In diesen unsicheren Zeiten, geprägt von schmerzlichen Einschränkungen im Kulturleben, tut es gut, auf die Lichtblicke zu schauen. Für die Kulturlandschaft in Sachsen ist die siegreiche Bewerbung von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 ein solcher Lichtblick. Gerne erinnere ich mich an den Tag der Bekanntgabe im Oktober 2020 zurück. Ich war zu Gast in der Stadthalle in Chemnitz, wo die Entscheidung der europäischen Expertenjury live übertragen wurde. Mit voller Spannung blickten wir virtuell in das Arbeitszimmer der Juryvorsitzenden Sylvia Amann, den Umschlag mit der Siegerstadt in ihrer Hand. Während sie den Umschlag langsam öffnete, herrschte eine schon fast unheimliche Stille im Saal, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Als der Name der Kulturhauptstadt Europas 2025 endlich in der Kamera zu sehen war, schlug die Stille der Stadthalle schlagartig in stürmischen Jubel um. Nie werde ich diesen überwältigenden Moment vergessen.
Chemnitz hat eine beeindruckende Bewerbung vorgelegt, die die europäische Expertenjury überzeugt hat: Mit dem Motto „C the Unseen“ spielt Chemnitz auf ihre Wahrnehmung als „ungesehene“ Stadt an. Zu sehen gibt es aber viel, denn Chemnitz ist ein spannender Ort mit einer einzigartigen Kulturlandschaft, reich an kühnen Ideen, geprägt durch engagierte, mutige und kreative Bürgerinnen und Bürger. Die Macher-Mentalität der Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die Kultur der „Maker“, war mitentscheidend für die erfolgreiche Bewerbung. Damit ist die Empfehlung der europäischen Expertenjury bereits heute eine Auszeichnung für die kulturelle Arbeit vor Ort.
Chemnitz ist eine Stadt, die aber auch von Krieg, der sozialistischen Stadtplanung sowie den Transformationsprozessen nach 1989/90 geprägt ist. Deswegen ist das Bewerbungsmotto „C the Unseen“ auch eine Einladung, Chemnitz genauer zu betrachten. Eine Einladung, sowohl den kulturellen Reichtum als auch die jüngere Geschichte der Stadt mit ihren Brüchen in den Blick zu nehmen. So möchte Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas Gemeinschaft stiften und die Stadt zum Brutkasten eines kreativen, friedvollen Europa machen. Chemnitz 2025 hat insofern auch das Potential, ein starker Impulsgeber für vergleichbare Städte in Europa zu werden.
Der Titel Kulturhauptstadt Europas ist für die sächsische Stadt auf vielen Ebenen eine große Chance: Er richtet sich sowohl an Kulturbegeisterte aus aller Welt als auch an die breite Bevölkerung vor Ort. Die schweigende gesellschaftliche Mitte – „the silent middle“, wie es die Stadt Chemnitz titulierte – soll im Sinne eines gesellschaftlichen Miteinanders eingebunden werden. Das oftmals unsichtbare kreative Potenzial dieser Mitte soll viel stärker als bisher sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig wird Chemnitz 2025 die spannende kulturelle Infrastruktur der Museen und darstellenden Künste in den Fokus nehmen.
Mit Chemnitz als zukünftiger Kulturhauptstadt können wir als Freistaat zeigen, dass das Kulturland Sachsen noch viel mehr zu bieten hat als die Dresdner Semperoper oder das Gewandhaus zu Leipzig. Bereits im vergangenen Jahr haben wir mit unserer Landesausstellung zum Thema Industriekultur in Zwickau und Südwestsachsen bewiesen, dass es spannende und facettenreiche Kulturangebote im gesamten Freistaat zu entdecken gibt.
Auch deswegen soll im Jahr 2025 der Fokus nicht ausschließlich auf dem Stadtgebiet von Chemnitz liegen. Durch eine gute Zusammenarbeit mit den umliegenden Orten werden wir sicherstellen, dass der Titel Kulturhauptstadt positiv auf die gesamte Region ausstrahlen wird. Sehr vielversprechend erscheint dabei der „Purple Path“, ein Wanderweg und Kunstparcours, der mittels internationaler moderner Kunst die Vielfalt des Erzgebirges sichtbar macht. Durch den Parcours entsteht ein Bindeglied zur historischen Montanregion im Grenzraum zu Tschechien, das 2019 zum staatsübergreifenden UNESCO-Welterbe erklärt wurde. Mit dieser Verzahnung wollen wir Synergien für die gesamte Region heben.
Positive Effekte erhoffen wir uns natürlich auch für den Tourismusstandort Chemnitz samt seiner Umgebung. Als Schauplatz der Begegnung wird die Region zu einem zentralen Besuchermagneten in unserem Freistaat. Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, aus Sachsen, Deutschland und ganz Europa werden hier aufeinandertreffen – eine ideale Gelegenheit um zu beweisen, dass Chemnitz eine weltoffene Stadt ist. Zudem können wir zeigen, dass sich klug konzipierte Angebote aus Kultur und Tourismus ideal ergänzen können. Auch für die von der Corona-Pandemie hart getroffene Tourismusbranche ist der Titel Kulturhauptstadt ein wichtiger Lichtblick, dass mittelfristig wieder internationale Gäste in die Region strömen werden.
Das bevorstehende Kulturhauptstadtjahr soll aber kein einmaliges Event sein, sondern über 2025 hinaus in vielen Bereichen zur Stadtentwicklung beitragen. Das hat auch die Bewerbung der Kulturhauptstadt sehr gut aufgegriffen, indem sie Aspekte wie Stadtentwicklung, Mobilität, europäisches Wertebewusstsein, Interkulturalität und Nachhaltigkeit umfasst. Daher betrachten wir die Austragung des Kulturhauptstadtjahres als gesamtstaatliche Aufgabe, bei der alle Ressorts der Sächsischen Staatsregierung sich einbringen werden. Hier wird es unter anderem darum gehen, wie bestehende sächsische Förderprogramme gezielt die Region um Chemnitz unterstützen können.
Selbstverständlich wird sich der Freistaat Sachsen nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell für eine erfolgreiche Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 engagieren. Die Sächsische Staatsregierung hat rechtzeitig Vorsorge getroffen. So haben wir im Mai 2019 und im Juni 2020 per Beschluss bekräftigt, dass die Stadt Chemnitz bei einer erfolgreichen Bewerbung mit einer finanziellen Beteiligung von 20 Millionen Euro rechnen kann. Im November 2020 hat der Bund 25 Millionen Euro für die Kulturhauptstadt zugesagt; die Stadt Chemnitz wird sich mit 30 Millionen Euro beteiligen. Rechnet man noch weitere Gelder der Europäischen Union, Drittmittel und Erlöse aus Ticketverkäufen hinzu, kommen wir auf eine sehr gute finanzielle Basis für die Austragung des Kulturhauptstadtjahres.
Für mich als Kulturministerin ist es jetzt wichtig, den Schwung der erfolgreichen Bewerbung zu nutzen. Die Stadt Chemnitz hat kürzlich bereits eine Gesellschaft gegründet, die das Programm sowie die Tourismus- und Marketingaktivitäten organisieren wird. Auch auf Landesebene werden wir jetzt die Grundvoraussetzungen schaffen, damit das Kulturhauptstadtjahr zu einem vollen Erfolg wird.
Dass Chemnitz überhaupt Kulturhauptstadt wurde, ist vor allem den hunderten Unterstützern in Stadt und Land, Vereinen und Initiativen zu verdanken. Ihre harte Arbeit hat sich bis auf das letzte Detail gelohnt. Das zeigt, dass der Weg zum Kulturhauptstadtjahr 2025 ein gemeinsamer war und ein gemeinsamer bleiben muss. Und dieser Weg wird auch nach 2025 noch weitergehen. So werden wir es schaffen, dass der Jubel aus der Stadthalle Chemnitz vom Oktober 2020 noch viele Jahre nachhallen wird.