„Zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft“
Wir wissen fast nichts über ihn. So lautet der meistgeschriebene Satz über Johann Friedrich Städel. Dabei trägt eines der bedeutendsten Museen in Deutschland seinen Namen. Dabei gilt seine Stiftung als beispielhaft für privates Mäzenatentum. Und sein Handeln für die Frankfurter Bürger ist das immerwährende Vorbild für Frankfurter Bürger. Sie unterstützen ihr Bürgermuseum, sie schenken Kunst, spenden für Ankäufe und Baumaßnahmen in großer Höhe und mit beeindruckender Stetigkeit – all das im Sinne Johann Friedrich Städels, der 1816 seine Kunstsammlung der Frankfurter Bürgerschaft stiftete und außerdem verfügte, dass sein Vermögen zur Ausbildung von Künstlern genutzt werden solle. In Städels Testament klingt das so: „Grundlage eines zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft hiermit von mir gestiftet werdenden Städelschen Kunstinstituts soll meine Sammlung von Gemählden, Handzeichnungen, Kupferstichen und Kunstsachen, sammt dazu gehörigen Büchern“ sein. Zum Umgang mit der Kunst hatte Städel klare Vorstellungen: Die Sammlung sollte erhalten, vermehrt und bei „vorkommenden Gelegenheiten durch Austausch der vorhandenen schlechten und mittelmäßigen Stücke gegen bessere, vollkommenere“ verändert werden.
Der Name Städel ist zum Inbegriff bürgerlichen Engagements und Vertrauens in die Bürgerschaft geworden. Der Stifter selbst jedoch ist seltsam fremd geblieben. Die Eckdaten seines Lebens und Wirkens mögen bekannt sein – geboren 1728, gestorben 1816. Was für ein Mensch er war, liegt trotz intensiver Forschung im Dunkeln. Auch die Kunsthistorikerin Corina Meyer, die für ihre 2013 erschienene Dissertation allen verfügbaren Informationen nachging und sie in ihrem überaus fakten- und detailreichen Buch „Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main“ zusammenführte, muss konstatieren: „Die Person des Johann Friedrich Städel ist schwer zu greifen.“ Meyer nimmt an, dass er „ein introvertierter, aber durchaus offener, moderner Mensch war, der sich zwar um sein Selbstbild nicht kümmerte, doch schon Wert darauf legte, dass seine Stiftungen seinen Namen tragen“.
Dass es eine große Unkenntnis über den Menschen Städel bis heute gibt, war – so steht es zu vermuten – durchaus in seinem Sinne. Wäre er an persönlichem Nachruhm interessiert gewesen, hätte er zu Lebzeiten dafür sorgen können, ebenso wie für ein Porträt, schließlich war er ein reicher und bekannter Großhändler und Bankier mit entsprechend zahlreichen Verbindungen. Doch auch ein repräsentatives Porträt gibt es nicht. Allein eine ziemlich dilettantische Bleistiftzeichnung des Frankfurter Kunstschriftstellers Johann David Passavant befindet sich in der Städelsammlung. Die Marmorbüste von Johann Nepomuk Zwerger, die heute im Museum steht, entstand nach einer früheren Passavant-Zeichnung und mehr als zehn Jahre nach Städels Tod. Eine gewisse Idealisierung abgerechnet, ist hier ein freundlicher älterer, asketisch wirkender Herr zu sehen, der gleichzeitig große Ruhe und große Willenskraft ausstrahlt. Ausschweifend und laut scheint nichts an ihm. Ein solcher Mann feiert keine glamourösen Feste, er führt vertrauensvolle Gespräche, versenkt sich in ein Kunstwerk, verhandelt für ein gutes Geschäft.
Ob Städel solche Spekulationen gerecht werden, wird sich nicht mehr klären lassen, denn seine persönlichen Aussagen sind spärlich, allein Geschäftsbriefe im üblichen korrekt-förmlichen Stil der Zeit haben sich erhalten. Fest steht: Der Frankfurter Gewürzhändler und Bankier Johann Friedrich Städel tat Großes für die Bürger seiner Stadt und für alle, die Kunst sehen wollen. Aber nicht nur das.
Völlig ungeplant schrieb er auch Rechtsgeschichte, denn bis sein Testament eröffnet wurde, hatte noch niemand einer noch nicht bestehenden Stiftung sein ganzes Vermögen hinterlassen. Die Rechtsgültigkeit dieser Verfügung zweifelten daher sofort nach seinem Tod zwei entfernte Verwandte aus Straßburg an. Ihr Argument: Niemand könne Erbe sein, der zum Zeitpunkt des Erbantritts noch gar nicht existiert habe. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis das Problem um die Stiftung mit einem Vergleich gelöst wurde: Die entfernten Verwandten bekamen ein Drittel des Vermögens. Die endgültige rechtliche Klärung kam später. Paragraph 84 im Bürgerlichen Gesetzbuch bezieht sich auf diesen besonderen Fall und gibt Städel im Nachhinein Recht, denn er lautet: „Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt, so gilt sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.“
Die beschenkten Bürger staunten nicht schlecht über das Städelsche Vermächtnis, das neben der Kunstsammlung aus 1,3 Millionen Gulden bestand. Damit war Städel der drittreichste Frankfurter. Das war damals offenbar nicht bekannt – was ein weiterer Hinweis auf Städels Bescheidenheit ist. Selbst Goethe, durchaus ein Kenner und Besucher von Sammler und Sammlung, glaubte an einen Kommafehler, als er von der Summe erfuhr. Dabei lag das Handeln Städel im Blut – schon sein Vater war Händler und besaß ein Spezereienhandelsgeschäft. Sohn Johann Friedrich arbeitete dort mit und führte es auch nach dem Tod des Vaters 1777 weiter. Außerdem war er Bankier und Spediteur. Wie sein Vater übernahm er Verantwortung im Bürgerausschuss der Stadt, dem sogenannten 51er Kolleg. Sein Haus baute Städel an der damals exklusivsten Adresse Frankfurts, am Rossmarkt. Über dieses Haus war bisher fast nichts bekannt, denn der Gebäudekomplex wurde um 1900 von der Stadt abgerissen und das Archiv des Frankfurter Bauamts verbrannte im Zweiten Weltkrieg. Erst die Forschungen von Corina Meyer brachten einige Klarheit über Städels Haus, das er nach dem Tod des Vaters erwarb, umbaute und als Geschäfts-, Wohn- und Ausstellungshaus nutzte. Im Erdgeschoss befanden sich die Verkaufsräume, darüber zwei aufwändig ausgestattete Geschosse für seine Gemäldesammlung. Nach Sichtung verschiedener Akten schließt Städel-Forscherin Corina Meyer auf ein ambitioniertes Ausstattungskonzept der Säle, die reine Schauräume waren. Eine Vermischung von Kunst und Wohnen, wie bei vielen Privatsammlern üblich, lag offenbar nicht in Städels Interesse. Vielmehr entschied er sich bei der Zurschaustellung in seinen Privaträumen für eine museale Präsentation und unterschied sich nicht nur darin von anderen Frankfurter Sammlern.
Denn im reichen Frankfurt gab es viele Privatsammler, doch ihre Sammlungen waren nicht unbedingt beständig und wurden nach 20 oder 30 Jahren wieder verkauft oder zerstreuten sich durch Vererbung und die damit verbundene Aufteilung. Nicht so die Sammlung Städels – er sammelte 50 Jahre lang bis zu seinem Tod. Die ersten beiden Bilder kaufte er 1763, für 1814 ist der letzte Kauf mehrerer graphischer Blätter nachweisbar. Diese Kontinuität war sowohl Ausdruck seines ungebrochenen Erfolgs als Geschäftsmann, seines anhaltenden Interesses an der Kunst wie auch seines Lebens als unverheirateter, kinderloser Bürger. Das war ihm durchaus klar, denn er schrieb 1811 in einem Brief: „(m)eine Vermögens-Umstände in Verbindung mit dem ledigen Stande, begünstigten sowol in Rücksicht der nöthigen Muße, als des erforderlichen Aufwandes diesen Kunsthang, so dass ich meine Samlung an Gemälden, Kupferstichen und andern Kunstsachen für ansehnlich halten darf.“ Wenn Städel „ansehnlich“ sagt, gibt er sich bescheiden und stolz zugleich, denn bei seinem Tod umfasste die Sammlung 476 Gemälde von 200 Künstlern sowie 4.600 Handzeichnungen und graphische Blätter. Die Hälfte der Gemälde stammte aus den Niederlanden, die andere Hälfte war zu etwa gleichen Teilen deutsch und italienisch. Städel besaß vor allem Landschaften, Historien mit christlichen Sujets, auch Genreszenen und Porträts. Stillleben interessierten ihn hingegen weniger, denn es zählten nur 13 zur ursprünglichen Sammlung. Die Vorliebe für bestimmte Themen war zeittypisch, die Begeisterung für italienische Kunst etwas Besonderes. Zum Städelschen Besitz zählten – nach damaliger Zuschreibung – Vermeer und Rubens, Parmigianino und Tintoretto, Tizian und van Dyck, Frans Hals, Willem Kalf, Angelika Kaufmann und Antonio Canal – um nur einige wenige zu nennen. Trotz einer eigenhändigen Auflistung seines Kunstbesitzes lassen sich längst nicht alle Bilder identifizieren, denn heute sind aus der Ur-Sammlung nur noch 70 Gemälde im Museumsbesitz. Von den 4.600 Handzeichnungen sind 1.900 übrig. Das hat nicht nur mit der – für einen privaten Sammler ungewöhnlich uneitlen – testamentarischen Verfügung zu tun, Schlechteres zu verkaufen, um Besseres für die Sammlung kaufen zu können, sondern mit Administratoren, die allzu intensiv an die eigene Unfehlbarkeit glaubten. So befand der Jurist Karl Friedrich Starck, dass die meisten Gemälde als minderwertig zu betrachten seien und begann sofort nach Städels Tod mit dem Verkauf. Zu einer gänzlich anderen Einschätzung über die Qualität waren verschiedene Besucher der Städelschen Sammlungen gekommen. Zum Beispiel Johann Isaak von Gerning, ebenfalls ein Sammler. Er schrieb im Jahr 1800: „Mehr im italienischen oder im höheren weltbürgerlichen Kunstgeschmack ist das reiche Städelische Kabinet (…).“ Goethe urteilte in „Ueber Kunst und Alterthum“ 1816: „Der Decan aller hier lebenden ächten Kunstfreunde, Hr. Städel, genießt in seinem hohen Alter noch immer der lebenslänglich mit Einsicht und Beharrlichkeit gesammelten Kunstschätze, in dem wohlgelegensten Hause. Mehrere Zimmer sind mit ausgesuchten Gemälden aller Schulen geschmückt, in vielen Schränken sind Handzeichnungen und Kupferstiche aufbewahrt, deren unübersehbare Anzahl, sowie ihr unschätzbarer Werth den öfters wiederkehrenden Kunstfreund in Erstaunen setzt.“
Nun ist es weder ein Qualitätskriterium, dass Goethe etwas nicht beziffern und im Wert schätzen kann, noch dass ihn etwas in Erstaunen versetzt. Doch Goethe ist nicht allein mit seinem Urteil. Jochen Sander, stellvertretender Direktor des Städelmuseums und Sammlungsleiter der deutschen, holländischen und flämischen Malerei vor 1800, lobt: „Was sie besonders machte und auf Städels eigene Geschmacksbildung und Kunstvorstellung verweist, ist der beachtliche Anteil von Werken der italienischen und sonstigen romanischen Schulen sowie der Anteil an erzählenden Bildern, an Historien.“ Und Corina Meyer konstatiert nach ausführlichen Vergleichen mit zeitgenössischen Frankfurter Sammlungen: „Städel hatte beim Einkauf auf große Namen geachtet (van Eyck, Ruisdael, Rubens. Tizian, Tintoretto, Lorrain etc.).“
„Als erster Bürger im deutschsprachigen Raum begründete er ein öffentliches Kunstmuseum und eine Kunstakademie“, lobt der aktuelle Städel-Direktor Max Hollein. Heute ist die Kunstakademie eine staatliche Schule. Das Museum jedoch, das erst in Städels Haus eingerichtet wurde, zwischenzeitlich in einem Palais an der Neuen Mainzer Straße residierte und 1878 in das neu gebaute Ausstellungshaus am Schaumainkai zog, blieb ein Bürgermuseum. Wie die Sammlung an den verschiedenen Standorten präsentiert wurde, hat das Museum in den vergangenen Jahren intensiv erforscht. Seit Frühjahr 2016 kann der Besucher der Internetseite www.staedelmuseum.de die historischen Hängungen in 3D-Rekonstruktionen erkunden.
Anlässlich des 200. Todestages Johann Friedrich Städels am 15. März 2015 gab es nicht nur dem Anlass entsprechend angemessene Feiern. Das Städelmuseum eröffnete einen unterirdischen Erweiterungsbau, der zu 50 Prozent durch private Spenden finanziert wurde. Zeitgleich bekam das Museum zwei Kunstwerke geschenkt. Guido Renis „Himmelfahrt Mariens“ von 1596/97 finanzierte der Museumsverein, die Zeichnung „Studie eines Aktes“ von Edgar Degas eine Frankfurter Mäzenin. Sie alle handelten in bester Städel-Tradition und erfüllten, was Johann Friedrich Städel sich für sein Erbe gewünscht hatte: Vermehrung des Bestehenden. Zu einer solchen Vermehrung in seinem Sinne fühlten sich in den vergangenen 200 Jahren viele Frankfurter Bürger aufgerufen und haben damit die Bedeutung ihres Museums befördert. Städels Stiftung einer privaten Kunstsammlung steht damit nicht für eine beispiellose Entwicklung, doch sehr wohl für eine beispielhafte.