Von der Einkaufsgenossenschaft zum Denkraum?
Sehen Sie hier alle Videos zum Festakt 30 Jahre Kulturstiftung der Länder
Der Gedanke der Nationalkultur und schon gar der Begriff sind erst zwei Jahrhunderte alt. In der Folge der napoleonischen Beutezüge durch ganz Europa, bei denen der Konsul und schließlich Kaiser fortnehmen und nach Paris schaffen ließ, was ihm hochgebildete Berater wie Dominique-Vivant Denon als Zeugnis der Kultur schlechthin benannten, entwickelte sich in den solcherart beraubten Ländern das Bewusstsein eigener kultureller Identität, gestiftet durch das materielle Erbe, das mit einem Mal so fühlbar dezimiert war. Es war ein dialektischer Prozess, in dem erst die Wegnahme das Bewusstsein des Verlustes wachrief, dem die Rückholung der geraubten Schätze und deren feierlicher Wiederauf- wie erstmaliger Ausstellung folgten.
Im politisch zersplitterten Deutschland des 19. Jahrhunderts konnte allein das Bewusstsein einer kulturellen Zusammengehörigkeit über den Mangel an staatlicher Einheit hinweghelfen. Der Begriff der Kulturnation, anderen Nationen gegenüber dem Staatsgedanken eher nachrangig, besaß in Deutschland stets eine höchst politische Dimension. Dieser Gedanke der Kulturnation blieb lebendig über die mannigfachen Veränderungen und Verwerfungen, die Deutschland in seiner Staatlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert erfuhr. Die deutsche Teilung nach 1945 ließ den Gedanken der einheitlichen Kulturnation nochmals hervortreten, da die politische Einheit aussichtslos schien. Es erscheint in der Rückschau nicht als bloßer Zufall, dass am Vorabend des überraschenden Endes der Zweistaatlichkeit, bewirkt durch die friedliche Revolution in der bald darauf ehemaligen DDR, der Gedanke eines kulturellen Zusammenwirkens in der Kulturstiftung der Länder (KSL) Gestalt gewann. Ganz auf den Prinzipien von Freiwilligkeit und gegenseitiger Hilfeleistung beruhend, sollte die KSL dem infolge aufrüttelnder Ereignisse als mangelhaft erkannten Zusammenwirken der Bundesländer eine institutionelle Form geben, die es erlaubte, ohne Minderung oder gar Preisgabe ihrer kulturellen Eigenständigkeit – Kulturhoheit genannt – in Fällen zusammenzuwirken, in denen die kulturelle Identität Schaden durch Abwanderung von Kulturgütern zu erleiden drohte.
1987 wurde die Kulturstiftung der Länder (KSL) gegründet, ihr Sitz in Berlin – West-Berlin, wohlgemerkt – rührte an die Probleme des besonderen Status der Stadt, und dies im Schatten des gerade erst im Jahr zuvor abgeschlossenen deutsch-deutschen Kulturabkommens. Als die KSL 1988 ihre Tätigkeit aufnahm, gastierte im selben Jahr das West-Berliner Bauhaus-Archiv mit einer Ausstellung im Bauhaus-Gebäude Dessau, eine der ersten im Kalender des Kulturabkommens vereinbarten Veranstaltungen. Das nur nebenbei; aber es beleuchtet eben das damalige Problemfeld, das sich nur ein reichliches Jahr später glücklicherweise verflüchtigte. Als Stiftungszweck ist der KSL „die Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Ranges“ aufgegeben, wie es in der Satzung heißt. Konkret bedeutet dies „die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrungswürdiger Zeugnisse, vor allem wenn deren Abwanderung ins Ausland verhindert werden soll oder wenn sie aus dem Ausland zurückerworben werden sollen“. Als weitere Handlungsfelder werden in der Satzung genannt die „Förderung von und die Mitwirkung bei Vorhaben der Dokumentation und Präsentation deutscher Kunst und Kultur“, ferner die „Förderung zeitgenössischer Formen und Entwicklungen von besonderer Bedeutung auf dem Gebiet von Kunst und Kultur“ sowie von „überregional und international bedeutsamen Kunst-und Kulturvorhaben“.
Als „Einkaufsgenossenschaft der Länder“, mit diesem Wort des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth wurde die KSL gerne bezeichnet, deren Tätigkeit sich nur in ihren beiden Anfangsjahren allein auf die Länder der „alten“ Bundesrepublik beschränkte. Die Namensgebung unterspielt den nationalen Charakter der Institution. Denn das Ende der DDR als eigenständiger Staat gab der KSL eine weit über die Intentionen ihrer länderpolitischen Gründer hinausgehende Bedeutung. „Die Handlungsfähigkeit gegenüber der damals noch bestehenden DDR tendierte gegen Null“ – heißt es im ersten summarischen Tätigkeitsbericht der KSL vom Frühjahr 1992 –, „weil die Stiftung als verkappte Bundeseinrichtung im Sinne der lange diskutierten Nationalstiftung angesehen wurde. Infolge der politischen Entwicklung wurde über Nacht aus der Schwäche eine Stärke. Es gab frühzeitig einen Punkt, wo – die politische Entwicklung vorwegnehmend – solidarisch für Kulturgut in den Grenzen der ehemaligen DDR gehandelt werden konnte.“ Gemeint ist die dramatische Rückführung des Quedlinburger Domschatzes, der, kaum in den USA aufgetaucht, schon wieder und diesmal endgültig zu verschwinden drohte, dann aber für seinen ursprünglichen Aufbewahrungsort rückerworben werden konnte. Das geschah, noch ehe der staatliche Rahmen ganz gesetzt war, innerhalb dessen ein solcher Vorgang künftig zu regeln war. Die Unterstützungsleistungen der KSL für die Museen, Archive und verwandten Kultureinrichtungen auf dem Boden der nun ehemaligen DDR bilden jedenfalls ein rühmliches Kapitel im langwierigen Vereinigungsprozess der beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Einzelne Städte Mitteldeutschlands zu nennen, in denen die Aktivitäten der KSL Erhebliches zur Bewahrung und Festigung der kulturellen Identität beigetragen haben, hieße andere zu übergehen, auf die das Gesagte gleichermaßen zutrifft. Es verstand sich nach diesen ersten Erfahrungen geradezu von selbst, dass die „neuen“ Bundesländer 1991 der KSL beitraten, nicht nur im Vollzug des staatlichen Vereinigungsprozesses, sondern aus dem Bewusstsein eigener kulturpolitischer Verantwortung. Mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Ära der deutschen Teilung und damit zur DDR rückt auch die dort geschaffene Kunst zunehmend ins Blickfeld, so dass nicht überrascht, dass der seit dem 1. Juni 2018 amtierende Generalsekretär Markus Hilgert in einer programmatischen Rede zum 30. Gründungsjubiläum der KSL Ende 2018 die Absicht unterstrichen hat, „dass unsere Bemühungen um Kunst und Kultur nationalen Ranges in Deutschland in wesentlich größerem Umfang als bisher auch dem Kulturerbe der DDR gelten sollten“.
Die Nöte der fünf – mit Berlin fünfeinhalb – ostdeutschen Länder waren der Öffentlichkeit von Anbeginn präsent. Doch konzentrierte sich die Aufmerksamkeit naturgemäß auf die ganz großen „Baustellen“, auf Städte wie Dresden, Weimar oder Stralsund. Die kleineren Museen, gar Bibliotheken oder erst recht Kirchen mit ihren häufig dezimierten Gemeinden hatten und haben das Nachsehen. Waren sie schon in der DDR vernachlässigt worden, so fanden sie sich im vereinten Deutschland erneut am Ende der Prioritätenliste. Unter diesen misslichen Voraussetzungen gezielt Abhilfe zu leisten, ist die Leitlinie des Freundeskreises der KSL, der an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden muss. Dieser Verein, der durchaus als eine Form der Würdigung der KSL in der engagierten Öffentlichkeit verstanden werden kann, gründete sich vor nunmehr zwanzig Jahren; die Festveranstaltung fand geradezu programmatisch in Potsdam statt. Der Freundeskreis kann und will Hilfestellung dort leisten, wo die üblichen Verfahren der KSL aus welchen Gründen auch immer nicht greifen. Das betrifft beispielsweise Maßnahmen zur Erhaltung, für die „eigentlich“ der Träger der jeweiligen Einrichtung zuständig wäre, die aber schnelle und unbürokratische Hilfe erforderlich machen.
Das verweist darauf, dass die Tätigkeit der KSL sich eben nicht auf den Erwerb beweglicher Kulturgüter beschränkt. Zumindest in der Wahrnehmung der Arbeit der KSL hat der Erwerb von Kulturgütern zwar ein Übergewicht. Das liegt in der Natur der Sache, stand doch bei ihrer Gründung der Wunsch im Vordergrund, von Abwanderung und Verlust bedrohtes Kulturgut für die Öffentlichkeit in Deutschland zu bewahren. So konnten in 30 Jahren rund 1.050 Objekte – darunter auch ganze Objektgruppen – von nationalem Rang erworben und gesichert werden. Der finanzielle Aufwand vonseiten der KSL übersteigt dabei eine Summe von 175 Millionen Euro; bewegt wurden damit jedoch Mittel von insgesamt 640 Millionen Euro, so dass der Anteil der KSL noch deutlich unter jenem Drittel liegt, das in ihren Anfangsjahren als Bezugsgröße angestrebt wurde, oder anders herum ausgedrückt: jeder KSL-Euro – anfangs waren es D-Mark – sollte zwei weitere Euro respektive Mark aus anderen Quellen mobilisieren. Mindestens – was erfolgreich gelang.
Das Erhalten bereits vorhandener, in öffentlichem Eigentum befindlicher Kulturgüter steht nicht gleichermaßen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Für die Institutionen, die Museen, Archive und anderen Einrichtungen mit eigenem Bestand, gilt jedoch die traditionelle, dreifache Aufgabenstellung des Museums von „Sammeln, Bewahren, Erforschen“; meist ergänzt um die vierte Aufgabe des „Ausstellens“. Das Erwerben ist sichtbar und wird gefeiert, das Erhalten hingegen nur im Ausnahmefall; und für den Unterhalt von Gebäuden und der Ausstattung mit Geräten fühlt sich erst recht kein Außenstehender zuständig. Museen in den USA, die in aller Regel vollständig auf privates Engagement angewiesen sind, wissen von den Schwierigkeiten ein Lied zu singen. Der Freundeskreis auch – aber im stolzen Bewusstsein eigener Hilfeleistungen. Grundsätzlich aber rücken die konservatorische Pflege und der Schutz gefährdeter Kulturgüter mehr und mehr in den Blick; sie sollen zunehmend stärker gefördert werden. Wie dringend geboten dies ist, haben die drei Katastrophen – der Begriff ist angebracht – gezeigt, bei denen unersetzbare Kulturgüter vernichtet wurden, vieles aber durch schnelle Hilfe gerettet werden konnte: bei der Hochwasserkatastrophe in Dresden im Jahr 2002, dem Brand der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek zwei Jahre darauf und dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im Jahr 2009. Daneben – wenn schon von den traditionellen Aufgaben des Museums die Rede ist – fließen jährlich rund eine Million Euro in die Förderung herausragender Ausstellungsvorhaben, wobei sich die KSL auch diese Aufgabe, schaut man in die entsprechenden Ausstellungskataloge, mit weiteren Stiftungen und Fördereinrichtungen teilt.
Ein weiteres Handlungsfeld verdient besondere Erwähnung. Denn aus dem Umgang mit den materiellen Zeugnissen der Kultur ganz heraus fällt die im Jahr 2003 gestartete Bildungsinitiative „Kinder zum Olymp!“. Sie hat zum Ziel, ästhetische Bildung in den Lehrplänen der Schulen zu verankern. Akteure der kulturellen Bildung aus Kulturinstitutionen und Lehrer verschiedener Schultypen kommen auf den alle zwei Jahre stattfindenden Kongressen zusammen, um neue kulturelle Bildungskonzepte zu diskutieren.
Zurück zur Kernaufgabe des Erwerbens: Es würde die Tatsachen verzeichnen, wollte man die Tätigkeit der KSL in den „neuen“ Bundesländern als eine zu Lasten der „alten“ darstellen. Das nirgends verbriefte, aber innerhalb eines gewissen Zeitraumes dann doch verwirklichte Prinzip einer annähernden Gleichbehandlung der Bundesländer in ihren Förderanträgen hat stets gegriffen und ist von keiner Seite je in Zweifel gezogen worden. „Jedes Land weiß, was es eingezahlt und was es bekommen hat“, so hat die langjährige Generalsekretärin und jetzige nordrhein-westfälische Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen dazu einmal lakonisch bemerkt: „Und alle wissen, dass sich das über die Jahre immer wieder ausgleicht.“
Markus Hilgert hielt in seiner Rede anlässlich des KSL-Jubiläums fest, „dass der Erwerb von Kulturgütern nationalen Ranges für kulturbewahrende Einrichtungen in Deutschland auch in Zukunft den Schwerpunkt unserer Fördertätigkeit darstellen wird“. Hilgert versteht darunter ausdrücklich auch „die Unterstützung kleinerer Einrichtungen gerade in ländlichen Räumen beim Ankauf von Kulturgütern, die auch einen ausgeprägten lokalen oder regionalen Bezug haben“. Doch es liegt in der Natur der Sache, dass Erwerbungen zugunsten mitteldeutscher Einrichtungen nach den Jahrzehnten ihrer erzwungenen Abschottung vom internationalen Kunstmarktgeschehen, vielfach überhaupt von allen Formen des Kulturaustauschs, eine höhere Aufmerksamkeit zuteil wurde und wird, als dies für die Tätigkeit zumal in den prosperierenden der Bundesländer gilt, die auch vor und ohne die KSL zu spektakulären Erwerbungen in der Lage waren und sind.
Es erscheint nicht unbillig, zum dreißigsten Jahrestag des Beginns der Tätigkeit der KSL diesen Aspekt der Bewahrung und Kräftigung einer das ganze heutige Deutschland umfassenden kulturellen Identität, besonders hervorzuheben. Zu leicht gerät in Vergessenheit, dass die Ungleichgewichte, die sich infolge der deutschen Teilung ergeben haben und auch in dreißig Jahren Einheit nicht ausgeglichen werden konnten, auf kulturellem Gebiet besonders schmerzlich empfunden werden – wie denn umgekehrt die Unterstützung, die die KSL materiell, aber auch mit ihrem angesammelten Wissen und Können geben kann, als besonders heilsam empfunden wird. Die Zurücksetzung, die die östlichen Teile des heutigen Deutschland durch die Teilung erfahren haben, lässt sich nicht ungeschehen machen, wohl aber symbolisch ausgleichen. Das ist ein langwieriger, nie abzuschließender Vorgang, in dem die KSL naturgemäß nur eine sehr begrenzte Rolle spielen kann, aber mit ihren punktuellen Interventionen eben doch zu dem, wenn man so will, Heilungsprozess beiträgt. Daran ist auch nach innen, in die Kulturinstitutionen hinein, zu erinnern. Bisweilen scheint es, dass der hier angedeutete Prozess der kulturellen Identitätsfindung und -bildung, der in den 1990er Jahren zu so wichtigen Aktionen wie der Erarbeitung eines „Blaubuchs“ mit der Auflistung von „kulturellen Leuchttürmen“ geführt hat, schon wieder in Vergessenheit gerät; und dies in einem Moment, da auf die regionale Ausdifferenzierung etwa des Wahlverhaltens mit verständlicher Sorge geblickt wird, ohne die kulturelle Tiefendimension solcher politischen Phänomene recht zu erkennen.
Beinahe von Anfang an haben sich die Mechanismen der KSL zuverlässig eingespielt, längst sind sie in ihrer reibungslosen Effizienz zuverlässig eintreffend geworden. Nicht zuletzt dieser ihrer Effizienz wegen sind der KSL alsbald weitere Aufgaben zugewiesen worden, die die ursprüngliche Ausrichtung allein auf den Erwerb abwanderungsbedrohter Kunst- und Kulturgüter deutlich aufgeweitet haben. „Einen erheblichen Anteil an der Profilbildung und öffentlichen Wahrnehmung der Kulturstiftung der Länder hatten stets auch modellhafte Initiativen und Projekte, die kulturpolitisch relevante Themen meist frühzeitig identifizierten und aufgriffen“, hat Hilgert rückblickend bilanziert. Die KSL „fungierte dabei nicht nur als Impulsgeberin. In ihrer Eigenschaft als Experteninstitution und Zentrum eines ausgedehnten Kompetenznetzwerks entwickelte und erprobte sie vielmehr auch Konzepte für den Umgang mit aktuellen kulturpolitischen Herausforderungen. Auf diese Weise schuf sie nicht zuletzt eine Basis für die Verstetigung entsprechender Projekte. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an die ,Arbeitsstelle für Provenienzforschung‘ [heute Deutsches Zentrum Kulturgutverluste], den ,Deutsch-Russischen Museumsdialog‘ oder die ,Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts‘“.
Auf der anderen Seite hat die Schaffung der Kulturstiftung des Bundes als Konsequenz der ausgebliebenen Einigung von Bund und Ländern – der Länder mit dem Bund, müsste man wohl präziser sagen – über Zuständigkeiten und Finanzierungsregeln zu einer politischen Klärung geführt und die KSL erst ganz als Ländereinrichtung, und zwar ohne jeden Anspruch auf gleich welche Art von kulturpolitischer Eigentätigkeit, sich ausprägen lassen. Die bisherigen Aufgaben der KSL liegen ganz und gar im Interesse der Bundesländer, sie waren und sind denn auch hinsichtlich der Wahrung der Kulturhoheit der Länder unstrittig.
Das war, wenn man den Blick zurücklenkt auf die Vorgeschichte der KSL, nicht von Anbeginn der Fall. Tatsächlich ist die Vorgeschichte, die aus heutiger Sicht bereits als eine der typischen Eigentümlichkeiten der „alten“ Bundesrepublik anmutet, die eines Scheiterns gesamtstaatlicher Vorhaben auf dem Gebiet der Kultur. Bereits 1973 hatte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt die Idee einer „Deutschen Nationalstiftung“ aufgegriffen und ihr in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar jenes Jahres offiziellen Charakter verliehen. So erklärte er an diesem übrigens sehr beziehungsreichen Datum der deutschen Nationalgeschichte, „es würden sich viele Träume erfüllen, wenn eines Tages öffentliche und private Anstrengungen zur Förderung der Künste in eine Deutsche Nationalstiftung münden könnten“.
Dazu kam es bekanntlich nicht. In den Folgejahren wurde die große Idee mit allerlei Bedenken verfassungsrechtlicher, aber auch praktisch-politischer Art kleingeredet. Dass der Bund in den achtziger Jahren unter der Regierung Kohl begann, eigene kulturpolitische Aktivitäten insbesondere im weiten Bereich der Geschichtspolitik zu entfalten, ließ die Bereitschaft der Länder zu Zugeständnissen im Sinne gemeinschaftlicher Institutionen und Finanzierungsregeln nur noch weiter sinken. Erinnerungen an den mühsamen Beginn der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die anfangs jahrelang durch den Einspruch einiger Bundesländer blockiert worden war, wurden wach. Mit einem klar umrissenen Auftrag jedoch war der Weg zur Gründung der KSL bereitet, die am 4. Juni 1987 mit der Unterzeichnung des Errichtungsabkommens durch die Ministerpräsidenten der Länder vollzogen wurde. Auch wenn es keinerlei kausalen Zusammenhang gibt, sei doch erwähnt, dass im selben Jahr 1987 die Bundesregierung mit dem Gründungsakt für das Deutsche Historische Museum in Berlin einen demonstrativen Schritt zur Eigentätigkeit auf kulturellem Gebiet vornahm.
Die verfassungsrechtlichen Divergenzen, die die Idee einer wie auch immer gearteten Kulturstiftung seit jeher begleiteten, spielten in der Öffentlichkeit keine Rolle. Vielmehr waren es Ereignisse auf dem internationalen Kunstmarkt, die in der Öffentlichkeit tiefe Wirkung ausübten. Das war zum einen der gerade noch durch das Engagement eines Einzelnen geglückte Erwerb des Evangeliars Heinrichs des Löwen, eines geradezu prototypischen Erbstücks der Nationalkultur. Zum anderen der drohende Verlust des Gemäldes „Einschiffung nach Kythera“ von Antoine Watteau, das über seinen Eigenwert als herausragendes Kunstwerk hinaus die Erinnerung an die verlorene kulturelle Bedeutung Preußens trug. Das von politischer Seite angestoßene, jedoch auch nicht im erhofften Umfang eintretende bürgerschaftliche Engagement zur Sicherung des Gemäldes ließen die Notwendigkeit einer institutionalisierten Anlaufstelle für vergleichbare, seien es auch finanziell weitaus kleinere Vorfälle in dramatischer Weise deutlich werden.
Die damalige Bundesrepublik war auf ein Eingreifen, schon gar auf vorausschauendes Handeln in keiner Weise eingerichtet. Der drohende und gerade noch abgewendete Verlust, hier wie in anderen Fällen, wirkte in der Öffentlichkeit als Schock. Er hallt nach in den Worten, die Klaus Maurice, der erste Generalsekretär der Stiftung, zum Ende seiner zehnjährigen Amtszeit wählte. Er sprach von den geförderten Kunstwerken als „Zeichen, die für unsere Identität wichtig sind, die nun öffentlich bleiben und die den beiden Furien ,Verschwinden‘ und ,Vergessen‘ entrissen sind“.
Die Errichtung der KSL fand ein rundweg positives Echo. Ihre Aufgabenstellung – mit den Worten des ersten Tätigkeitsberichtes – war unstrittig: „Die Förderung von Kunst und Kultur nationalen Ranges steht im Vordergrund.“ Diesen „nationalen Rang“ im Einzelnen zu bestimmen, hat es im Verlauf der dreißigjährigen Tätigkeit der KSL immer weniger bedurft. Denn aus der Fülle der Ankaufsförderungen ergibt sich das stimmige Bild einer deutschen Nationalkultur, die gerade durch ihre regionale Verschiedenheit, durch ihren Eigensinn und ihre je eigene Geschichtlichkeit gekennzeichnet ist. Ja, es ist gerade die nicht-hierarchische Vielfalt von größeren und kleineren Kulturzentren, die den historisch gewachsenen deutschen Flickenteppich prägt; dies übrigens, um jedem Anflug nationaler Überheblichkeit entgegenzutreten, der Eigenart Italiens durchaus vergleichbar. Die KSL stärkt mit ihren Förderleistungen diese Eigenart; und welche Bedeutung das Engagement einer von allen Bundesländern solidarisch getragenen Einrichtung in Regionen haben kann, die unter Veränderungsdruck stehen und in denen tradierte Muster brüchig werden, muss wohl kaum betont werden.
Die unter anderem in der Einrichtung des Amtes eines Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Range eines Staatsministers im Bundeskanzleramt, kurz Bundeskulturstaatsminister(in) genannt und seit 2009 von Monika Grütters ausgefüllt, zum Ausdruck kommende wachsende politische Bedeutung der Kultur hat auf Länderseite mittlerweile dazu geführt, im Rahmen und unter dem Dach der traditionellen Kultusministerkonferenz – mit „s“ – eine eigene Kulturministerkonferenz – mit „r“! – einzurichten. Es bestehe die Chance, so Hilgert Ende 2018, „dass der stetig wachsende Stellenwert kulturpolitischer Themen innerhalb unterschiedlicher Politikfelder auch neue Impulse für die Fördertätigkeit und das institutionelle Profil der Kulturstiftung der Länder“ biete. Damit sprach Hilgert insbesondere besagte Kulturministerkonferenz an und machte ihr ein Angebot: Die KSL stehe „bereit, gleichsam als ‚geborene Partnerin‘, dieses für die Kulturpolitik in Deutschland so wichtige Gremium mit Rat und Tat zu unterstützen sowie als Inkubationsraum und Plattform für länderübergreifende kulturpolitische Initiativen zu dienen“. Das ist ein verführerisches, aber auch nicht gänzlich unproblematisches Angebot, bedenkt man, dass die wundersame Wirksamkeit der KSL nicht zuletzt auf dem übergreifenden Einverständnis aller politischen Akteure, insbesondere der Parteien, beruht, eine – wenn man so will – „größte“ Koalition, die in Ländergremien wie der Kultusministerkonferenz nicht unbedingt gegeben und im Übrigen auch nicht wünschenswert ist. Wie der angestrebte „Inkubationsraum“ in der Praxis gestaltet werden soll, wird also spannend zu beobachten sein.
Dies umso mehr, als Generalsekretär Hilgert eine Neuorientierung und Ausweitung der Handlungsfelder der KSL bereits skizziert hat. In den drei Jahrzehnten seit ihrer Gründung habe sich „ein tiefgreifender Perspektivwechsel in der Wahrnehmung von Kulturgütern vollzogen, wissenschaftlich ebenso wie politisch. Sozial-und Kulturwissenschaften fragen verstärkt nach der gesellschaftlichen Funktion der Dinge, interessieren sich für die Wege, die bestimmte Objekte seit ihrer Herstellung zurückgelegt haben, und entlarven die dabei oft wirksamen Asymmetrien und Unrechtstatbestände“. Es bestehe „kein Zweifel mehr daran, dass der Schutz von Kulturgütern vor Plünderung und illegalem Handel auch zu einem wichtigen Thema der Außen-und Sicherheitspolitik werden kann; und allmählich setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass eine vertrauensvolle und langfristig partnerschaftliche Verständigung mit Staaten insbesondere in Afrika zu weltpolitischen Herausforderungen wie dem Klimaschutz, der Migration, der nachhaltigen Entwicklung oder der Sicherheit Europas nur dann möglich sein wird, wenn wir konsequent Verantwortung übernehmen für unsere koloniale Vergangenheit und den massenhaften, oft gewaltsamen Entzug von Kulturgütern in diesem Zusammenhang“. Eine isolierte Kulturpolitik kann es demzufolge heute noch weniger als ohnehin seit jeher schon geben: „Weil es diese starke Durchsetzung zentraler Politikfelder mit originär kulturellen beziehungsweise kulturpolitischen Fragestellungen gibt und weil die öffentliche wie politische Aufmerksamkeit für diese Verflechtung in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, sind etwa die digital unterstützte Kulturvermittlung und die damit verbundene digitale Transformation von Kultureinrichtungen, der nachhaltige Schutz von Kulturgütern auch in Krisen-oder Konfliktsituationen oder der proaktive Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten eben keine kulturpolitischen Binnenprobleme. Bei der Bewältigung von zentralen gesellschaftspolitischen, außenpolitischen und geopolitischen Herausforderungen zählen sie heute vielmehr zu den Schlüsselthemen.“
Von der „Einkaufsgenossenschaft“ zum „Inkubationsraum“ gesamtgesellschaftlicher Problemstellungen – das war und bleibt ein weiter, in sich jedoch folgerichtiger Weg. Dreißig Jahre Arbeit liegen hinter der KSL. Den ersten Tätigkeitsbericht der KSL zehn Jahre nach Arbeitsbeginn beschließt ein Gedicht des jungen Goethe aus dem Jahr 1775. Dazu heißt es: „Das später mit ,Hoffnung‘ überschriebene und veränderte Gedicht gibt in seinen beiden letzten Zeilen der – auch von der Kulturstiftung geteilten – Erwartung eines gedeihlichen Wachstums Ausdruck: ,Jetzt noch Stangen diese Bäume / Geben einst noch Schatten mir‘.“ Nach drei Jahrzehnten der KSL lässt sich feststellen, dass der schützende Schatten, den die Stiftung wirft, der einer prachtvollen Baumkrone geworden ist.