Ankauf aus Sammlung Bienert für Städtische Galerie Dresden

„Durch die Aktion ‚Entartete Kunst‘ und durch Kriegsverluste verlor die Städtische Galerie Dresden, einst ein Leuchtturm moderner Kunst, 98 Prozent ihrer Sammlung progressiver Kunst der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die Erwerbung eines Konvoluts der ehemaligen Sammlung Bienert kompensiert zumindest einen kleinen Teil der Verluste. Mein Dank gilt den Erben der Familie Bienert, denen es ein Anliegen ist, diese Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit ihnen wurde ein Kaufpreis vereinbart, der am Kunstmarkt deutlich übertroffen worden wäre. An die Familie Bienert, die sich schon lange für die Kunst in Dresden engagiert und an die Kultur des privaten Sammelns von Kunst erinnern künftig die in der Städtischen Galerie ausgestellten Werke“, so Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.

Otto Lange, Selbst bei Nacht im Atelier, Aus der Grafikmappe „Dresdner Sezession – Gruppe 1919“ , 1920, Linolschnitt 33,4 × 40,3 cm auf 58,5 × 48,9 cm; Städtische Galerie Dresden; © Städtische Galerie Dresden, Foto: Franz Zadnicek
Otto Lange, Selbst bei Nacht im Atelier, Aus der Grafikmappe „Dresdner Sezession – Gruppe 1919“ , 1920, Linolschnitt 33,4 × 40,3 cm auf 58,5 × 48,9 cm; Städtische Galerie Dresden; © Städtische Galerie Dresden, Foto: Franz Zadnicek

Die Sammlung des Unternehmers und Kunstsammlers Friedrich Bienert (1891-1969)  geht zurück auf die Sammelleidenschaft seiner Mutter Ida Bienert (1870-1965) und seines Großvaters Gottlieb Traugott Bienert (1813-1894). Die Kunstsammlung der Familie gehörte in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Privatsammlungen in Deutschland. Friedrich Bienert führte die Sammlung ebenso wie die Firma der Familie weiter. Nach seiner Flucht aus der DDR 1952 wurden die in seinem Haus zurückgelassenen Kunstgegenstände sichergestellt und dem Stadtmuseum Dresden zur Aufbewahrung übergeben. Rund 40 Jahre später stellten seine Erben einen Rückübertragungsantrag. 2004 wurde diesem Antrag stattgegeben und die Sammlung Bienert rückübertragen, die bis dahin Kern der grafischen Sammlung zur Klassischen Moderne der Städtischen Galerie gewesen war. Das Konvolut mit den wichtigen Werken aus der Sammlung Bienert geht nun in das Eigentum der Landeshauptstadt Dresden über und ist somit durch die Arbeit des Kunstmuseum der Öffentlichkeit zugänglich.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Dresdner Mühlendynastie Bienert im damaligen Dresdner Vorort Plauen entwickelt. Die Architektur der Bienertschen Mühle bestimmt noch heute den Eingang zum Plauenschen Grund an der Straße von Dresden nach Freital. In den zwanziger Jahren galt Ida Bienert als wichtigste Sammlerin moderner Kunst in Dresden, die sich auch öffentlich für kulturelle Belange der Stadt engagierte. In ihrem Salon verkehrten Künstler wie Otto Dix (1891-1969), Conrad Felixmüller (1897-1977), Walter Gropius (1883-1969) und Paul Klee (1879-1940). Zu den Spitzenwerken der Sammlung zählten damals Bilder von Paul Klee, Marc Chagall (1887-1985), Lyonel Feininger (1871-1956), Wassily Kandinsky (1866-1944), El Lissitzky (1890-1941) und Pablo Picasso (1881-1973). Ihr Sohn Friedrich Bienert entwickelte wie seine Eltern eine Leidenschaft für moderne Kunst, war eng mit Otto Dix befreundet und heiratete 1924 die Tänzerin Gret Palucca (1902-1993).

Friedrich Bienert war ein Unterstützer der revolutionären Bestrebungen von 1918/19, ausgedrückt unter anderem durch seinen Erwerb der „Sezessionsmappe“, der einzigen gemeinsamen Edition der Künstler der Dresdner Sezession – Gruppe 1919. Wenige Wochen nach der Novemberrevolution gründete sich die expressionistische Gruppe 1919, auf Initiative von Conrad Felixmüller fanden sich progressiv gesinnte Künstler zusammen. Die Mappe enthält einen manifest-artigen Text von Will Grohmann. Neben diesem Exemplar existieren lediglich zwei weitere Mappen. Von seinem engen Freund Otto Dix hatte Bienert die „Zirkus-Mappe“ mit zehn Radierungen erworben. Sie ist eine der letzten in Dresden angefertigten Arbeiten Dix‘, bevor dieser 1922 nach Düsseldorf zog. Von 1933 bis 1945 lagerte Bienert zahlreiche Gemälde von Dix‘ – dessen Werke als „entartet“ galten – in seiner Firma und rettete sie so über die Zeit des Dritten Reiches. Die Städtische Galerie erwirbt neben den Mappen von Dix und der Dresdner Sezession – Gruppe 1919 sowie einem Aquarell von Emil Nolde (1867-1956) eine Folge 13 unbetitelter farbiger Zeichnungen von Conrad Felixmüller (um 1916/17), die Tuschzeichnung „Porträt Ludwig Meidner und Raoul Hausmann“ (1915) sowie zwei Holzschnitte (1918) von Conrad Felixmüller. 13 weitere Zeichnungen und druckgrafische Blätter erhielt die Städtische Galerie als Schenkung. Die Werke sollen nun weiter erforscht, digital reproduziert und in der digitalen Sammlungsdatenbank der Museen Dresden für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Am 16. August 2019 eröffnet die Sonderausstellung „Aus der Sammlung Friedrich Bienert – Neuerwerbungen für die grafische Sammlung“ in der Städtischen Galerie Dresden. Dort werden alle erworbenen Werke präsentiert.

Weitere Förderer dieser Erwerbung: Ernst von Siemens Kunststiftung, Sächsische Landesstelle für Museumswesen