Eine Frage des Stils
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Fresken aus einer römischen Villa, die unter einer saarländischen Kirche gefunden wurden und mittlerweile dringend der Restaurierung bedürfen; das niederländische Blumenstillleben, das als Diebesgut nach Übersee gelangt war und nun an seinen angestammten Platz in einem deutschen Museum zurückkehren konnte; die in einer Krefelder Ausstellung gewürdigte „Corporate Identity“, die Peter Behrens für den AEG-Konzern entwickelte – sie alle zeugen vom Anspruch der Kunst, die Lebenswelt des Menschen ästhetisch zu gestalten. Sich mit schönen Dingen zu umgeben, war immer der Anspruch der Eliten, seien dies kirchliche Würdenträger als Auftraggeber sakraler Objekte, Dynasten aus fürstlichem Haus, die ihre Töchter mit aufwändigen Mitgiften in den Ehestand verabschiedeten, oder vermögende Bürger, die ihre favorisierten Künstler in großem Stil in ihrer Wohnumgebung versammelten.
Kunst und Leben in ein harmonisches, womöglich erzieherisch wirksames Verhältnis zueinander zu setzen war insbesondere das Ziel jener Reformbewegungen, die in den Jahrzehnten um 1900 ein gesamteuropäisches Phänomen darstellten, von Arts and Crafts und Glasgow Style über Jugendstil, Art Nouveau oder Secessionsstil bis hin zu Werkbund und Bauhaus. Es ist im Vorfeld des Bauhaus-Jubiläums 2019 mehr als angemessen, mit diesem Heft einen der großen Gestalter und Architekten zu würdigen, der für den Übergang vom Jugendstil zur „Moderne“ steht. Henry van de Velde, von dem unter der Mithilfe der Kulturstiftung der Länder ein bedeutendes Werkkonvolut für die Klassik Stiftung Weimar gesichert werden konnte, steht für handwerkliche Qualität, delikate Formgebung und elegante Wohnentwürfe. Die von ihm in Weimar gegründete Kunstgewerbeschule mündete so selbstverständlich in das erste Bauhaus wie sein eigener linearer Jugendstil allmählich einer klassisch-modernen Formgebung wich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten die Bauhaus-Möbelklassiker langsam wieder Einzug in deutsche Wohnungen, doch die gefühlige Muffigkeit der 50er- und 60er-Jahre sowie das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihrer jüngsten Vergangenheit spielten eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung einer ganz anderen „Reform-Kunst“, derjenigen der 68er. Eine große Ausstellung in Aachen zeigt, mit welcher Dynamik, Vehemenz und Rigorosität Künstler aller Sparten die gängigen ästhetischen Standards in Frage stellen, schockieren und die Kunst aus den Reservaten Markt und Museum herauskatapultieren wollten. Im Interview zu unserem Schwerpunkt erläutert der Kunstsoziologe Wolfgang Ullrich seine Sicht auf die Entwicklung der jüngeren Kunstproduktion zwischen Autonomie und Markt.
Jedes Kunstwerk ist seiner Zeit verhaftet und besitzt seine eigene Biografie, so auch die Objekte in den öffentlichen Sammlungen des Saarlandes, dem dieses Heft gewidmet ist. Die Geschichte der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz beginnt mit einem Sammler, dessen Bestände in Teilen problematische Provenienzen aufweisen und jetzt gewissenhaft erforscht werden. Die Sammlung des Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse hingegen muss nach Entzug und Versteigerung erst wieder mühsam rekonstruiert werden, um ihr Profil zu umreißen und die Wege der einzelnen Werke nachvollziehbar zu machen. Auch hier waren Kunst und Leben, Kunstwerk und Sammler aufs engste ineinander verwoben – bis diese gewachsene Verbindung durch das NS-Regime brutal zerschlagen wurde.
Ihr Frank Druffner