Die Zukunft der Herkunft

Seit einem Jahr läuft an der Freien Universität Berlin ein öffentlich-privates Verbundforschungsprojekt, in dem erstmals Nachfahren von Opfern der rassischen NS-Verfolgung mit einer Forschungseinrichtung kooperieren: Im Mittelpunkt der Mosse Art Research Initiative (MARI) steht die Rekonstruktion der großen Kunstkollektion des erfolgreichen Berliner Verlegers, Mäzens und Kunstsammlers Rudolf Mosse (1843 –1920). Seine Nachfahren waren 1933 von den Na­tionalsozialisten zur Emigration gezwungen worden; die schon von Rudolf Mosse im Stadtpalais der Familie am Leipziger Platz für die Öffentlichkeit zugänglich gemachte Sammlung von über tausend Kunstwerken war zuvor enteignet worden. Arsprototo erfährt erste Ergebnisse von Dr. Meike Hoffmann, die am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin das Projekt koordiniert. MARI wird von der Bundesregierung über die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) und von der Erbengemeinschaft Mosse sowie der Kulturstiftung der Länder finanziert.

Rudolf Mosse, um 1910; © bpk / Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York
Rudolf Mosse, um 1910; © bpk / Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York

Johannes Fellmann: Frau Hoffmann, von Rudolf Mosses Verlagsimperium, das u. a. das Berliner Tageblatt herausgab, hieß es immer, dass es 1932 Konkurs anmelden musste. Erst kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sei dann das angeschlagene Unternehmen „arisiert“ worden. Sie hatten Zweifel an dieser Legende und wissen jetzt, dass an dieser Geschichte einiges so nicht stimmt. Was konnte das Team von MARI herausfinden?

Meike Hoffmann: Wir können zeigen, dass der Mosse-Konzern mitnichten schon 1932 Insolvenz angemeldet hat. Immer wieder war das in Publikationen behauptet worden, dazu ließen sich aber keine Belege finden. Weder das Jahr noch die dort benannte „Insolvenz“ sind verifizierbar. Fehlerhafte Quellen wurden offensichtlich über Jahrzehnte ungefragt zitiert und weiter verfälscht – auch in Dossiers zu Restitutionsfällen. Klar ist für uns: Eine Insolvenz hat es nicht gegeben. In der zugrundeliegenden Quelle ist von den Bemühungen um einen Vergleich mit den Gläubigern die Rede, dessen Verhandlungen im Herbst 1932 begonnen worden sein sollen. In den nächsten Publikationen wurde daraus ein Konkursverfahren mit dem Stichtag 13. September 1932. Dieses Vergleichsverfahren beginnt laut den von uns geprüften offiziellen Unterlagen aber am 13. September 1933, nicht 1932 – ein fataler Fehler, der sogar zu dem Schluss führte, von einer „Arisierung“ im üblichen Sinne im Mosse-Fall nicht sprechen zu können. Nun ist klar, dass zwar eine Schieflage des Unternehmens bestand, sich die Enteignung sowohl des Unternehmens wie  der  Familie aber erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zuspitzte. Unsere Wirtschaftsexpertin ging auf die Suche: Über eine Insolvenz müsste in den Handelsregisterakten irgendein Vermerk zu finden sein. Im Wiedergutmachungs­verfahren in den 1950er-Jahren sind die heute vermissten Handelsregisterakten noch eingesehen worden und nirgendwo ist von Konkurs die Rede. Die Behauptungen zur finan­ziellen Schieflage des Konzerns und dass mit dem Erlös des Kunstverkaufs Gläu­biger befriedigt wurden, bedürfen einer neuen Bewertung. Wir wissen heute aus den von uns ausgewerteten Dokumenten, dass Rudolf Mosses Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse nicht nur das Wirtschaftsvermögen, sondern auch sein Privatvermögen in das Verfahren geben musste, um die Papiere für die Emigration zu erlangen. Auch das sind eindeutige Hinweise auf eine Zwangs­situation, die in der Vergangenheit immer mal wieder mit dem Hinweis auf die vermeintliche Insolvenz bezweifelt wurde.

JF: Neben der Recherche zu den vielen vermissten Kunstwerken legen Sie ein Augenmerk auf die Kontextforschung. Konnten Sie schon mehr Licht bringen in die Zerschlagung der Kunstsammlung, die nicht nur auf den bekannten öffentlichen Auktionen in alle Welt verstreut wurde, sondern auch in anderen, verschleierten Kanälen des nationalsozialistischen Bereicherungssystems verschwand?

MH: Bisher war die Sammlung nur aus den Auktions- und Sammlungskatalogen zum Mosse-Palais erschließbar. Wir erstellen dazu einen virtuellen Plan, einen Rundgang der Ausstellungsräume im Mosse-Palais in Berlin, um uns einen Überblick zu verschaffen. Doch die gesamte Sammlung muss weitaus größer gewesen sein als die dort gezeigten Werke. Wie umfangreich waren im Landsitz der Familie Mosse außerhalb von Berlin Kunstwerke vorhanden? Wir wissen von einigen Skulpturen und gehen davon aus, dass hier hauptsächlich die Ostasiatika und auch die Benin-Bronzen aufgestellt waren, also eher die außereuropäischen Kunstsammlungen. Und in den jetzt von uns ausgewerteten Dokumenten der zentralen Archivbestände ist viel von Graphiken und von Kunstwerken die Rede, von denen wir bisher gar keine Kenntnis hatten. Im Moment konzentrieren wir uns in Anbetracht der Menge aber zunächst auf den Auktionskatalog von 1934, wir haben hier noch längst nicht alle Kunstwerke identifiziert. Doch es wird weitaus mehr sein als nur diese Versteigerung. Auch bei der von den Mosses bei ihrer Emigration beauftragten Speditionsfirma Silberstein, die dann „arisiert“ wurde, sind wohl viele eingelagerte Kunstgegenstände verloren gegangen. Die Rekonstruktion der Enteignung der Kunstsammlung der Familie Mosse ist deswegen so wichtig, weil wir anhand der Verlustumstände die Distributionswege der geraubten Kunst gerade in der Frühphase des nationalsozialistischen Regimes kennenlernen. Rudolf Mosses Kunstsammlung ist ja bereits 1934 durch die Versteigerung zerschlagen worden, die Prozesse dazu fingen schon 1933 an. Bisher gilt die Regelung, dass sich mit dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze 1935 die Beweislast umkehrt und von da an jeder Entzug per se als einer aus rassischen Gründen gewertet wird, so es sich um eine Kunstsammlung aus jüdischem Besitz handelt. Doch bei Mosse findet der NS-verfolgungsbedingte Entzug bereits früher statt.

Das Mosse-Palais in der Voßstraße 22 in Berlin, Foto von 1935; © bpk / Foto: Atelier Bieber/Nather
Das Mosse-Palais in der Voßstraße 22 in Berlin, Foto von 1935; © bpk / Foto: Atelier Bieber/Nather

JF: Warum entsteht hier früh eine Begehr­lichkeit nach der Sammlung von ­Ru­dolf Mosse?

MH: Rudolf Mosse hat ja in der Kaiserzeit und nach dem Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod 1920 hauptsächlich die Kunst des deutschen Realismus gesam- melt, die dann im Dritten Reich wieder sehr anerkannt war – im Gegensatz zu allen anderen Kunstströmungen. Das hat diese Sammlung auch für viele Privatbe- sitzer sehr interessant gemacht. Sammler- kollegen von Rudolf Mosse wie James Simon hatten sich der Moderne geöffnet, dem Impressionismus oder sogar dem Expressionismus, Kunstrichtungen, die man im Dritten Reich nicht gesammelt hat. Im Gegenteil, die Entfernung dieser Kunst aus den Museen beginnt ja bereits Mitte der 1930er-Jahre.

JF: Es sind bisher 28 Werke wieder gefunden worden, 16 sind bisher restituiert. Zu vielen Werken laufen Recherchen. Doch welche Identifikationen, welche aktuellen Funde sind durch MARI dazugekommen?

MH: Wir haben im Kunstmuseum Winterthur ein Selbstbildnis von Karl Stauffer-Bern gefunden. Die Zeichnung ist seit 1891 in der Sammlung von Rudolf Mosse verzeichnet. Julius Freund kaufte das Werk 1934 auf der Lepke-Auktion im Mosse-Palais. 1941 kaufte das Winterthurer Museum das Bildnis. Im Arkell Museum Canajoharie, New York, haben wir das Gemälde „Schlittschuhläufer“ von Gari Melchers gefunden, es gelangte als Schenkung der Stifterfamilie, die es 1934 in einer New Yorker Galerie erwarb, dorthin. Anders Zorns Gemälde „Blondes Bauernmädchen am Fenster“ ist in schwedischem Privatbesitz lokalisiert, wir haben Kontakt über einen Mittelsmann. Sehr wahrscheinlich befindet sich das Gemälde „Morgensonne“ von Christoffel Bisschop im Warschauer Nationalmuseum. Dort recherchieren wir noch. Emil Jakob Schindlers Gemälde „Dichter Wald im Frühling“ ist in der Sammlung der Österreichischen Galerie Belvedere aufgetaucht. Die österreichische Kommission für Provenienzforschung hat gerade die Rückgabe empfohlen. Im Tel Aviv Museum of Art fanden wir Jozef Israels Gemälde „Durch Nacht zum Licht“, das Rudolf Mosse seit 1906 besaß und für die Ausstellung der Berliner Secession im selben Jahr 1906 auslieh. Einen Bericht mit den Rechercheergebnissen haben wir bereits im November letzten Jahres dem Museum übergeben. Und in der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf haben wir jüngst eine zeitgenössische Teilkopie von Rubens büßender Magdalena aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Darüber hinaus haben wir heiße Spuren zu zwei weiteren Gemälden in deutschem Privatbesitz. An den tollen Ergebnissen sind auch die Studierenden meiner Lehrveranstaltungen an der FU Berlin beteiligt und zu danken haben wir neben den Kooperationspartnern zahlreichen Kollegen, unter anderen auch aus Israel, die unsere Forschungen wesentlich befördert haben.

JF: Mit Ihrem Projekt wollen Sie – neben der Rekonstruktion der Sammlung – auch das mäzenatische Wirken und die Sammeltätigkeit der privaten Sammler der Kaiserzeit erforschen. Sie haben Rudolf Mosse intensiv durch Ihre Forschungen kennengelernt. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

MH: Noch ist der Eindruck grob, aber ich kann Mosses Sammlerprofil schärfer zeichnen als es beispielsweise die Auk­tionskataloge  widerspiegeln.  Rudolf Mosses Interesse galt nicht nur der Kunst für sich allein, sondern Mosse verstand das Sammeln als eine politische Aussage. Als engagierter Kämpfer für die Demokratie wollte er zeigen: Wir als Wirtschaftsbürgertum sind diejenigen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können. Und das tue ich auch über die Präsentation meiner Kunstsammlung, denn wir zeigen dort die Themen und Belange des Volkes und einer Stadtgesellschaft. Mosse nimmt dafür den deutschen Realismus in den Blick, der für ihn das Hier und Jetzt zeigt. Eine Kunst, die keine ästhetisch hochgesteckten Ziele verbildlicht, sondern sich der Gegenwart widmet. Natürlich tut Rudolf Mosse das mit dem Anspruch, zu wissen, was gut für das Volk ist. Ein selbstbewusster Akt, sich in gewissem Sinne quasi aristokratisch mit einem Stadtschloss zu präsentieren und damit zu zeigen, dass die Familiengeschichte, die Herkunft, nicht die alleinige Voraussetzung dafür ist, mitzureden, mitzugestalten. Es zeigt Rudolf Mosses entschiedenes Eintreten für eine konstitutionelle Monarchie. Rudolf Mosse selbst hat viele Werke in Auftrag gegeben – die Künst­ler­unterstützung war für ihn zentral. Soll sich der Staat einmischen in Kunstför­derung? Der deutsche Kaiser förderte Künstler, auch in der Weimarer Republik gab es Programme. Rudolf Mosse wollte die Künstlerförderung aber nicht allein dem Staat überlassen. Ebenso war für das Berliner Mäzenatentum typisch, sich sozial zu engagieren, ein Krankenhaus oder Waisenstift zu gründen oder regelmäßig zu unterstützen, was auch für Rudolf Mosse selbstverständlich war. Und obwohl er die großen Kunstexperten der Zeit in Berlin, Wilhelm von Bode und Hugo von Tschudi, natürlich kannte, hat er sich nicht von ihnen Rat geholt, sondern hat auf den persönlichen, direkten Kontakt zum Künstler gesetzt. So kamen auch viele Versionen damals beliebter Werke in seine Sammlung, ebenso wie zahlreiche belanglose Werke, die wohl eher aus karitativen Zwecken in Auftrag gegeben wurden.

Dazu kommt der Einfluss seines Mitarbeiters, des Berliner Tageblatt-Redakteurs Fritz Stahl, der ihn überredet, breiter zu sammeln, frühere Epochen zu ergänzen, niederländische und italienische Kunst zu berücksichtigen. Wir stellen aber auch fest, dass sein Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse entgegen der bisherigen Meinung in den 1920er-Jahren weiter gesammelt hat. Hier kommen exklusive Bilder in die Sammlung, die Ostasiatika verorten wir ebenfalls in diese Sammelperiode und auch bei den Benin-Bronzen vermuten wir Hans Lachmann-Mosse als Ursprung.

JF: Gerade haben Sie das Portal www.mari-portal.de freigeschaltet. Sie veröffentlichen transparent sämtliche Dossiers und Rechercheerkenntnisse – ein langgehegter Wunsch in der Provenienzforschung, um Wissen dauerhaft und überall verfügbar zu machen. Wie verändern die Digitalisierung und die Vernetzung der Daten die Arbeit eines Kunsthistorikers bzw. Provenienzforschers?

MH: Netzwerken ist für Provenienzforscher zentral, weitaus gewichtiger als üblicherweise für Geisteswissenschaftler. Außerdem sind wir gewohnt, unsere Interpretation von Ereignissen einfließen zu lassen, da wir aus den historischen Wissenschaften kommen. Jetzt, gerade bei der Nutzung einer Datenbank wie bei MARI, gilt es, zunächst allen Ballast, auch den aus vorhandener Literatur, abzustreifen. Wir entwickeln klare, analytische Formate, denn ein Fernziel ist es, dass sich die Ergebnisse von verschiedenen Recherchen im Semantic Web selbst verknüpfen. Und wir wollen ein breites Publikum ansprechen, denn viele Werke werden in Privatbesitz vermutet. Von dort erhoffen wir uns wertvolle Hinweise. Die amerikanischen Nachfahren der Mosse-Familie, die schon länger Erfahrung in der Suche haben, finanzieren die Programmierung und  wollen  etwas  Zukunftsfähiges. Wir arbeiten mit einem offenen System, gehen weg von literarischen Formen, verwenden standardisierte Textformate. Es wird inhaltliche Texte geben zur Kontextforschung und Resultatberichte zu einzelnen Werken, die wir eindeutig identifizieren konnten – und im besten Fall finden wir die Werke am heutigen Standort. Doch bei vielen Objekten sind wir schon froh, wenn wir sie eindeutig identifizieren  können.  Denn  in  den Sammlungs- und Auktionskatalogen gibt es nur rund 25 Fotos und dürre Beschreibungen  der  restlichen  Objekte   –   bei einer Kunstsammlung mit weit mehr als tausend Werken. In meinen Seminaren an der Freien Universität Berlin leisten beispielsweise die Studierenden wertvolle Basisrecherchen: Mit Hilfe von Werkverzeichnissen oder durch Recherche in der damaligen Tagespresse und den gängigen Kunstzeitschriften lassen sich zahlreiche Werke identifizieren. Im Feuilleton des Berliner Tageblatts wurde immer über die Verkäufe der jährlich stattfindenden großen Berliner Kunstausstellung berichtet, auf der Rudolf Mosse bevorzugt Kunstwerke erwarb. Gibt es genügend erfolgversprechende Anknüpfungspunkte, beginnt die Tiefenrecherche der Spezialisten im MARI-Team.

Bei der Pressekonferenz zum Rückkauf der Susanna von Reinhold Begas in der Alten Nationalgalerie Berlin; v. l. n. r.: Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, Christina Haak, Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, Frank Druffner, kommissarischer Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Meike Hoffmann, Leiterin des MARI-Forschungsprojekts, Roger Strauch, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse, Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Uwe Hartmann, Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste; © Foto: Bernd Wannenmacher
Bei der Pressekonferenz zum Rückkauf der Susanna von Reinhold Begas in der Alten Nationalgalerie Berlin; v. l. n. r.: Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, Christina Haak, Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, Frank Druffner, kommissarischer Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Meike Hoffmann, Leiterin des MARI-Forschungsprojekts, Roger Strauch, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse, Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Uwe Hartmann, Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste; © Foto: Bernd Wannenmacher

JF: Unterschiedliche Partner haben unterschiedliche Interessen. Wie balancieren Sie das bei MARI aus?

MH: Natürlich haben die beteiligten Parteien eigene Interessen, Anwaltskanzleien der enteigneten Familien arbeiten anders als wir, Museen haben vielleicht noch keine Erfahrung mit Rückgaben von Kunstwerken. Aber bis zu einem bestimmten Punkt kann man den Weg gemeinsam gehen und die Energien bündeln. Die Mosse Art Research Initiative versucht Erben, heutige Besitzer und Archive zusammenzubinden, wobei sich alle verpflichten, alles Wissen und alle Dokumente dem Projekt zur Verfügung zu stellen. So stehen uns alle im Familien­besitz erhaltenen Dokumente zur Verfügung, aber auch die gesperrten Teile des Mosse-Nachlasses im Leo-Baeck-Institut. Ebenso erhalten wir – aus unserer Erfahrung ein enorm wichtiges Thema – alle notwendigen Reproduktionsrechte, beispielsweise was Unterlagen des Landesarchivs betrifft. Klar festgelegt ist, dass die Restitutionsverhandlungen außerhalb unseres Projekts stattfinden. Dabei können wir aber einen vergleichbaren Wissenshintergrund garantieren, was in der Vergangenheit bei Verhandlungen oft nicht gegeben war. Wenn Informationen vorenthalten wurden, war das immer problematisch für die Restitutionsgespräche.

Wir recherchieren solange an unseren Spuren entlang, bis wir sicher sind, dass es sich bei einem Werk um eines aus der Mosse-Sammlung handelt, dieses auch zu den NS-verfolgungsbedingt entzogenen Werken gehört und der Weg zum heutigen Besitzer – Museum oder Privatsammler – nachvollziehbar ist. Ein Dossier mit unseren Resultaten stellen wir dem Besitzer zur Verfügung und erfragen,  ob  man  dort  unsere  Fakten widerlegen kann. Falls das nicht stattfindet oder keine Reaktion erfolgt, geben wir den Fall für die Anwälte der Mosse-Erben frei. Diese bitten wir, mit Ansprüchen bis zu diesem Zeitpunkt zu warten. Denn wird ein Anspruch zu früh gestellt, kann unsere Spurensuche stark behindert werden. Unser Vorgehen hat sich bisher sehr bewährt.

Problematisch wird es bei entdeckten Werken in Privatbesitz. Hier kommunizieren wir über Dritte, da noch immer große Bedenken und Angst vor Öffentlichkeit bei privaten Sammlern vorhanden sind und wir deshalb auf Ablehnung stoßen. Wenn ich an die oftmals scharfe Berichterstattung in den Medien denke, kann ich das auch nachvollziehen. Wir versuchen, Vertrauen zu schaffen. Wir machen zunächst klar: Privatbesitzer sind nicht an die Washingtoner Prinzipien gebunden und müssen die Werke nicht zurückgeben. Jeder Schritt ist freiwillig, daher mutiger und hochwillkommen. In den Familien sind möglicherweise wichtige Informationen zum Ankauf und den Wegen der Kunstwerke vorhanden, die wir beispielsweise schwer im noch sehr verschwiegenen Kunsthandel erlangen.

JF: Die Provenienzforschung in Deutschland hat, insbesondere durch die Förderungen des DZK, einen wahren Geldregen und Förderschub sondergleichen erlebt. Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft der Programme?

MH: Ich halte den Vorschlag von Hermann Parzinger (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, d. Red.) für richtig, ein Zentralinstitut für Provenienzforschung einzurichten. Sicherlich ein ambitioniertes Projekt. Aber gerade um der Kritik zu begegnen, dass die Provenienzforscher an den Museen nicht neutral sind, wäre das eine sehr gute Idee für die Zukunft der Herkunftsforschung: Universitätsgebunden, finanziert über die Deutsche Forschungsgemeinschaft, nicht in Museumsstrukturen gebunden oder unter kulturpolitischem Einfluss.