Der schöne Schein trügt
Es ist nicht ungewöhnlich, in einem Biedermeier-Interieur auf Schinkel-Design zu stoßen, zumal in einem Berliner Museum. Hatte doch Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), der bedeutendste Architekt des deutschen Klassizismus, dem preußischen Gewerbe zahlreiche, oft für den Luxusbedarf bestimmte Produkte entworfen. Auch das Modell des hier vorzustellenden Kronleuchters im historischen Wohnzimmer des Knoblauchhauses ist eine solche Schöpfung. Der Leuchter stammt zwar nicht aus der früheren Einrichtung des Hauses, doch befindet er sich schon lange in städtischem Museumsbesitz: Bereits vor 85 Jahren hing er im Franz-Krüger-Zimmer des damaligen Ermelerhauses, einer Nebenstelle des Märkischen Museums. Danach für Jahrzehnte ins Depot verbannt, kam der Leuchter schließlich ins Knoblauchhaus, das Ende 1989 der Öffentlichkeit zugänglich wurde.
Heute gehört das Museum Knoblauchhaus ebenso wie das Märkische Museum zur Stiftung Stadtmuseum Berlin. Mit seiner originalen Bausubstanz ist das Knoblauchhaus im Nikolaiviertel ein Kleinod bürgerlicher Wohnkultur: Sieben liebevoll rekonstruierte Interieurs mit einer aus Museumsbesitz und Knoblauch’schem Familiennachlass stammenden Ausstattung bilden den Kern des hier Gezeigten – der Alltag der Biedermeierzeit ist unmittelbar erfahrbar. Von 1761 bis 1929 gehörte das repräsentative, dreistöckige Eckhaus in spätbarockem Stil der Seidenhändlerfamilie Knoblauch. Deren Exponenten, allen voran die Brüder Carl und Eduard Knoblauch, waren bestens vernetzt in den Berliner Gesellschaftskreisen ihrer Zeit. Die Humboldt-Brüder sind hier ebenso zu Gast gewesen wie der Philosoph Friedrich Schleiermacher und die Bildhauer Christian Daniel Rauch, Johann Gottfried Schadow und Christian Friedrich Tieck. Auch Schinkel war dabei, zumal er ohnehin an der Ausbildung Eduard Knoblauchs, der Privatbaumeister wurde, einigen Anteil nahm.
Aber zurück zum Leuchter: Der Entwurf zu diesem Modell entstand kurz nach 1830 im Zusammenhang mit der von Schinkel besorgten Einrichtung der Berliner Stadtpalais für die preußischen Prinzen. Carl August Mencke, in dessen Holzbronzefabrik Schinkel dieses Modell fertigen ließ, setzte bei der seriell betriebenen Produktion auf preiswerte Ersatzmaterialien, die sogenannten Surrogate. Da ein solcher Leuchter natürlich viel weniger kostete als eine Ausführung in gegossener und feuervergoldeter Bronze, war er erschwinglich auch für weniger Betuchte. Die „Billig-Werkstoffe“ geben sich an diesem Leuchter nicht ohne weiteres zu erkennen. Denn die von versilberten Partien sekundierte Ölvergoldung täuscht Hochwertigeres gekonnt vor. Und doch sind die raffiniert einschwingenden Tragereifen lediglich aus gedrechselten Holzleisten zusammengefügt, während die aufgeschraubten und -gesteckten Rosetten, Leuchterarme und Tüllen aus einer Blei-Zinn-Legierung gegossen sind – handwerklich gediegene Arbeit. Die Feinheit des Metallgusses steht dem sauberen Schliff des Glasbehangs und dem akkurat ausgeführten Leistenwerk in nichts nach.
Mit diesem „Material-Fake“ hegten weder Schinkel noch Mencke betrügerische Absichten. Nach damaligem Verständnis adelte nicht der Werkstoff das kunstgewerbliche Produkt, sondern der künstlerische Entwurf, der dem Design zugrunde lag. Denn das schon in der Antike postulierte Primat der künstlerischen Form besaß Jahrhunderte lang Gültigkeit. Freilich spielte bei diesem Modell auch das preußische Sparsamkeitsprinzip eine Rolle und die Faszination Schinkels für die Innovationen der beginnenden Industrialisierung. Von der einstigen, gewissermaßen gefälschten Pracht dieses Leuchters ist heute jedoch nur noch wenig zu erahnen. Allenfalls aus der Distanz vermag der Glanz des falschen Goldes noch zu überzeugen: Der Lack ist kaum noch erhalten, die Vergoldung ist verschlissen, teils eingerissen oder blättert ganz ab. Die Metallteile sind teils korrodiert, teils verbogen und fragmentiert, mitunter als Folge früherer Restaurierungsversuche. Auch der gläserne Prismenbehang bedarf nach langer Vernachlässigung einer grundlegenden Reinigung, Neuordnung und partiellen Ergänzung. Und hier möchten wir Sie, liebe Leserin und lieber Leser, herzlich um Ihre Unterstützung bitten: Um diese Schäden konservatorisch zu beheben, sind stattliche 4.800 Euro nötig. Indessen wäre diese Summe in mehrfacher Hinsicht gut angelegt, denn die mit der Restaurierung einhergehende Befunddokumentation könnte der Erforschung der Schinkel’schen Surrogatprodukte frische Impulse vermitteln.