesitz vom Museum Kurhaus Kleve angekauft werden. Dort widmet man sich seit Jahren intensiv der Erforschung des Werkes von Dries Holthuys, einem der bedeutendsten Bildhauer der Spätgotik am Niederrhein, der um 1500 nachweislich in Kleve tätig war.

Ordentlich Krieg

Kriegsordnung Albrechts von Brandenburg, 1555, 39×26 cm, Blätter 88/89, Miniatur Zahlmeister und Erläuterung
Kriegsordnung Albrechts von Brandenburg, 1555, 39×26 cm, Blätter 88/89, Miniatur Zahlmeister und Erläuterung

Hinter Los Nummer 25 der Londoner Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 2009 verbarg sich eine veritable Sensation „from a private collection“: Die „Kriegs Ordenung“ Albrechts von Brandenburg (1490–1568) war nicht nur eine Prachthandschrift der Renaissance, sondern auch der Fachwelt bislang völlig unbekannt. Und der Vergleich mit der bekannten Kriegsordnung desselben Autors, einer Handschrift in der Sammlung der Berliner Staatsbibliothek und unlängst als Faksimile ediert, brachte Erstaunliches zutage: Ganz offenkundig handelte es sich um zwei zueinander gehörige Kompendien aus Albrechts Besitz, die über die Jahrhunderte getrennt worden waren. Wie sich herausstellte, war die Handschrift 1908 über ein Londoner Antiquariat verkauft worden und gelangte schließlich in australischen Privatbesitz. Während sich der Berliner Teil vor allem den Schlachtenordnungen widmet, weist der andere Beschreibungen und Darstellungen von Soldaten und Offizieren in 60 kostbaren Buchmalereien auf. Nun ist der Staatsbibliothek zu Berlin der Erwerb des zweiten Bandes gelungen – und damit die Zusammenführung eines hochbedeutenden militär­theoretischen Opus von beeindruckender Schönheit.

Ode an die Ostsee

Max Pechstein, Am Strand, 1954, 80×110 cm
Max Pechstein, Am Strand, 1954, 80×110 cm

Die Ostseeküste war seine zweite Heimat – auch künstlerisch –, doch nach Schleswig-Holstein sollte Max Pechstein erst gegen Ende seines Lebens kommen. Von Ost nach West, durch die Verluste der Weltkriege immer weiter nach Westen gedrängt, hat der 1881 in Zwickau geborene Maler und Graphiker die Küste für sich entdeckt: Angefangen 1909 im Fischerdörfchen Nidden im damaligen Ostpreußen, wo er als Mitglied der „Brücke“ zur expressiven Flächigkeit fand, über das pommersche Leba, das er von 1921 bis 1945 vielfach besuchte; 1949 dann Usedom, auf der Suche nach dem verlorenen Lebensgefühl der Vorkriegsjahre – und schließlich, im Sommer 1952, die Kieler Bucht. Auf diesen Aufenthalt Max Pechsteins in Schleswig-Holstein geht das Gemälde zurück, das als das letzte des Künstlers gilt: „Am Strand“ aus dem Jahr 1954. Wie ein Leitmotiv ziehen sich die Ostsee und das Sujet der „Badenden“ durch das Œuvre des Expressionisten; schwer erkrankt wird der 73-Jährige beide Motive ein Jahr vor seinem Tod in „Am Strand“ noch einmal aufgreifen. Das Gemälde ist Pechsteins letzte Reminiszenz an die See und seine einzige an die schleswig-holsteinische Küste. Von der Liebe des Künstlers zur Ostsee kann die Kunsthalle zu Kiel nun erzählen. Denn mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder hat das Museum „Am Strand“ für seine Sammlung expressionistischer Kunst erworben.

Romantisch: Liebers Briefe

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Brief Schlegels an Novalis aus der Sammlung Liebers

Die Romantik fand in Briefen statt, und emsige Briefeschreiber waren auch Friedrich Schlegel und der früh verstorbene Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als Novalis: In Briefform tauschten die beiden bedeutendsten Vertreter der Früh­romantik ihre Gedanken zu Philosophie, Religion, Geschichte und Literatur aus. Nahezu ihr vollständiger Briefwechsel ist nun im wichtigsten Archiv zur deutschen Romantik vereint, denn durch den Ankauf des schriftlichen Nachlasses von Moritz Lieber (1790–1860) konnten auch Schlegels Briefe an Novalis aus den Jahren 1793–1798 dauerhaft für das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt gesichert werden, das bereits den Novalis-Nachlass sowie die Gegenbriefe an Schlegel aufbewahrt. Unter den knapp 900 erworbenen Handschriften aus dem Umkreis der deutschen Romantik befinden sich zudem zahlreiche Aufzeichnungen und Werknotizen Schlegels, die spannende Einblicke in seine Gedankenwelt nach 1800 bieten, wie Notizen zu der von den Frühromantikern entwickelten Idee einer Universalpoesie, die im Zentrum des Lebens stehen und „das Leben und die Gesellschaft poetisch machen“ sollte.

Harzer Schnitte

KSL_APT_4_2011_049Aus einfachen Zigarrenkisten, die sich zuhauf in seinem Berliner Atelier stapelten, fertigte der passionierte Zigarrenraucher Lyonel Feininger (1871–1956) im Frühjahr 1918 seine ersten Holzschnitte: Denn das weiche Holz der Kisten ließ sich besonders gut als Druckstock bearbeiten. Im Sommer des selben Jahres war ­Feiningers Leidenschaft für die vor allem durch die Expressionisten wiederentdeckte Drucktechnik bereits hell entfacht: Sogar während eines eigentlich zur Erholung gedachten Aufenthalts in Braunlage im Harz schuf Feininger „wie ein Rasender“ neue Holzschnitte. So entstand ein beeindruckendes Holzschnittwerk des Künstlers, der als einer der ersten Meister an das im April 1919 eröffnete Staatliche Bauhaus in Weimar berufen wurde. Während der anschließenden Dessauer Bauhaus-Zeit fand er in Hermann Klumpp (1902–1987) – dieser studierte Architektur bei Mies van der Rohe – einen engen Freund fürs Leben. Als die Feiningers unter dem Druck der Nationalsozialisten 1937 nach New York emigrierten, überließen sie ihm einen beträchtlichen Teil ihrer Bilder zur Aufbewahrung in Quedlinburg, wo er lebte. Heute umfasst die Sammlung Klumpp, die sich als Leihgabe in der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg befindet, hauptsächlich Papierarbeiten des Künstlers. Nahezu komplett vertreten ist das Holzschnittœuvre mit einzigartigen Zustands- und Probedrucken. Aus dem Besitz der Familie Klumpp konnten jetzt 20 Holzschnitte der entscheidenden Schaffensjahre von 1918 bis 1920 dauerhaft für die Lyonel-Feininger-Galerie gesichert werden. Darunter finden sich auf unterschiedlichen und farbigen Papieren – auf deren sorgfältige Auswahl der Künstler größten Wert legte – Landschafts- und Architekturdarstellungen, Segelschiffe, aber auch Drucke, die Feiningers Neigung zum Grotesken und zur Karikatur zeigen. Sein Lieblingsmotiv, die Kirche von Gelmeroda, ist in drei verschiedenen Drucken ebenso vertreten wie die große Fassung seines wohl berühmtesten Holzschnittes „Die Kathedrale“, den er 1919 für das Manifest des Bauhauses schuf.

Apostel ohne Attribut

Hl. Johannes, um 1330, Höhe: 80 cm
Hl. Johannes, um 1330, Höhe: 80 cm

Die linke Hand mitsamt Kelch ver­loren, kündet heute allein die grazil zum Segen erhobene Rechte davon, wie der Heilige Johannes der versuchten Vergiftung durch den heidnischen Oberpriester Aristodemos entging: Denn mit dem Kreuzzeichen bannte der Apostel das Gift; der Überlieferung nach entwich es dem Gefäß in Gestalt einer züngelnden Schlange. Das fehlende Attribut schmälert die Qualität der 80 Zentimeter hohen Nussbaumskulptur, deren spätmittelalterliche Fassung sich gut erhalten hat, jedoch in keiner Weise. Im Gegenteil: Um 1330 in der Kunst- und Handelsmetropole Köln entstanden, zeigt sie die Werkstätten der dort ansässigen Bildhauer auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Anmutig biegt sich der Körper des jungen Apostels in einer eleganten Kurve in Richtung Spielbein; die langen Gewandfalten betonen Vertikalität und Schwung der Figur; ihr Gesicht ist zart und einfühlsam bearbeitet. Nur wenige stehende Heiligenfiguren aus dieser Zeit sind heute überliefert – der Johannes ist somit eine ganz besondere Rarität. Jahrzehntelang in rheinischem Privatbesitz, ist die Holzskulptur nach ihrem Ankauf durch das Museum Schnütgen nun erstmals öffentlich zu sehen: In unmittelbarer Nachbarschaft zu stilistisch nah verwandten Werken wird das Museum das kostbare Zeugnis der Kölner Bildhauerkunst der Hochgotik künftig präsentieren.