Erhörte Heilige

Frisch überholte 15 Quadratmeter, luftig, hell und in bester Lage, so oder so ähnlich könnte wohl die Werbeanzeige für ein Studentenzimmer in einer hoch frequentierten europäischen Hauptstadt lauten. Hier sind damit jedoch die Eckdaten eines soeben restaurierten Gemäldes beschrieben, das als Teil der Sammlung des Landesmuseums Oldenburg demnächst im Schloss der Stadt präsentiert werden kann. Es handelt sich um die „Fürbitte der Heiligen“ von der Hand des venezianischen Malers Jacopo Negretti, genannt Jacopo Palma il Giovane (1548–1628).

Die aufwändige Restaurierung des riesigen Gemäldes (2,30 × 6,64 m) wurde durch das Aktionsbündnis Kunst auf Lager, die Hermann Reemtsma Stiftung, die Kulturstiftung der Länder und die Ernst von Siemens Kunststiftung ermöglicht und bringt ein in vieler Hinsicht außergewöhnliches Gemälde nach ca. 130 Jahren zurück an das Licht der Öffentlichkeit. Denn der Gemälde-Gigant, der vermutlich um 1627 in Norditalien entstanden ist, dürfte in Anbetracht seiner Größe in Oldenburg nie ausgestellt gewesen sein.

Im Zentrum des farbenprächtigen Gemäldes, das bisher selbst den Experten nur als Schwarzweißfotografie bekannt war, steht Christus auf einer Wolke. Sein Haupt ist von einem Glorienschein umgeben. Mit einem wallenden Mantel und einem Lendentuch bekleidet, hat er den rechten Arm zu einer emphatischen Geste erhoben. Rechts und links ist die Figur des Christus von 25 Aposteln und Heiligen umgeben, die sich ihm bittend zuwenden. Einige von ihnen sind anhand ihrer Kleidung oder ihrer Attribute eindeutig zu identifizieren. So kniet unmittelbar rechts neben Christus seine Mutter Maria, die durch ihre Krone als Himmelskönigin ausgewiesen ist. Neben Maria befinden sich auf dieser Seite Christi unter anderem sein Lieblingsjünger Johannes sowie Johannes der Täufer, Paulus und der heiligen Dominikus. Linker Hand ist unter anderem Petrus zu erkennen, der die Himmelsschlüssel in Händen hält, sowie die weiblichen Heiligen Katharina von Siena und Agatha von Catania. Zudem sind die Märtyrerinnen Katharina von Alexandria und Justina von Padua dargestellt.

Die „Fürbitte der Heiligen“ stammt sehr wahrscheinlich aus der Rosenkranzkapelle der Dominikaner-Kirche San Domenico in Brescia. Wie genau sie nach Oldenburg gelangte, ist unklar. Sicher scheint, dass der Bischof von Brescia den Maler Jacopo Palma il Giovane in den 1620er-Jahren mit der Ausgestaltung der Kapelle beauftragte. Der zu diesem Zeitpunkt bereits berühmte Venezianer hatte gegen Ende des 16. Jahrhunderts unter anderem ein „Jüngstes Gericht“ im Palazzo Ducale in Venedig geschaffen, das der „Fürbitte der Heiligen“ nicht nur in Komposition und Stil ähnlich ist, sondern letzteres Gemälde mit 3,95 m Breite und 15,65 m Länge größenmäßig noch weit in den Schatten stellte.

Um 1611 war die mittelalterliche Dominikaner-Kirche, die der Legende nach der heilige Dominikus selbst gegründet haben soll und zu der bis in napoleonische Zeit auch ein bedeutender Dominikaner-Konvent gehörte, durch den Maler, Bildhauer und Architekten Pietro Maria Bagnadore im Stil der Zeit neu erbaut und erweitert worden.

Was angesichts der beeindruckenden Dimension der „Fürbitte der Heiligen“ kaum zu glauben ist, ist die Tatsache, dass das Gemälde in der Rosenkranzkapelle ursprünglich fast doppelt so groß gewesen sein muss wie heute. Denn wie die Restaurierung zweifelsfrei erwies, verfügte die auf Leinwand gemalte Darstellung, die sich durch eine dünne Malschicht und damit einen schnellen und souveränen Malstil auszeichnet, noch über eine untere Hälfte, die heute verloren ist: Das Gemälde wurde horizontal geteilt. Dies geschah vermutlich, als die Kirche San Domenico – wahrscheinlich im Zuge antidominikanischer Ressentiments – im Jahre 1883 abgerissen wurde.

Glücklicherweise weiß man jedoch aus Beschreibungen, dass die untere Hälfte des Oldenburger Palma-Gemäldes die Seelen im Fegefeuer zeigte. Zudem offenbaren die erhaltenen Texte, dass sich in der Kirche noch ein zweites Gemälde Jacopo Palma il Giovanes von gleicher Monumentalität befunden haben muss, das zu einem ausgeklügelten Bildprogramm gehörte und insofern motivisch korrespondierte. Dieses Gemälde, das den Sieg der venezianisch-spanischen Flotte gegen die Osmanen am 7. Oktober 1571 memoriert, befindet sich heute in einer Privatsammlung und wird derzeit in Turin restauriert. Es wurde vermutlich zum gleichen Zeitpunkt horizontal geteilt. Seine obere Hälfte, die heute ebenfalls als verloren gilt, zeigte wohl mit Gottvater, Jesus und dem Heiligen Geist die Trinität, wie eine zeitnahe Beschreibung einer noch erhaltenen Vorstudie in italienischem Privatbesitz verrät. Ein italienischer Reiseführer des Jahres 1860 erwähnt für die Kirche immerhin „zwei schöne Bilder von Palma il giovane“ („due belle tele del Palma il giovane“) als Teil der Ausstattung, von denen das eine die siegreichen Kombattanten bei Lepanto bei der Danksagung gen Himmel und das andere das Fegefeuer zeige. Fürbitte der Heiligen und Trinität werden nicht erwähnt, was angesichts der Geläufigkeit der Motive allerdings nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass sich die oberen Teile zur fraglichen Zeit nicht mehr an Ort und Stelle befunden haben. Vielleicht orientierte sich die Beschreibung auch an derjenigen des Künstlerbiografen Carlo Ridolfi, die 1648 ähnlich knapp ausfiel und stark rezipiert wurde. Denkbar wäre allerdings, dass die oberen Hälften bereits mit der Auflösung des Dominikanerkonvents 1797 zur Zeit der napoleonischen Herrschaft in Brescia aus der Kirche entfernt wurden. Spätestens mit dem Abriss der gesamten Kirche im Jahr 1883 dürften letztlich alle Gemäldeteile in den Handel gelangt sein. Wie bereits angedeutet, lässt sich ihr unmittelbares Schicksal im Nachgang nicht klären. Palmas „Fürbitte der Heiligen“ ist erst neun Jahre nach dem Abriss der Kirche in Brescia erneut nachweisbar, und zwar in Form eines kurzen Katalogeintrags der Gemäldesammlung Oldenburg aus dem Jahre 1902.

Vermutlich wurde das Gemälde unter dem Oldenburgischen Großherzog Nikolaus Friedrich Peter II. um 1890 für die damals bereits bedeutende und weithin bekannte Gemäldesammlung Oldenburgs erworben. Deren Grundstein war zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Ankauf der Gemäldesammlung Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins unter Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg, dem späteren Herzog Peter I. gelegt worden. Zu einem historisch frühen Zeitpunkt für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich, hatte die Sammlung zum Ziel, die kulturelle Bildung zu befördern. Zumindest diente sie, wie es das 1824 veröffentlichte Handbuch des Oldenburger Archivsekretärs Ludwig Kohli ausdrückte, „vorzüglich zur Beförderung und Ausbildung des Kunstsinns und zur angenehmen, lehrreichen Unterhaltung des Kunstliebhabers“.

Der kunstbegeisterte und umtriebige Großherzog Nikolaus Friedrich Peter II. sorgte seinerseits ab 1853 für eine erhebliche Erweiterung der Sammlung. Tatsächlich studierte er persönlich Auktionskataloge, erstellte nach Präferenz abgestufte Wunschlisten und erteilte handschriftliche Anweisungen an die von ihm geschätzten Kunstkenner, die er mit dem Erwerb der Bilder vor Ort beauftragte. Rückblickend ist der Großherzog, auf dessen Betreiben vermutlich auch Jacopo Palma il Giovanes Gemälde „Fürbitte der Heiligen“ nach Oldenburg gelangte, etwa für die Hälfte des Bestandes der gesamten Oldenburgischen Gemäldesammlung verantwortlich, wie sie bis 1918 bestand.

Das Schicksal der Oldenburgischen Gemäldesammlung, die nach dem Ende der Monarchie zu großen Teilen außer Landes gebracht und dort auf Betreiben des letzten Großherzogs meistbietend verkauft wurde, verursachte unter den Zeitgenossen eine Welle der Empörung und führte zum ersten Kulturgutschutzgesetz der Weimarer Republik. Dem Verkauf entging Palma il Giovanes Gemälde wohl nur knapp, da mit 30.000 Mark eine für die damalige Zeit hohe Preiseinschätzung durch den Kunsthistoriker Gustav Pauli bereits vorlag. Wiederum dürfte es die beträchtliche Größe des Gemäldes gewesen sein, die sein Geschick bestimmte und dieses Mal für seinen Verbleib in Oldenburg sorgte. Allerdings wurde das Gemälde in Oldenburg wahrscheinlich nie ausgestellt, da es außerhalb des Schlosses kaum geeignete Räumlichkeiten gab. Frühere Reparaturen kleinerer Fehlstellen zeigen jedoch, dass dem Gemälde im Laufe seiner Existenz durchaus Aufmerksamkeit zuteil wurde. In Oldenburg scheint das Gemälde zunächst auf einem Vierkantholz aufgerollt gewesen zu sein. Die Spuren dieser Lagerung, die schon bald zugunsten der Verwahrung auf einer Trommelkonstruktion aufgegeben wurde, konnten durch die jüngste Restaurierung behoben werden. Überhaupt war die Erleichterung aller Beteiligten groß, als sich nach der Abnahme des Gemäldes von der Trommel im Rahmen der Schadenskartierung zeigte, dass das Gemälde angesichts seines hohen Alters und seiner Aufbewahrung in gutem Zustand war. So konnten sich die Restauratoren Stück für Stück vorarbeiten und entfernten mit dem Firnis zunächst die oberste durchsichtige Schutzschicht des Gemäldes, die im Laufe der Zeit stark nachgedunkelt war. Außerdem wurde die wohl im 19. Jahrhundert auf der Rückseite aufgebrachte zusätzliche Leinwand, die sogenannte Doublierung, an den Stellen befestigt, an denen sie sich gelöst hatte. Wenn nicht die größte Herausforderung, so doch die größte Geduldsprobe stellte die langwierige Reinigung des Gemäldes dar, die Quadratzentimeter für Quadratzentimeter erfolgte. Die Ausdauer der Beteiligten wurde jedoch mit der zunehmenden Intensität der Farben belohnt.

Zwar hat die Corona-Pandemie eine ursprünglich geplante Schau-Restaurierung des Gemäldes verhindert, im Internet können die zukünftigen Besucherinnen und Besucher des Landesmuseums Oldenburg jedoch die Entdeckungsreise nachvollziehen, die die Restaurierung von Palma il Giovanes „Fürbitte der Heiligen“ bedeutet hat.

Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
Schloss, Schlossplatz 1, 26122 Oldenburg
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