Porträt in ovalem Rahmen
LEBENSLINIEN

Aufbruch in die Moderne

Annette von Droste-Hülshoffs frühes Romanfragment „Ledwina“ ist von höchstem Wert für die Literaturgeschichte. Der Ankauf der einzigen Handschrift komplettiert den Meersburger Nachlass / Oliver Jungen

Dass um die Jahrtausendwende wieder vom „Fräuleinwunder“ die Rede war, gehört zu den eher beschämenden Episoden des deutschen Feuilletons. Der immer schon paternalistisch imprägnierte Nachkriegsbegriff wurde damals – insbesondere von männlichen Kritikern – auf eine neue Generation talentierter schreibender Frauen angewandt. Auch die Autorin Karen Duve (*1961) wurde dieser Gruppe zugerechnet. Vor wenigen Jahren nun hat jene Karen Duve mit „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ einen Roman vorgelegt, der von einer ähnlichen Abqualifizierung handelt, das allerdings in Verbindung mit einer perfiden persönlichen Intrige und zu einer Zeit, als rasend begabte Frauen wie Annette von Droste-Hülshoff, die ihren männlichen Kollegen – darunter führende Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts – nicht nur ebenbürtig, sondern intellektuell und poetisch vielfach überlegen war, noch ungenierter ob ihrer Kreativität und Unabhängigkeit geschmäht werden konnten.

Duves Roman beleuchtet also die berühmte „Jugendkatastrophe“ der großen westfälischen Dichterin, die zeitlebens zwischen Auflehnung gegen die geistig-moralische Enge der Restaurationsmentalität und striktem Gehorsam gegenüber der von ihrer dominanten Mutter verkörperten Tradition lavierte. Diese Katastrophe hatte eine Vorgeschichte. Im Januar 1797 als Siebenmonatskind geboren, was Annette (eigentlich Anna Elisabeth) nur dank der Pflege durch eine liebevolle Amme überstand, derer sie sich dafür später annahm, hatte das in heutiger Terminologie hochbegabte Mädchen eine glückliche Kindheit, und das trotz vieler kränklicher Phasen. Eine extreme Kurzsichtigkeit führte zu heftigen Kopfschmerzen, Anzeichen einer psychischen Erkrankung lassen sich erkennen. Außergewöhnlich ist, dass die Eltern ihr und der Schwester Jenny dieselbe umfassende Bildung zukommen ließen wie den beiden Söhnen. Annette entwickelte sich schnell zu einem kritischen Geist, dessen „Phantasie“ der Mutter und besorgten Verwandten Anlass zur Sorge gab. Sie suchte sich bald eigene, teils viel ältere Gesprächspartner wie den Lyriker Anton Matthias Sprickmann (1749–1833), weil sie sich in der Familie unverstanden fühlte. Sie wusste um ihr Talent, aber auch um dessen Unzeitgemäßheit, was sie zu aufbegehrenden Zeilen trieb, etwa zu diesen, verfasst als Neunzehnjährige: „Fesseln will man uns am eignen Herde!/ Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum,/ Und das Herz, dies kleine Klümpchen Erde,/ Hat doch für die ganze Schöpfung Raum!“

Insbesondere die Geschwister der Mutter, die Familie Haxthausen auf dem Bökerhof in Bökendorf, wo die Droste-Hülshoffs häufig ihre Sommer verbrachten, waren auf Annette schlecht zu sprechen. Zu unabhängig mag sie ihnen erschienen sein. Zu gefährlich ihr Spott über Romantiker wie Wilhelm Grimm, mit denen August von Haxthausen sich umgab. Äußerungen Annettes darüber, wie gekränkt sie sich fühlte, sind überliefert. Als sich dann im Sommer 1820 ein zartes Liebesverhältnis zwischen ihr und dem der Literatur zuneigenden Juristen Heinrich Straube (1794–1847) entspinnt, einem Freund von August von Haxthausen, macht ihr – ein abgekartetes Spiel, wie Briefe offenbaren – der ebenfalls auf dem Gut weilende August von Arnswaldt (1798–1855) heftige Avancen, bis sie ihm verwirrt ihre Zuneigung gesteht, dies aber sogleich wieder zurücknimmt. Arnswaldt überzeugt Straube, den er zu „retten“ vorgibt, von der Untreue Annettes, und gemeinsam schreiben sie ihr einen hart formulierten Brief, in dem sie ihr die Freundschaft aufkündigen. Der Inhalt des Briefs macht unter den Haxthausens die Runde.

Annette zieht sich zurück, sucht die Schuld bei sich und bleibt ihr Leben lang ledig. Auch dürfte die Intrige und Zurückweisung ihre ohnehin oft delikate psychische Verfassung noch weiter ins Depressive verschoben haben. Was aber lange übersehen wurde und auch bei Karen Duve keine große Rolle spielt, ist, dass sich die gern als labil gekennzeichnete Annette von Droste-Hülshoff, die sich nun etwas von der Familie löste und in den folgenden Jahren selbstbewusste, gebildete Freundinnen wie Adele Schopenhauer (1797–1849) und Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797–1857) fand, durchaus zur Wehr setzte, und zwar so, wie es Schriftsteller tun, die nicht selten Kränkungen in Kunst verwandeln. Zunächst reflektierte sie die mit dem Glauben kollidierende Sündhaftigkeit des Menschen (und ihrer selbst) in den Gedichten aus dem ersten Teil des Zyklus „Das geistliche Jahr“, an dem sie um 1820 ohnehin arbeitete. Aber das Geschehene verlangte wohl nach einer umfassenderen Durchdringung, und so machte sich die junge Dichterin an ihren ersten, Fragment gebliebenen Roman. Erzählend holt sie sich darin die Diskurshoheit zurück. Und sie reflektiert ihre eigene Stellung in der westfälischen Restaurationsgesellschaft. Wieder ist sie sich der Qualität des Geschriebenen bewusst. So heißt es im Herbst 1821 in einem Brief an Anna von Haxthausen (1801–1877), von der Annette noch nicht wusste, dass sie zu den Intriganten gehörte: „Ich schreibe jetzt zuweilen an der Ledwina, die gut werden wird, aber so düster, daß mich das Abschreiben daran jedesmal sehr angreift.“ Mit „Ledwina“ beginnt Annette von Droste-Hülshoff zu werden, was man heute in ihr sieht: die bedeutendste deutsche Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts. In dem Fragment, in deren Zentrum die herzkranke und träumerische, sich in atemberaubenden Auflösungsträumen nach einem rein geistigen Leben jenseits der siechen Körperlichkeit sehnende Protagonistin Ledwina steht, die sich überdies in der Stube einer Bäuerin wohler fühlt als im Kreise ihrer adligen Familie, gibt es noch eine Reihe von Figuren, die zumindest angelehnt sind an Personen aus Annettes Umfeld. Mit Schärfe und Witz werden sie charakterisiert. So ist Ledwinas Bruder ein großsprecherischer Student (wie August von Haxthausen), der den Besuch seiner Studentenfreunde ankündigt, darunter ein ebenfalls selbstverliebter, lungenkranker Graf, der den Sturz in den nahen Fluss gerade so überlebt – anders als sein Führer, der Sohn der Bäuerin –, dann aber einen Schwindsuchtschub erfährt. Die Mutter, bereits im Witwenstand, ähnelt in ihrer Dominanz erkennbar Annettes Mutter, die Schwester der wahren Schwester. Wichtiger als jede Schlüsselromandimension aber ist der Umstand, dass die Autorin Schreibverfahren ausprobierte, die ihrer Zeit weit voraus waren und schon an die Diskursromane des Realismus erinnern, in den radikal subjektiven Depersonalisationsszenen sogar an expressionistische Erzählungen. Die Bedeutung dieses Texts für die deutsche Literaturgeschichte und als Dokument entgrenzten weiblichen Schreibens wurde erst in den letzten Jahrzehnten wirklich erkannt. Dass die Autorin den Roman nach 1826 nicht fortsetzte, mag daran liegen, dass die Zeit einfach noch nicht reif dafür war, wie hintersinnig und im Grunde revolutionär hier über Geschlechterrollen und Standesgrenzen geschrieben wird.

Insbesondere die Geschwister der Mutter, die Familie Haxthausen auf dem Bökerhof in Bökendorf, wo die Droste-Hülshoffs häufig ihre Sommer verbrachten, waren auf Annette schlecht zu sprechen. Zu unabhängig mag sie ihnen erschienen sein. Zu gefährlich ihr Spott über Romantiker wie Wilhelm Grimm, mit denen August von Haxthausen sich umgab. Äußerungen Annettes darüber, wie gekränkt sie sich fühlte, sind überliefert. Als sich dann im Sommer 1820 ein zartes Liebesverhältnis zwischen ihr und dem der Literatur zuneigenden Juristen Heinrich Straube (1794–1847) entspinnt, einem Freund von August von Haxthausen, macht ihr – ein abgekartetes Spiel, wie Briefe offenbaren – der ebenfalls auf dem Gut weilende August von Arnswaldt (1798–1855) heftige Avancen, bis sie ihm verwirrt ihre Zuneigung gesteht, dies aber sogleich wieder zurücknimmt. Arnswaldt überzeugt Straube, den er zu „retten“ vorgibt, von der Untreue Annettes, und gemeinsam schreiben sie ihr einen hart formulierten Brief, in dem sie ihr die Freundschaft aufkündigen. Der Inhalt des Briefs macht unter den Haxthausens die Runde.

Annette zieht sich zurück, sucht die Schuld bei sich und bleibt ihr Leben lang ledig. Auch dürfte die Intrige und Zurückweisung ihre ohnehin oft delikate psychische Verfassung noch weiter ins Depressive verschoben haben. Was aber lange übersehen wurde und auch bei Karen Duve keine große Rolle spielt, ist, dass sich die gern als labil gekennzeichnete Annette von Droste-Hülshoff, die sich nun etwas von der Familie löste und in den folgenden Jahren selbstbewusste, gebildete Freundinnen wie Adele Schopenhauer (1797–1849) und Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797–1857) fand, durchaus zur Wehr setzte, und zwar so, wie es Schriftsteller tun, die nicht selten Kränkungen in Kunst verwandeln. Zunächst reflektierte sie die mit dem Glauben kollidierende Sündhaftigkeit des Menschen (und ihrer selbst) in den Gedichten aus dem ersten Teil des Zyklus „Das geistliche Jahr“, an dem sie um 1820 ohnehin arbeitete. Aber das Geschehene verlangte wohl nach einer umfassenderen Durchdringung, und so machte sich die junge Dichterin an ihren ersten, Fragment gebliebenen Roman. Erzählend holt sie sich darin die Diskurshoheit zurück. Und sie reflektiert ihre eigene Stellung in der westfälischen Restaurationsgesellschaft. Wieder ist sie sich der Qualität des Geschriebenen bewusst. So heißt es im Herbst 1821 in einem Brief an Anna von Haxthausen (1801–1877), von der Annette noch nicht wusste, dass sie zu den Intriganten gehörte: „Ich schreibe jetzt zuweilen an der Ledwina, die gut werden wird, aber so düster, daß mich das Abschreiben daran jedesmal sehr angreift.“ Mit „Ledwina“ beginnt Annette von Droste-Hülshoff zu werden, was man heute in ihr sieht: die bedeutendste deutsche Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts. In dem Fragment, in deren Zentrum die herzkranke und träumerische, sich in atemberaubenden Auflösungsträumen nach einem rein geistigen Leben jenseits der siechen Körperlichkeit sehnende Protagonistin Ledwina steht, die sich überdies in der Stube einer Bäuerin wohler fühlt als im Kreise ihrer adligen Familie, gibt es noch eine Reihe von Figuren, die zumindest angelehnt sind an Personen aus Annettes Umfeld. Mit Schärfe und Witz werden sie charakterisiert. So ist Ledwinas Bruder ein großsprecherischer Student (wie August von Haxthausen), der den Besuch seiner Studentenfreunde ankündigt, darunter ein ebenfalls selbstverliebter, lungenkranker Graf, der den Sturz in den nahen Fluss gerade so überlebt – anders als sein Führer, der Sohn der Bäuerin –, dann aber einen Schwindsuchtschub erfährt. Die Mutter, bereits im Witwenstand, ähnelt in ihrer Dominanz erkennbar Annettes Mutter, die Schwester der wahren Schwester. Wichtiger als jede Schlüsselromandimension aber ist der Umstand, dass die Autorin Schreibverfahren ausprobierte, die ihrer Zeit weit voraus waren und schon an die Diskursromane des Realismus erinnern, in den radikal subjektiven Depersonalisationsszenen sogar an expressionistische Erzählungen. Die Bedeutung dieses Texts für die deutsche Literaturgeschichte und als Dokument entgrenzten weiblichen Schreibens wurde erst in den letzten Jahrzehnten wirklich erkannt. Dass die Autorin den Roman nach 1826 nicht fortsetzte, mag daran liegen, dass die Zeit einfach noch nicht reif dafür war, wie hintersinnig und im Grunde revolutionär hier über Geschlechterrollen und Standesgrenzen geschrieben wird.

Die Droste hatte den Text allerdings auch nicht verworfen, sondern ein Manuskript bei sich, als sie am 24. Mai 1848 auf der Burg Meersburg am Bodensee während eines Aufenthalts bei der Familie ihrer Schwester starb. Es gehörte damit zum „Meersburger Nachlass“, wurde diesem jedoch entnommen, lange bevor das Konvolut nach einer weiteren Zwischenstation im Jahr 1967 von der Fritz-Thyssen-Stiftung erworben und der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschenkt wurde, die es wiederum als Dauerleihgabe an die Universitäts- und Landesbibliothek Münster gab. Seit dem Jahr 2018 befindet sich der Nachlass Droste-Hülshoffs als Dauerleihgabe im 2001 in Münster gegründeten Westfälischen Literaturarchiv. Das entnommene, in Privatbesitz befindliche „Ledwina“-Manuskript war der Droste-Forschung zwar zugänglich und konnte daher in die Historisch-Kritische Ausgabe aufgenommen werden. Es stellte aber zugleich eine veritable Lücke innerhalb des münsterschen Droste-Handschriftenbestands dar. Jetzt konnte dieses einzigartige Manuskript mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der NRW-Stiftung und der Kunststiftung NRW durch das Droste-Forum e. V. erworben werden, um es dem Westfälischen Literaturarchiv als Dauerleihgabe zu überlassen. Es steht damit der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung. Nicht zuletzt wurde auch die Gefahr gebannt, dass das einzige Original eines Grundtexts für die Entwicklung des modernen Romans in einer vielleicht nicht mehr zugänglichen Privatsammlung verschwunden wäre.

„Das Manuskript kommt genau in den Kontext zurück, in dem es sich schon bei der Autorin selbst befand“, sagt der Germanist Jochen Grywatsch, bestens vernetzter Droste-Experte und Vorsitzender des Droste-Forums: „Das ist wirklich ein Idealfall.“ Das in Münster-Gievenbeck ansässige Droste-Forum ist juristisch ein Verein, agiere aber, so Grywatsch, wie eine Stiftung. Gegründet wurde es im Jahre 2008 auf der Grundlage eines Vermächtnisses und engagiert sich seither bei der Förderung von Projekten zu Annette von Droste-Hülshoff. Auch Ankäufe wurden bereits getätigt, aber die zwölf dicht beschriebenen „Ledwina“-Doppelblätter stechen doch heraus: „Es ist die wichtigste Handschrift in unserem Fundus“, weil es nur diesen einen Textzeugen zu „Ledwina“ gebe, „keine Abschriften, Vorstufen oder sonst etwas“. Vor einigen Jahren habe sich angedeutet, dass die Besitzer sich von dem Manuskript trennen möchten, erzählt Grywatsch. So kam das Droste-Forum zum Zug. Mit den übrigen, nicht eben wenigen Droste-Institutionen in Münster kooperiert man eng. Grywatsch, der lange der Leiter der Droste-Forschungsstelle bei der LWL-Literaturkommission für Westfalen war, ist auch Zweiter Vorsitzender der Annette von Droste-Gesellschaft, die aber nicht mit Eigenkapital ausgestattet sei, um solche Ankäufe zu stemmen. Auch zur Droste-Stiftung und zum Droste-Onlineportal, das Informationen und Textgrundlagen bietet, gibt es Verbindungen. Über all diese Institutionen werde der kostbare Ankauf der Öffentlichkeit nun nahegebracht.

Für ungeheuer bedeutsam hält Grywatsch den Roman „Ledwina“, weil die Autorin darin zu ihrer eigenen Stimme gefunden habe. In ihren frühen Gedichten habe sie durchaus noch die zeitgenössischen Traditionen nachgeahmt, sich jetzt aber, höchst ungewöhnlich für schreibende Frauen dieser Zeit, inhaltlich an Existenzielles gewagt und sogar patriarchale Familienstrukturen infrage gestellt. Innerhalb eines dem Anschein nach romantisch geprägten Settings habe sie zu einer hochmodernen Perspektive gefunden, die sich mit Stichworten wie Selbstreflexivität, Fragmentierung und psychologisches Sezieren der Figuren umschreiben lasse. Seit den achtziger Jahren habe sich besonders die feministisch geprägte Literaturwissenschaft deshalb stark für dieses Werk interessiert, das zwar ein Fragment, aber alles andere als ein missglücktes Frühwerk sei.

Dem allen kann Anke Kramer nur zustimmen. Seit 2021 ist sie als Grywatschs Nachfolgerin Leiterin der Annette von Droste-Hülshoff-Forschungsstelle bei der LWL-Literaturkommission für Westfalen. Sie ist aufseiten der Literaturkommission auch zuständig für das Westfälische Literaturarchiv, das von der Literaturkommission und dem LWL-Archivamt für Westfalen gemeinsam getragen wird. Und auch Kramer stellt im Gespräch die Bedeutung der „Ledwina“-Handschrift heraus. Es handele sich um „ein geschlossenes Arbeitsmanuskript der einzigen deutschen Dichterin des 19. Jahrhunderts, die es in den Kanon geschafft hat“ – das könne gar nicht überschätzt werden. Es sei schlicht „einmalig“, dass eine deutsche Dichterin des frühen 19. Jahrhunderts, dazu noch eine so junge, einen solchen Text verfasst habe, der bereits stilistische Elemente aufweise, die dann die Fontane’schen Gesprächs­romane am Ende des Jahrhunderts prägten. Fontane habe „Ledwina“ tatsächlich sehr geschätzt.

Bis 1826 hat die Droste an „Ledwina“ nachweislich gearbeitet. Ob es vielleicht doch noch spätere Bearbeitungsspuren gebe, sei eine der spannenden Fragen, die man nun am Schreibmaterial selbst erforschen könne, etwa durch eine Röntgenfluoreszenzanalyse. Auch sonst, sagt Kramer, könne man dem Original noch viel mehr Informationen entnehmen als der – wenn auch hervorragenden, freilich ohne Faksimiles auskommenden – Edition in der Historisch-Kritischen Ausgabe. „Wir bereiten in Kooperation mit dem Droste-Forum und der Uni Wuppertal gerade eine digitale, wissenschaftliche Edition der Handschriften der Droste vor und sind überglücklich, dass auch ‚Ledwina‘ darin nun mit einer Handschrift präsentiert werden kann.“ Das „Ledwina“-Manuskript, dessen Digitalisierung zuvor nicht möglich war, wurde sogar gleich nach dem Ankauf digitalisiert, weil das der zusätzlichen Sicherung des Textes diene. Die Handschrift nämlich sei in einem fragilen Zustand: „Feuchtigkeitsflecken sind vorhanden, kleine Einrisse, Verwischungen und Spuren von Tintenfraß.“ Daher müsse das Autograph unter stabiler niedriger Temperatur und überwachter Luftfeuchtigkeit in säurefreier Umhüllung gelagert werden; das sei im Westfälischen Literaturarchiv natürlich gegeben. Der Tintenfraß setze sich allerdings trotzdem partiell fort. Weiter aufbereitet werden muss das Manuskript zunächst nicht, denn restauriert worden sei es in ihrem Haus bereits vor zehn Jahren, sagt Kramer, damals noch im Auftrag und auf Kosten der früheren Eigentümer.

Sehen kann die Öffentlichkeit das Manuskript auch, allerdings nicht sofort. Ab 2026 wird es im Rahmen einer derzeit neu konzipierten Dauerausstellung auf Burg Hülshoff präsentiert werden. Die imposante Wasserburg, der Familiensitz der Droste-Hülshoffs, ist auch der ehemalige Wohnort Annettes, bis sie nach dem Tod des Vaters im Jahre 1826 mit ihrer Mutter und Schwester ins nahe gelegene, schmucke, aber bescheidene Rüschhaus umzog, wo der größte Teil ihres Werks entstand, darunter Meisterwerke wie die Verserzählung „Das Hospiz auf dem großen St. Bernhard“, die Novelle „Die Judenbuche“, vollendete Balladen, Heidebilder und Geistliche Lieder. Mit „Ledwina“ hatte die Dichterin endgültig zu ihrer sprachlich-stilistisch überragenden Souveränität gefunden. Viele Texte der Droste blieben zu Lebzeiten unveröffentlicht, aber die Skripte trug sie immer mit sich, auch auf die geliebte Meersburg bei ihrer letzten Reise. Jetzt ist dieser literaturgeschichtliche Schatz wieder vollständig beisammen.

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