Die Muse der Stunde
Niemand kommt ungesehen an diesem Bild vorbei. Otto Dix, nach traumatischen Erfahrungen an vorderster Kriegsfront in Dresden zum schwer verkäuflichen Bürgerschreck-Maler mit Dandy-Allüren avanciert und während eines dreijährigen Aufenthalts in Düsseldorf endgültig zu seinem manisch-realistischen Stil gelangt, hat der unkonventionellen Kunsthändlerin Johanna Ey in seinem berühmten Auftragsporträt aus dem Jahr 1924 einen eisernen, unbestechlichen Blick aus zwar glubschigen, aber messerscharfen Augen verliehen. Das kann durchaus als Reverenz des sich selbst als „Auge der Welt“ betrachtenden Proletariersprösslings an die eigensinnige Düsseldorfer Kunst- und Künstlerfreundin gedeutet werden. Diese mutige, moderne Frau, die über wenig formale Bildung verfügte und nach dem Scheitern einer unglücklichen Ehe mit zwölf Kindern, von denen nur vier überlebten, in der Lebensmitte mittellos dastand, bevor sie sich mit einer Bäckereifiliale selbstständig machte, die Studenten der nahen Düsseldorfer Kunstakademie mit Bildern ihre Schulden abzahlen ließ und dann tatsächlich in den Kunsthandel einstieg, hat für die Durchsetzung des modernen Stils am Rhein schließlich mehr geleistet als manche renommierte Institution.
Die Inhaberin der Galerie „Neue Kunst Frau Ey“, die bald den kuriosen Mittelpunkt eines Zirkels aus Stürmern und Drängern bildete, ebnete auch Otto Dix den Weg. Das begann auf denkbar informelle Weise. Im Juli 1920 erbat sie bei dem weithin unbekannten Künstler einige Zeichnungen, die sie tatsächlich verkaufen konnte. Bald folgten weitere Sendungen. „Dix freute sich sehr“, schreibt Johanna Ey in ihren Memoiren: „Ich bat Dix er möchte mir sein Foto schicken und da er mir auch gefiel, ein offenes, freches Gesicht hatte, lud ich ihn ein zu uns 14 Tage zu besuchen und unser Gast zu sein.“ Die Fünfzigjährige fühlte sich wohl inmitten adretter junger Männer.
Das schonungslose, ins Spöttische neigende Ausstellen besonderer äußerer Merkmale, das man von Otto Dix erwarten darf, ist durchaus vorhanden: Eierförmige Leibesfülle, Wurstfinger und Speckfalten in Kombination mit dem als Krone getragenen, aber an Tortenuntersetzer erinnernden Mantilla-Haarkamm verleihen dem Bildnis eine leicht groteske Note. In den Vordergrund spielt sich das jedoch nicht, weil alles Verletzende daran fehlt. Der Bordellszenen-Maestro verzichtet auch auf das krass Misogyne. Und selbst die unverkennbare bildmotivische Anlehnung an das barocke Fürstenporträt im Stile eines Diego Velázquez, hier mit den klassischen Elementen Säule, Vorhang und Tischchen, Dreiviertelpose der Figur, pelzbesetztem Kleid in Kardinalsroben-Lila und spanisch-hochadeliger Frisur, geht im Parodistischen allein nicht auf. Anders als die meisten der Ey zugeneigten Künstler, die in Übereinstimmung mit der lokalen Presse die seinerzeit als „meistgemalte Frau Deutschlands“ geltende und sich gern als Spanierin inszenierende „Señora Huevo“ gern auf ihr gemütliches Naturell reduzierten – bis heute hält sich die von ihr verabscheute „Mutter Ey“-Bezeichnung –, porträtiert ausgerechnet der Maler mit dem bösen Blick die resolute Geschäftsfrau in nur verhalten ironischer Brechung als absolutistische Herrscherin.
Als solche konnte Johanna Ey durchaus agieren, nicht nur, wenn es andere Frauen aus ihrem Wirkungskreis zu verbannen galt. Bereits zu Zeiten der Backwarenhandlung hat sie zu verhindern gesucht, dass auf Pump ausgegebene Waren an die jungen Modelle ihrer Studenten gelangten. Die Malerin Trude Brück erinnert sich, freundlich gebeten worden zu sein, nicht mehr in den Laden zu kommen: „Bisher war ich hier bei meinen Malern die Mitte, aber seit du kommst, ist das nicht mehr so.“ Auch in Geschäftsangelegenheiten – Johanna Ey verfügte nie über eine ordentliche Buchführung – ging es später reichlich autokratisch zu, was mitunter zu Zerwürfnissen führte. Im Jahr 1923 kam es unter der Führung des Malers und Schriftstellers Adolf Uzarski, der sich gegenüber Max Ernst und Gert Wollheim zurückgesetzt fühlte, zur Abspaltung der „Rheingruppe“ vom Ey-Kreis.
Die mythische Überhöhung bei Dix geht aber noch weiter, denn die Dargestellte posiert nicht einfach vor dem Vorhang, sondern wird von diesem dynamisch umspielt, wächst aus ihm hervor. Auffällig an dem Bild ist seine agonale Farbigkeit: das feurige, lodernde Rot scheint im Widerstreit zu liegen mit dem wüst-leeren Grauschwarz zur Linken. Es ist, als würde das Sonnenfeuer gegen die ewige Nacht ankämpfen, das Sein gegen das Nichts – und genau auf der Grenze, gleichsam als Synthese und Bändigerin der Elemente, steht da, beißend lila, die Herrscherin vom Rhein. Unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung, die massive Statur kein Makel, sondern Ausdruck von Standhaftigkeit. Das Bild versöhnt geläuterten Expressionismus mit neusachlicher Übersteigerung und vollzieht damit Dix’ künstlerische Entwicklung dieser Jahre in nuce nach. In Düsseldorf wandte sich der große Anti-Abstrakte in post-dadaistischer Steigerung und unter Verwendung altmeisterlicher Feinmalerei und Lasurtechnik hart und direkt der Wirklichkeit zu, wofür um 1920 der der Literaturgeschichte entliehene Terminus „Verismus“ gebräuchlich wurde.
Es ist eine schöne Nachricht, dass das zunächst an den Krefelder Seidenfabrikanten Hermann Lange verkaufte Gemälde, das viele Jahre als Leihgabe in Düsseldorfer Museen zu sehen war, dank der Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen e.V., des Landes Nordrhein-Westfalen, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Kulturstiftung der Länder nun heimgekehrt ist, und zwar „heim“ in einem fast schon unwahrscheinlichen Sinne, denn das die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen beherbergende Museum K20 steht just an der Stelle, an der vor einem Jahrhundert Johanna Eys Kunsthandlung lag. In diese Landessammlung gehört das Bild ganz unbedingt, und zwar nicht nur aufgrund seiner handwerklichen Qualität und seiner Stellung im Werk des Künstlers – ein frühes Beispiel für die markanten Charakterporträts, mit denen Dix ein überzeitlich gültiges Panorama der Zwanzigerjahre schuf –, sondern auch, weil es ganz direkt Bezug nimmt auf die enorm lebendige und wirkungsvolle Phase der rheinischen Kunst- und Galerienszene in der jungen Weimarer Republik.
Jung ist das Stichwort. Im Februar 1919 hatte sich in Anknüpfung an die Sonderbund-Tradition in Düsseldorf die Künstlervereinigung „Das junge Rheinland“ gegründet. Viele ihrer Mitglieder, aber keineswegs alle, gehörten zu den rheinischen Expressionisten. Den Vorstand bildeten die Maler Heinrich Nauen, Adolf Uzarski und Arthur Kaufmann sowie der Bildhauer Carl Moritz Schreiner. Eine erste Ausstellung wurde in der Presse eher ablehnend kommentiert, aber der Durchmarsch der gegen den konservativen akademischen Lehrbetrieb polemisierenden Kunstrevolutionäre war nicht mehr aufzuhalten. Ende 1919 stießen die aus Ostfriesland kommenden Künstler Otto Pankok und Gert Heinrich Wollheim zum „Jungen Rheinland“. Parallel dazu engagierten sich die beiden im politisch linken „Aktivistenbund 1919“ und suchten den Kontakt zu Johanna Ey, die zu dieser Zeit – ein kleiner erster Laden existierte seit 1917, das Geschäft am Hindenburgwall 11 seit 1918 – noch mit akademisch-konservativer Kunst handelte. Ohne langes Zögern stellte die Galeristin Anfang 1920 ganz auf die neue Strömung um, nicht zuletzt, weil die Spießbürger vor dem Schaufenster tobten: „Morgens erwachte ich von Johlen und Schimpfen.“ Im Juli 1920 besuchte der Kölner Dadaist Max Ernst einen ästhetischen Kampfvortrag in Frau Eys Laden. Von da an gehörte er zum Ey-Kreis.
Jetzt nahm „Das Ey“, das waren neben der Inhaberin auch Pankok und Wollheim, Kontakt zu Otto Dix auf. Der war nach einem Besuch im Herbst 1921 so angetan, dass er die baldige Übersiedelung nach Düsseldorf plante. Zur selben Zeit eskalierte im Vereinshaus Malkasten zwischen den verschiedenen Künstlergruppen der Stadt ein Streit um Ausstellungskapazitäten. Das „Junge Rheinland“ trat lautstark aus dieser „Arbeitsgemeinschaft“ aus und verlegte seine Adresse in das Geschäft der Johanna Ey, wo fortan Einzelausstellungen der Mitglieder im Zwei-Wochen-Rhythmus stattfanden und die Bildung eines nationalen „Kartells fortschrittlicher Künstlergruppen“ angegangen wurde. Die Berliner „Novembergruppe“ und die „Dresdener Sezession“ konnten als Gründungsmitglieder gewonnen werden. In kürzester Zeit war Düsseldorf zur Speerspitze der Avantgarde geworden.
Dix verfügte 1921 freilich bereits über rheinische Händler seiner Werke: den noch kaum etablierten Kölner Karl Nierendorf und die Düsseldorfer Kunsthandlung von Bergh. Letztere bot nicht nur Werke von August Macke und Emil Nolde feil, sondern auch von Conrad Felixmüller, der die Inkommissionnahme einiger Zeichnungen seines Freunds Otto Dix vermittelt hatte. Der Arzt Hans Koch, der gemeinsam mit seiner Frau Martha das Graphische Kabinett von Bergh & Co leitete und seine Bilder in der Regel bei dem bedeutenden jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim auf der Düsseldorfer Königsallee kaufte, war von Dix anlässlich seines erwähnten Besuchs im Herbst 1921 so begeistert, dass er gleich zwei umstrittene Gemälde erwarb und sein eigenes Porträt in Auftrag gab. Das missfiel Koch allerdings in seiner aufreizenden Bloßstellung, und so gelangte es an den Kölner Sammler Josef Haubrich, der wiederum bald eng mit Nierendorf kooperierte. Dix gefiel dafür Kochs Frau umso besser, die er gleich nach Dresden mitnahm. Nach einer schnellen Scheidung – Koch hatte es ohnehin bereits auf Marthas Schwester abgesehen – heirateten Otto und Martha im Februar 1923. Da lebten sie bereits in Düsseldorf und machten die Tanzsäle unsicher.
In karrieretechnischer Hinsicht bedeutender als Koch war für Dix indes die Verbindung zum Ey-Kreis, einerseits der Kontakte zu Künstlern und Auftraggebern wegen, andererseits aufgrund der vom „Jungen Rheinland“ organisierten „Internationalen“, die ab 1922 die „Große Düsseldorfer“ als Ausstellungshöhepunkt des Jahres ablöste. Johanna Ey kaufte zudem das bedeutende „Elternbildnis I“ (1921) an. Über Befindlichkeiten des Kreises setzte sich Dix kurzerhand hinweg, bewarb sich etwa an der angefeindeten Kunstakademie, wo er ein eigenes Atelier erhielt und nicht mehr auf die Ateliergemeinschaft mit Wollheim angewiesen war. Dix wurde 1922 Meisterschüler von Heinrich Nauen, dem der Weggang vom „Jungen Rheinland“ zugunsten einer Akademieprofessur im Ey zumindest vorübergehend als Verrat ausgelegt wurde, obwohl ein gemäßigter Expressionist an der Akademie eigentlich deren Erneuerung zeigte. Wichtig für Dix wurde an der Akademie zudem Wilhelm Herberholz, von dem er das Aquatinta-Verfahren erlernte, das bald in den spektakulären Kriegsradierungen (1923/24) zum Einsatz kommen sollte. Mit der politischen Agenda vieler Ey-Kreisler machte sich Dix hingegen nicht gemein. Zwar war es einfach, den Schöpfer des vom Kölner Wallraff-Richartz-Museum für zehntausend Mark angekauften und nach rechtsnationalen Protesten zurückgegebenen, später von den Nationalsozialisten als „entartet“ ausgestellten (Dix: „begeifert[en]“) und als gemalte Wehrkraftzersetzung vernichteten Gemäldes „Der Schützengraben“ (1920 begonnen, 1923 in Düsseldorf vollendet) als anklagenden Pazifisten zu vereinnahmen, aber das ignorierte eine bis zu Nietzsches „Pessimismus der Stärke“ zurückreichende Faszination für das Abschlachten, Zerstückeln und Verwesen bei Dix. Der Mensch in seiner ungeschminkten Hässlichkeit, das war stärker und direkter als jeder sozialistische Aktivismus.
Es spricht für Johanna Ey, dass sie um die Grenzen ihres Tuns wusste. Sie finanzierte ihren Schützlingen manchen Wunsch – Max Ernst machte 1924 seine Reise nach Saigon auf ihre Kosten, überließ ihr dafür freilich sämtliche Werke aus Pariser Zeit –, Verbindungen zu besser organisierten Händlern stellte sie sich jedoch nicht in den Weg, zumal bei einem gefragten Aufsteiger wie Otto Dix. Der verdankte der Kunsthändlerin immerhin ein kleines Startkapital. Er bedankt sich 1922 mit der Zeichnung „Johanna Ey als rettender Engel“ für die ersten 2000 Mark. Bedeutender aber war wohl, dass er mit dem „Ey“ nach dem verständlichen Abkühlen der Beziehungen zu Hans Koch eine Basis im Rheinland hatte, um die eigene Vermarktung voranzutreiben. Diese lief vor allem über den Kölner Kunsthändler Karl Nierendorf, der schon Mitte 1922 eine erste kleine Monografie samt Abbildungen zu Otto Dix herausbrachte und im September 1922 einen Exklusivvertrag mit dem Künstler abschloss. Ein monatliches Einkommen war zugesichert; selbst in der Inflationszeit waren es 25 Dollar. So eng wurde das Verhältnis, dass man bald vom „Nierendix“ sprach, obwohl Nierendorf ansonsten Konstruktivistisches von Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky oder Paul Klee im Angebot hatte, womit Dix nichts anzufangen wusste.
Die lukrative Geschäftsbeziehung sollte ein Jahrzehnt lang halten, bis die Nationalsozialisten ihr ebenso ein Ende machten wie dem in Geldnot geratenen Unternehmen von Johanna Ey. Nach Abschluss des Vertrags hatte Nierendorf, um sein Monopol zu sichern, der Konkurrentin noch ihre wichtigsten Dix-Werke abgekauft. Nierendorf war es auch, der Dix 1925 riet, nach Berlin zu gehen, wo ihm der endgültige Durchbruch als Szene-Porträtist gelang. Zugleich endete damit auch die aufregendste Phase des Ey-Kreises, zumal im selben Jahr Wollheim Düsseldorf verließ. Freilich fanden noch weitere Ausstellungen statt, auch wurde die Beziehung zur Akademie mit der Berufung des modernen Malers Heinrich Campendonk wieder enger. Wenige Jahre später aber waren Eys Mietschulden und Bittbriefe an den Oberbürgermeister das beherrschende Thema, während zugleich die Vermarktung der „Mutter Ey“ eine neue Dimension erreichte. Die launigen Verse, die Max Ernst zum 65. Geburtstag der gleichwohl immer noch Unerschütterlichen telegrafierte – „Großes Ey, wir loben Dich“ – passten da perfekt. Nach dem Krieg misslang der Wiederaufbau eines Künstlerzentrums, auch weil Johanna Ey bereits 1947 starb. Sie geriet fast in Vergessenheit. Erst nach Interventionen unter anderem durch Heinrich Böll ging der Rummel um das so unkonventionelle Mütterchen wieder los, in neuerer Zeit oft mit emanzipatorisch-feministischem Einschlag. Inzwischen ist in Düsseldorf mit Café, Platzname, Medaille und Statuen für das Andenken Johanna Eys gesorgt.
All das, auch wenn es im Jahr 1924 noch nicht zur Gänze intendiert gewesen sein kann, darf man mitsehen in dem verspielt ironischen, farbtechnisch gewagten, aber doch einnehmend majestätischen Bild von Otto Dix, das nach einer nicht wahrgenommenen Kaufoption vor zwei Jahrzehnten doch noch an seinem gebührenden Platz gelandet ist. Es stellt mit Sicherheit das wichtigste Denkmal für die so kolossale wie hellsichtige Geschäftsfrau dar, die viel mehr Muse und Herrscherin war als bloß Mutter und Altstadtoriginal.