Eng verwoben
Als sich Gertrud Arndt 1923 am Bauhaus einschrieb, um den von ihr erhofften Platz im Architekturkurs der renommierten Hochschule zu ergattern, hatte sie bereits zwei Jahre in einem Erfurter Architekturbüro gelernt. Nach dem obligatorischen Vorkurs fand sie sich jedoch in der Textilwerkstatt wieder – ein Schicksal, das sie mit vielen ambitionierte Bauhäuslerinnen teilte: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“, soll Oskar Schlemmer einst gesagt und mit dem spöttischen Reim die Haltung des männlich dominierten Bauhaus-Kollegiums gegenüber Frauen zum Ausdruck gebracht haben. Doch Gertrud Arndt, Benita Koch-Otte, Gunta Stölzl und viele andere Künstlerinnen am Bauhaus, die sich in die sogenannte Weiberklasse verdrängt sahen, emanzipierten sich rasch von der Geringschätzung ihrer männlichen Meister und Kommilitonen: Ihr Talent und Innovationsdrang machten die Weberei zur produktivsten und finanziell erfolgreichsten Werkstatt am Weimarer Bauhaus. Mit den erworbenen Nachlässen gehen Zeugnisse dieses Erfolgs nun dauerhaft in die Sammlung des Berliner Bauhaus-Archivs ein.
Gertrud Arndt (1903–2004) entdeckte trotz oder gerade wegen des verwehrten Architekturstudiums ihre Begabung im Umgang mit Textilien, unter der Werkstattleiterin Gunta Stölzl entwickelte sie sich zu einer der wichtigsten Weberinnen. Der im Nachlass enthaltene, in kräftigen Garnen handgeknüpfte „Wandbehang in Rottönen“ von 1926 – heute eine Bauhaus-Rarität – belegt Arndts Können, farbenfrohe Streifenstoffe waren ihre Spezialität. Als eine der ersten am Bauhaus begann sie auch mit dem Medium Fotografie zu experimentieren. Ihre 32 als vintage prints erhaltenen „Maskenfotos“, die Selbstporträts der Künstlerin mit unterschiedlichen Kostümen und facettenreicher Mimik zeigen, scheinen die Taktiken feministischer Kunst der Nachkriegskunst vorwegzunehmen. Darüber hinaus verschaffen weitere Materialien – darunter grafische Blätter aus Arndts Vorbauhauszeit, Skizzen und Aufzeichnungen aus dem Unterricht bei Klee und Kandinsky, Entwürfe für Webstoffe sowie fotografische Porträts ihrer Mitstudenten – Einblicke in die verschiedenen künstlerischen Bereiche, mit denen sich Gertrud Arndt beschäftigte. Ergänzt wird ihr Konvolut durch Nachlassmaterial ihres Mannes Alfred Arndt (1898–1976), der ebenfalls am Bauhaus Weimar studierte und später als Lehrer für Architektur im Bauhaus Dessau tätig war. Schon als Student betreute Alfred Arndt den Bau des Hauses des Volkes im thüringischen Probstzella – ein maßgebliches Projekt des Neuen Bauens. Nach seiner Lehrtätigkeit in Dessau kehrte er 1932 nach Probstzella zurück, wo er als Reklamegrafiker arbeitete. Erhalten sind Arbeiten von Alfred Arndt aus allen Phasen seines künstlerischen Schaffens, darunter aufschlussreiche Übungen aus dem Bauhaus-Unterricht, freie Zeichnungen und Druckgrafiken ebenso wie Architekturpläne für das Haus des Volkes und typografische Designs seiner Werbeplakate. Besonders besticht sein Gemälde „Thüringische Landschaft“ von 1925. Arndt ließ aus neben- und übereinander geschobenen Farbflächen die schematisierte Ansicht eines Dorfes entstehen.
Geometrische, aus Bleistiftlinien konstruierte, in Gelb über Rot bis Grau aquarellierte Formen: Benita Koch-Otte (1892–1976) galt wie Gunta Stölzl als äußerst begabte Weberei-Schülerin am Bauhaus. Ihre Teppich-Entwürfe – darunter die kostbare Vorlage für den verschollenen Teppich des Weimarer Direktorenzimmers von Walter Gropius – sprechen die Formensprache berühmter Bauhaus-Lehrer wie Johannes Itten und Lyonel Feininger. In den strahlenden, aufeinander abgestimmten Farben der freien Arbeiten Koch-Ottes findet sich insbesondere der Einfluss Paul Klees wieder. Doch auch die eigene künstlerische Handschrift, mit der sie sich als eine der prägendsten Textilgestalterinnen des 20. Jahrhunderts etablierte, wird im insgesamt neun Knüpfproben und 116 Papierarbeiten umfassenden Nachlasskonvolut sichtbar. Von der ersten Idee hin zur Übertragung der Entwürfe in die komplexen technischen Knüpfanweisungen bis zu ihrer Realisierung – an Koch-Ottes Blättern lässt sich der Entstehungsprozess eines Teppichs in Gänze ablesen.
Der Schritt vom traditionellen Knüpfhandwerk hin zum Industriedesign gelang am Bauhaus vor allem dank Gunta Stölzl (1897–1983). Als einzige Frau erklomm sie die Riege der Bauhaus-Meister; die unter ihren Lehrmethoden entstandene Designsprache der Textilien beeinflusste maßgeblich die neue, vom Bauhaus proklamierte Wohnkultur und bewirkte eine grundsätzliche Aufwertung der Textilkunst. Im erworbenen Konvolut befinden sich 43 vintage prints unterschiedlicher Fotografen, die eindrücklich das Leben am Bauhaus dokumentieren: Abgebildet sind Stölzls Kommilitonen und Kollegen, darunter auch das Ehepaar Schlemmer, dem die Bauhäuslerin freundschaftlich verbunden war. Die vertrauensvolle Beziehung der beiden belegen auch die 40 erhaltenen Briefe Oskar Schlemmers an seine Kollegin aus den Jahren von 1925 bis zu seinem Tod 1943. Darüber hinaus bildet Gunta Stölzls Tagebuch, das sie 1919 zu schreiben begann, einen Höhepunkt im Nachlass: Authentisch und ungefiltert beschreibt die junge Frau auf 167 Seiten das Leben und Arbeiten während der wenig dokumentierten Frühzeit am Bauhaus. Ausstellungsunterlagen, Zeugnisse, Korrespondenzen mit Studierenden und Freunden, sowie einzelne Aufnahmen der Bauhaus-Fotofragen T. Lux Feiniger, Lucia Moholy und Judit Kárász ergänzen das wertvolle Konvolut der Meisterin.
Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Wüstenrotstiftung und der Rudolf-August Oetker-Stiftung gelang es dem Bauhaus-Archiv nun, die eng mit dem Kernbestand der Sammlung verwobenen Nachlasskonvolute zu sichern. Rare Unterrichtsdokumente aus den Bauhauskursen wie sie beispielsweise im Konvolut von Alfred Arndt und Benita Koch-Otte enthalten sind, erlauben der Bauhaus-Forschung Einblicke in die unterschiedlichen Lehrmethoden der Meister. Von ersten Skizzen über realisierte und unvollendete Entwürfe, Knüpfproben und -anleitungen, bis hin zum fertigen Teppich geben die Materialien aus den Nachlässen zudem wertvolle Auskünfte über die Techniken und Arbeitsweisen der vier Künstler/innen. Die Selbstporträts Gertrud Arndts, das Tagebuch Gunta Stölzls und freundschaftliche Briefe unter den Bauhäuslern dokumentieren außerdem Privates aus dem Künstlerleben am Weimarer Bauhaus. Durch den Ankauf für die international größte Sammlung zum Bauhaus bleiben die vier künstlerischen Positionen in ihrem ursprünglichen Kontext erhalten und können somit die Forschung um die Weimarer Bauhauszeit weiterhin entscheidend bereichern.