Alibis: Sigmar Polke

Zinksulfid, Cadmiumoxid, Silbernitrat, Iodide oder Kobaltchloride – nicht selten dürfte Sigmar Polkes Atelier einem professionellen Chemielabor geglichen haben. Selbst von giftigen Stoffgemischen ließ sich der experimentierfreudige Künstler nicht einschüchtern und schuf alchemistische Zeugnisse im Großformat, die ihr Aussehen je nach Lichteinfall, Feuchtigkeit und Temperaturunterschied verändern konnten. Doch ist dies nur eine der vielen Seiten Polkes. Immer auf der Suche nach neuen Materialien und Medien, hantierte er mit transparenten Bildflächen, phosphoreszierenden Flüssigkeiten und fließenden Farben, entwarf Skulpturen wie die rotierende Kartoffelmaschine, zeichnete, fotografierte, filmte und bediente sich an den Motivvorlagen der Massenmedien, die zu seinen berühmten Rasterbildern führten. Über fünfzig Jahre hinweg schuf Sigmar Polke ein Werk, das durch Ironie, Beweglichkeit und Komplexität besticht.

International bereits zu Lebzeiten bekannt und erfolgreich, war Sigmar Polke (1941– 2010) im Rheinland zu Hause. Nach seiner Lehre zum Glas­maler in Düsseldorf-Kaiserswerth studierte der gebürtige Schlesier von 1961 bis 1969 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme und Karl Otto Goetz, bevor er Anfang der 1970er Jahre nach Köln zog. Hier lebte und arbeitete er bis zu seinem Tod. Nun wird dem Künstler in seiner einstigen Heimatstadt erstmals eine posthume Retrospektive gewidmet: Vorab im Museum of Modern Art in New York und in der Tate Modern in London zu sehen, werden Polkes vielseitige Arbeiten nun im Museum Ludwig in Köln präsentiert. Von den rund 200 Werken aus den Jahren von 1963 bis 2010 wurden einige noch nie in Europa und Deutschland gezeigt, darunter auch die 1988 entstandene Gemäldegruppe „The Spirits that Lend Strength are Invisible“. Ergänzt wird die Schau in Köln durch Werke aus dem eigenen Bestand, so das Transparentbild „Fensterfront“ aus dem Jahr 1994, das die Sammlerin Irene Ludwig dem Museum 2002 als Geschenk übergab. Auch das mit 180 Objekten nahezu vollständig zusammengetragene Konvolut der Editionen wird thematisch in die Ausstellung eingebunden. Seit 2009 im Besitz des Museum Ludwig, zeugen die – im industriell geprägten Offset-Verfahren – reproduzierten Blätter vom hintersinnigen Witz des rheinischen Raster-Künstlers. Einen weiteren Schwerpunkt legt die Kölner Schau auf die filmischen Arbeiten. Ab Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem Tod war die Kamera Polkes ständiger Begleiter: im Atelier, auf Reisen, bei Ausstellungsaufbauten oder bei seiner Tätigkeit als Lehrer an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Durch Doppel-, Über- und Unterbelichtung bewusst verfremdet, fingen die zu Lebzeiten weitgehend unveröffentlichten Aufnahmen die öffentliche wie private Seite des umtriebigen Multitalents ein.

Die von der Kulturstiftung der Länder und der Kulturstiftung des Bundes gemeinsam geförderte Retrospektive im Museum Ludwig bietet die einmalige Gelegenheit, das oft ironische, gleichwohl kritische Werk Sigmar Polkes in seiner Heterogenität nachzuvollziehen und seine abwechslungsreichen Schaffens­phasen dank des medial breiten Spektrums der präsentierten Arbeiten in ein neues Verhältnis zu setzen.