Ein Franzose wieder in Kassel
Prunkvoll uniformiert, ganz nach den Vorschriften der königlichen Ordonnanzen des französischen Reiterregiments: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722–1789) porträtierte den französischen Besatzungsoffizier Louis Gaucher (1737–1762) mit eleganter Leichtigkeit im Kontrapost posierend auf einer Anhöhe. Fest erwidert der französische Militär den Blick des Betrachtenden, stemmt selbstbewusst die linke behandschuhte Faust in die Hüfte. Mit dem Zeigefinger seiner entblößten Rechten deutet er bestimmt auf eine sich auf dem Fels entrollende Karte, neben der sein Dreispitz ruht. En détail lassen sich auf der Karte die Stadtmauern und das Umland Kassels erkennen. Tischbein d. Ä. schuf auf der 223 × 129 cm großen Leinwand nicht nur ein Sinnbild der Karriere des 25-jährigen Regimentsführers, er reihte den lebensgroß Dargestellten zudem ikonografisch in die Tradition des europäischen Herrscherbildnisses ein.
In der Ferne der weiten Landschaft ist die heutige Wilhelmshöhe mit der Kolossalstatue des Herkules und dem Schloss am Weißenstein zu sehen: Louis Gaucher, der während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) Teil der Besatzung Kassels war, trennt mit seiner Figur im Gemälde die linksseitig liegenden topografischen Merkmale der Landgrafschaft Hessen-Kassel von dem rechts aufgebauten französischen Feldlager. Vor diesem vertreibt sich kartenspielend eine Gruppe Soldaten auf einem kleinen Hügel die Zeit. Johann Heinrich Tischbein d. Ä. gelingt es, ein überzeugendes Bildganzes zu schaffen, in das sich der junge Militär mit großer Selbstverständlichkeit integriert. In der Tradition des spätbarocken repräsentativen Herrscher- und Standesporträts stehend, fügt sich das Werk in das umfangreiche Œuvre Tischbeins d. Ä. ein. Bereits in den 1750er-Jahren fertigte der Maler für die Kasseler Landgrafen Wilhelm VIII. (1682–1760) und Friedrich II. (1720–1785) Herrscherporträts an. Während der französischen Besatzung zwischen 1756 und 1763 erhielt der Künstler darüber hinaus mehrere Bildnisaufträge von hochrangigen französischen Offizieren. Denn die Kenntnis über das Wirken und die Fähigkeiten des hochgeschätzten, in Frankreich ausgebildeten Porträtisten hatte weite Kreise gezogen, selbst über die Landesgrenzen der Grafschaft Hessen-Kassel hinaus.
Das der Forschung jahrzehntelang unbekannte Werk Tischbeins d. Ä. wurde im Jahre 1928 im Pariser Auktionshaus Drouot versteigert und drei Jahre später letztmalig veröffentlicht. Über Jahre in französischem Adelsbesitz vermutet, ließen sich hierfür allerdings keinerlei Anhaltspunkte finden. Erst Ende 2015 tauchte das Gemälde in Rouen wieder auf: Zu diesem Zeitpunkt für ein französisches Standesporträt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gehalten, konnte es erst die Verfasserin des umfangreichen Tischbein-Werkverzeichnisses als eigenständiges Werk des Malers identifizieren. Bei einer anonymen Versteigerung am 19. April 2016 erhielt die Museumslandschaft Hessen Kassel durch die Förderung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung die Möglichkeit, das Porträt zu erwerben. Zurück an seinem Ursprungsort vervollständigt das Werk den hochkarätigen Bestand der Sammlung Alte Meister.