Auf zum Mars!

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Als  der  sächsische  Kurfürst  Johann  Georg I. (reg. 1611–1656) im Jahr 1607 in zweiter Ehe Magdalena Sybilla Markgräfin von Brandenburg (1586 –1659) heiratete, fanden die Feierlichkeiten in der Nebenresidenz Torgau statt. Die Festgäste erwartete als Teil des zeitüblichen fürstlichen Hochzeitszeremo­niells unter anderem ein Schauessen, bei dem sich die Neuvermählten an einer reich gedeckten Tafel dem Publikum präsentierten. Den Tischschmuck bildeten die berühmten Skulpturen des aus Flandern gebürtigen Florentiner Bildhauers Giovanni da Bologna, genannt Giambologna (1529 –1608), aus der Dresdner Kunstkammer – und zwar als Nachbildungen aus Zuckerguss. Es entsprach durchaus den Gepflogenheiten der Zeit, wertvolle Kunstwerke in kostbarem essbarem Material nachzubilden.

Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins
Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins

Die gastrosophische Anekdote ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich. Der Ideengeber, der als Fest­intendant fungierende Tessiner Bildhauer Giovanni Maria Nosseni (1544 –1620), verbeugte sich vor seinem europa­weit berühmten Kollegen, um dessen Werke sich sämtliche bedeutende Höfe Europas rissen. Nossenis Dienstherr, der Kurfürst, verband diese Würdigung des Künstlers mit einer Huldigung an seinen Großvater August (1526 –1586, reg. seit 1553), den Begründer der Kunstkammer, und seinen Vater Christian (1560 –1591), in dessen Besitz die originalen Bronzen gelangt waren. Er hatte die Italianisierung der sächsischen Residenz derart vorangetrieben, dass von Dresden bald schon als einer „altera Florentia“, einem anderen Florenz gesprochen wurde.

Der Großteil der originalen Bronzestatuetten, die anlässlich der Hochzeit von 1607 gewissermaßen in effigie zur Schau gestellt wurden, war über den diplomatischen Geschenkverkehr nach Dresden gelangt. Nachdem der Vater des Bräutigams, Christian I., 1586 die Herrschaft angetreten hatte, huldigten ihm nicht nur die sächsischen Lande, sondern auch europäische Fürsten – immerhin wurde er Kurfürst und damit nominell potenzieller Kaisermacher. Aus Florenz sandte der toskanische Großherzog Francesco I. de Medici (1541–1587) neben kostbaren Waffen, acht Pferden und angeblich seuchenabwehrenden Trinkgefäßen aus Rhinozeroshorn Giambolognas Bronzeplastiken ­„Merkur“, „Nessus und Dejanira“ und „Venus und Satyr“. Sie befinden sich bis heute in den Dresdner Sammlungen. Die Wahl dieser Kunstgeschenke wurde dadurch erleichtert, dass Christians Kunstagenten im Vorfeld die Begehrlichkeiten des Empfängers aufs deutlichste ventiliert hatten.

Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins
Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins

Da die Medici das Können und das Renommee ihres Bildhauers Giambologna realistisch einschätzten, hatten sie ihm Reisen ins Ausland dauerhaft untersagt – zu groß war die Gefahr, dass er, zumal vom Kaiser, abgeworben werden könnte. Deshalb waren seine Werke nur umso begehrter. Die Medici kamen den Wünschen des Sachsen jedoch gern und großzügig entgegen, verdankten sie ihren Aufstieg zur Großherzogswürde doch der besonderen Fürsprache seines Vaters August beim Kaiser. Und so konnte ein Schreiber in Dresden bereits 1587 den Zugang der Statuetten im Kunstkammerinventar vermerken, mit der Betonung ihrer Herkunft: „Hat der herzogk von Florenz herzogen Christian […] vorehret“. Auf die großherzoglichen Stücke folgt sodann im Inventar ein in „Mössingk gegossen Bildtnus Martis, hat Johann Pollonia S[einer] Churf[ürstlichen] Gn[aden] zugeschickt“. Demnach war es also der Künstler selbst, der Christian I. eines seiner Werke verehrt hat, nämlich den seither so genannten Dresdner Mars.

Diese Beifracht zur großherzoglichen Sendung spricht für das Selbstbewusstsein Giambolognas. Er konnte es sich erlauben, den europäischen Fürsten gewissermaßen auf Augenhöhe zu begegnen und das diplomatische Geschenk um eine private Gabe zu erweitern. Natürlich waren dabei Geschäftsinteressen im Spiel: Die persönliche Großzügigkeit des Künstlers kalkulierte mit Folgeaufträgen. Diese Rechnung ging nicht auf: Der Beschenkte begnügte sich damit, dem Absender eine kostspielige goldene Kette aus der ­Produktion des Hofgoldschmieds Urban Schneeweiß (1536 –1600) zukommen zu lassen, ein Fürstengeschenk  an  Künstler,  wie  wir  es  aus  Selbstporträts Tizians oder van Dycks kennen.

Mit den Fürsten- und Künstlergeschenken empfing die kurfürstliche Kunstkammer bleibende Hauptstücke. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Wissen um Motiv und Urheber des „Mars“ mit zunehmendem Abstand bei den unterschiedlichen Verfassern der Sammlungsinventare schwand. 1726 wird aus dem Kriegsgott, wohl nicht zuletzt wegen der auffälligen Armhaltung, „Eine kleine Statue metallique der Scharffrichter“, doch immerhin findet sich mit Bleistift noch der Name „Giambologna“ nachgetragen. 1765 ist die Figur für den damaligen Schreiber nur mehr „Ein nackender bärtiger stehender Mann, hat in der Rechten einen Degengriff“. Solch indifferente Beschreibung setzt sich bis ins 19. Jahrhundert hinein fort. Dabei dürfte die Wahl des Künstlers für sein Geschenk nicht zufällig gewesen sein, nimmt Mars doch eindeutig Bezug auf das Kriegshandwerk als unverzichtbare Domäne eines Fürsten.

Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins
Giambologna, Mars, vor 1587, Höhe: 39,6 cm; Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © Courtesy of Sotheby’s’, Foto: Rick Jenkins

Jenseits seiner Herkunftsgeschichte und der Ikonographie und trotz der genannten Kenntnisverluste im 18. Jahrhundert hat der „Mars“ seinen Spitzenplatz als ästhetisches Objekt behalten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade in der Zeit, in der die Autorschaft Giambolognas bei den Dresdner Katalogschreibern in Vergessenheit geriet, Kunstkenner wie Winckelmann meinten  darauf  hinweisen  zu  müssen,  man  halte den „Mars“ fälschlicherweise „für eine Statue aus dem Altertume“. Dies lag gewiss an der meisterhaften Aus­arbeitung dieses in vielerlei Fassungen überlieferten Modells. Als einzigem Guss aber, der nachweislich aus der Lebenszeit Giambolognas stammt und durch den Schenkungsakt als zweifelsfrei authentisch ausgewiesen ist, kommt dem Dresdner Exemplar eine ganz besondere kunsthistorische Bedeutung zu.

Der ins Elb-Florenz migrierte „Mars“ gehörte 338 Jahre lang zum Bestand der Dresdner Sammlungen. Da er als persönliches Geschenk des Künstlers an Kurfürst Christian in die Kunstkammer gelangt war, wurde er im Zuge der Fürstenabfindung 1924 als Privateigentum identifiziert und dem „Familienverein Haus Wettin“ abgetreten. Die ehemals regierende sächsische Dynastie gab ihn auf den Kunstmarkt, wo er 1927 durch Theodor Plieninger (1856 –1930), den Generaldirektor der Chemischen Werke Griesheim-Elektron, für sein Unternehmen erworben wurde (Geschäftssinn paarte sich hier offenbar mit Kunstsinn). Zum ersten Mal nach 341 Jahren war für die Figur Geld bezahlt worden. Gleichwohl schien dem Stück sein ursprünglicher Charakter als Geschenk nachhaltig anzuhaften, denn die  Griesheim-Elektron  schenkte  Giambolognas Werk 1943 dem Vorstandsmitglied Constantin Jacobi (1877–1959). Dessen Sohn und Erbe Walter schenkte es seinerseits 1988 an die Bayer AG, mit der das Unternehmen  einst  zur I.G.  Farben  gehörte.  Die Schenkungsurkunde verlangte, dass die Statuette „in einem repräsentativen Bereich des Unternehmens zu zeigen“ sei.

Dreißig Jahre später, im nunmehr 432. Jahr nach seiner Ankunft in Dresden, sollte das Stück meistbietend in einem Londoner Auktionshaus versteigert werden – das Unternehmen fühlte sich an die Bitte des einstigen Wohltäters nicht mehr gebunden. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es schließlich, Giambolognas „Mars“ vor der Auktion für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sichern, zu einem gutachterlich festgesetzten Marktpreis, ohne jeglichen Nachlass seitens des Einlieferers. In die Gruppe der Förderer reihte sich auch ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Unternehmensgruppe Bayer ein: mit einer großzügigen privaten Spende setzte er, beschämt über das Vorgehen seines ehemaligen Unternehmens, ein Zeichen. Als Kunstsammler und -kenner war ihm die Rückführung des geschenkten „Mars“ nach Sachsen eine Herzensangelegenheit – genau wie der Kulturstiftung der Länder, die glücklich ist, in den schwierigen Verhandlungen als Mediatorin gewirkt zu haben und die Rückkehr dieses Kulturguts von nationalem Rang an seinen angestammten Platz nach Kräften unterstützte.