Editorial

Zeitenwende

Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Herausgeber von Arsprototo, stellt Ihnen das neue Heft vor

Liebe Leserinnen und Leser,

das Wort „Zeitenwende“ macht derzeit die Runde. Längst wird es nicht mehr nur auf eine veränderte Außenpolitik Deutschlands nach dem militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine bezogen. Vielmehr scheint es, als wäre „Zeitenwende“ dazu angetan, ein Lebensgefühl insgesamt zu beschreiben. Denn der Begriff ist inzwischen allgegenwärtig und dies in sehr unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen.

Natürlich, so wird man entgegnen, ‚wenden‘ sich die Zeiten mit jedem Augenblick. Von einer Zeitenwende zu sprechen, ist demnach ohnehin eine Fiktion, ein begriffliches Bollwerk gegen Vergänglichkeit und Instabilität. Und doch muss es einen Grund geben, warum in diesen Tagen viele Menschen den Eindruck haben, das Wort „Zeitenwende“ drücke auf angemessene Weise das aus, was sie empfinden.

Tatsächlich zeigt der Krieg in der Ukraine auf entsetzliche Weise, dass die geopolitische Neustrukturierung der Welt in vollem Gange ist und Sicherheitsgewissheiten und Entwicklungsperspektiven auf dem europäischen Kontinent in kürzester Zeit in sich zusammenstürzen lässt. Zudem erkennen wir, wie fragil und fremdbestimmt die Fundamente unseres Wohlstands sind und dass es grob leichtfertig war, diese Fundamente nicht mit höherer Widerstandsfähigkeit auszustatten. Nicht zuletzt ahnen wir, dass in einer zunehmend multipolaren Weltordnung ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen, in dem Menschen- und Bürgerrechte uneingeschränkt geachtet werden, nur noch eines von mehreren, mehrheitlich illiberalen Gesellschaftsmodellen ist, die miteinander um die Vorherrschaft konkurrieren. Wie dieser Wettstreit ausgehen wird, ist derzeit völlig ungewiss. Kein Wunder also, dass viele Menschen verunsichert sind und glauben, eine Zeitenwende mitzuerleben.

Was hat das alles mit Kultur zu tun? Kultur steht für die Freiheit, die Vielfalt und die bedingungslose Gleichwertigkeit menschlicher Ausdrucksformen, sie bietet den diskursiven und ästhetischen Raum für die Aushandlung von geteilten Sichtweisen und Werten, durch sie entstehen die Erzählungen, die unser Selbstverständnis und unser Handeln leiten. Wenn wir Kultur fördern, investieren wir in die Widerstandskraft unserer Demokratie. Kultur schafft, was wir in diesen Krisenzeiten am meisten benötigen: Kreativität, Zusammenhalt und Hoffnung.

Diese Ausgabe von Arsprototo ist all denjenigen gewidmet, ohne deren freiwilligen und unentgeltlichen Einsatz das kulturelle Leben in Deutschland zum Erliegen käme. Ehrenamtlich geleitete kulturelle Einrichtungen spielen in der Förderpraxis der Kulturstiftung der Länder eine immer wichtigere Rolle – und wo wären die hauptamtlich geführten Kulturinstitutionen in diesem Land ohne die Mäzene, Fördervereine, Bürger:innenbeiräte oder bürgerschaftlich engagierten Einzelpersonen, die sie unterstützen? Auch das Wirken der Kulturstiftung der Länder ist ohne den partnerschaftlichen und großherzigen Einsatz ihres Freundeskreises nicht vorstellbar. Das Heft, das Sie in den Händen halten, ist eine Hommage an all diejenigen Menschen, die sich ehrenamtlich für die Kultur engagieren, verbunden mit unserer Anerkennung und unserem großen Dank. Ich hoffe, die Lektüre begeistert Sie ebenso wie mich.

Ihr Markus Hilgert

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