Warten auf Schwerin

Mit wachem, misstrauischem Blick fixiert er sein Gegenüber, den Unterkiefer trotzig vorgeschoben. In der rechten Hand präsentiert der Herzogliche Kammerdiener Johann Völler einen Schlüssel, und es scheint noch nicht ausgemacht, ob er ihn herausgeben wird. Der mecklenburgische Hofmaler Georg David Matthieu malte Völler sowie andere Angestellte und Familienmitglieder der Herzogsfamilie von Mecklenburg-Schwerin vor rund 250 Jahren täuschend echt als beinahe lebensgroße Aufstellbilder in Ölfarben auf Holz. Eine Art Zimmertheater der Rokokozeit. Insgesamt sieben Aufstellbilder Matthieus konnten nun mit der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin durch das Land Mecklenburg-Vorpommern erworben werden. Der Herr der Schlüssel darf weiterhin im Schloss Ludwigslust seinen Dienst tun, als stünde er leibhaftig vor uns. Die Zeit scheint still zu stehen.

Georg David Matthieu, Aufstellfigur des Kammerdieners Johann Völler, 154 × 50 cm; Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker
Georg David Matthieu, Aufstellfigur des Kammerdieners Johann Völler, 154 × 50 cm; Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker

Mecklenburger Zeitgefühl ist sprichwörtlich. Reichskanzler Otto von Bismarck soll gesagt haben: „Wenn die Welt untergeht, gehe ich nach Mecklenburg. Dort passiert alles hundert Jahre später.“ Dem Dichter Fritz Reuter wird ein ähnlicher Ausspruch zugeschrieben; belegen lässt sich keines der beiden Zitate. Licht ins Dunkel der Überlieferung brachte der Direktor des Schweriner Stadtarchivs mit dem Hinweis, der älteste Nachweis für eine vergleichbare Äußerung stamme aus dem Jahr 1919. Damals erklärte der SPD-Abgeordnete und Landesminister Franz Starosson vor dem Schwe­riner Landtag: „Auch in Mecklenburg endlich wird die Demokratie Herr sein, hier bei uns in einem Lande, von dem man gesagt hat, dass alles 500 Jahre später kommen will.“

Es war kein Weltuntergang, aber ein Epochenumbruch, den Starossons Zeitgenossen selbst im beschaulichen Mecklenburg-Schwerin zu spüren bekamen. Das jähe Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ in den Revolutionsjahren um 1918, vor allem jedoch der politisch-gesellschaftliche Umbruch nach 1945 haben eigentumsrechtliche Fragen aufgeworfen, mit denen sich nun – fast hundert Jahre nach dem Ende der Monarchie – auch das Land Mecklenburg-Vor­pommern und die Kulturstiftung der Länder auseinander­setzen mussten. Konkret ging es dabei um die oben erwähnte Sammlung, mithin um Fürstenkultur vom Feinsten, die das intime Lebensumfeld und die private Erinnerungskultur einer privilegierten Familie und zugleich das berechtigte kulturhistorische Bildungsinteresse einer breiten Öffentlichkeit berührt.

Die Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin umfasst neben Georg David Matthieus ­Aufstellbildern etliche nicht nur landesgeschichtlich bedeutsame Gemälde von ihm und anderen für den Schweriner Hof tätigen Malern, dazu kostbare Möbel, Skulpturen, Porzellane, aber auch Gebrauchsgegenstände wie Brieföffner und Musikinstrumente. Zusammengefasst in 252 Inventarpositionen, werden die aus dem privaten Besitz der Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin überlieferten Stücke seit Jahrzehnten museal erschlossen und ausgestellt. 1945 im Zuge der Bodenreform mit dem Grundbesitz enteignet, seither im Staatlichen Museum Schwerin / Ludwigslust / Güstrow bewahrt, wurden die Kunstwerke 1997 (anders als das Land) an die herzogliche Familie restituiert und konnten 2014 – wenige Monate vor dem Ende des gesetzlich befristeten Nießbrauchrechts – schließlich dauerhaft für das Museum erworben werden. Dazu kommen sechs weitere hochkarätige Stücke, von denen sich die heute in Schleswig-Holstein lebende Familie vorerst nicht trennen möchte. Zehn Jahre bleiben sie als unentgeltliche Leihgaben in Schwerin, das Land sicherte sich zudem ein zeitlich unbeschränktes Vorkaufsrecht.

Karl Friedrich Schinkel (Entwurf), Prunktisch, vor 1816/17; Schloss Ludwigslust. Geschenk von König Friedrich Wilhelm III. zur Hochzeit von Alexandrine und Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker
Karl Friedrich Schinkel (Entwurf), Prunktisch, vor 1816/17; Schloss Ludwigslust. Geschenk von König Friedrich Wilhelm III. zur Hochzeit von Alexandrine und Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker

Für den Erwerb eingesetzt wurden neben Mitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern Fördermittel der Kulturstiftung der Länder (KSL) sowie der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Seit 2001 war die KSL maßgeblich an den Verhandlungen zwischen dem Land und der herzoglichen Familie beteiligt. Es war der langwierigste Ankaufsvorgang, den die Stiftung bisher betreut hat. Mit der erzielten Einigung gewinnen alle Seiten: Familie, Museum, Öffentlichkeit. „Die Sammlung ist in ihrer Gesamtheit ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes und ein wichtiger Teil mecklenburgischer Landesidentität“, erklärte im Juni 2014 Mecklenburgs Kulturminister Mathias Brodkorb anlässlich der Vertragsunterzeichnung im Schweriner Schloss, mit dem sich das Land für die Welterbeliste der UNESCO bewirbt. „Heute erleben wir einen wichtigen Tag für Mecklenburg, seine Kulturgüter und unsere Familie. Ein großer Traum, der so oft zu platzen drohte, geht in Erfüllung“, kommentierte Donata Herzogin zu Mecklenburg-von Solodkoff, eine Enkelin von Großherzog Friedrich Franz IV. (1882 –1945), das glückliche Ende der komplexen Verhandlungen.

Warten auf Schwerin: Dass die im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 geregelte Rückgabe der ab 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone enteigneten mobilen Kunst- und Kulturgüter aus Privatbesitz im Schweriner Fall erst am Ende der vom Gesetz­geber gewährten 20-jährigen Schonfrist in einen Ankauf durch das Land mündete, illustriert die historische Gemengelage. Das Ende des Großherzogtums war 1918 keineswegs mit hundertjähriger Verspätung eingetreten. Am 14. November, fünf Tage nachdem Scheidemann und Liebknecht in Berlin die deutsche Republik ausgerufen hatten, erklärte Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin seinen Thronverzicht – und lag damit im Mittelfeld der zwischen dem 8. und 30.  November abdankenden deutschen Landesfürsten. Keinesfalls verzichten wollte der Großherzog auf sein umfangreiches Privateigentum – eine Rechtsauffassung, die in den anschließenden Verhandlungen bestätigt wurde. Recht zügig gelang bis zum Dezember 1919 die Eigentumsregelung mit dem bei Kriegsende nach Dänemark geflüchteten Friedrich Franz, was umso mehr erstaunt, weil die verfassungsrechtliche Stellung des Landesherrn in Mecklenburg-Schwerin bis 1918 von vormodernen Vorstellungen geprägt gewesen war.

Rudolf Suhrlandt, Herzog Gustav von Mecklenburg, 1839, 96 × 74 cm © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker
Rudolf Suhrlandt, Herzog Gustav von Mecklenburg, 1839, 96 × 74 cm © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker

Beinahe alle deutschen Teilstaaten wie auch das Deutsche Reich im Ganzen hatten sich im 19. Jahr­hundert konstitutionelle Verfassungen gegeben, in Mecklenburg-Schwerin hingegen galt noch immer Ständerecht. Die Herzöge, seit 1815 Großherzöge, waren vom ritterschaftsfähigen Landadel abhängig, eine Separierung von Eigentumsrechten zwischen Staat und Herzogsfamilie war nie erfolgt. Das betraf auch die bereits im 18. Jahrhundert von ausländischen Reisenden gerühmten Kunstsammlungen der Herzöge, etwa die Sammlung niederländischer und flämischer Malerei, für die 1882 in Schwerin eigens ein Galerie­gebäude am Alten Garten eröffnet wurde – bis heute der Hauptstandort des Staatlichen Museums.

Walter Josephi, der als Direktor dieses Großherzoglichen und ab 1919 Staatlichen Museums wesentlich zur Einigung zwischen dem Freistaat Mecklenburg-Schwerin und dem Herzogshaus beitrug, resümiert 1920 die schwierige Ausgangssituation: „Dauernd blieb hier zwar die sehr volksfreundliche, aber doch veraltete Regelung von Bestand, daß der Großherzog mit seinem Privateigentum und auf eigene Kosten dem Lande ein Museum unterhielt, dem die Regierungskasse nur ganz unbedeutende Zuschüsse gewährte […]. Die durch den Umschwung des Novembers 1918 geschaffenen Zustände waren also für Mecklenburgs Kunstbesitz besonders gefährlich; die durch die Revolution aufgerollten Fragen waren hier schwieriger als allerorts, weil niemals eine Scheidung von Staatsgut und Krongut bzw. Privatvermögen des Landesherren stattgefunden hatte. Die Ansichten über das, was Rechtens sei, gingen himmelweit auseinander: Nach der einen Ansicht war das gesamte Domanium (fast die Hälfte des Landes) nebst den Schlössern mit Ausstattung und dem Museum Privateigentum des Großherzogs, während nach der gegnerischen Ansicht ihm eigentlich garnichts gehörte.“

Der erzielte Kompromiss von 1919/20 stellte beide Seiten zufrieden, wie die Kunsthistorikerin Sabine Bock in ihrem 2014 erschienenen Buch „Großherzogliche Kunst im Schloss Ludwigslust. Fürstenabfindung, Enteignung und Restitution“ anhand erstmals publizierter Quellen heraus­arbeitet. Das Museum mit seinen berühmten Holländern, den großartigen Tierporträts des Pariser Hofmalers Jean-Baptiste Oudry und bemerkenswerten kunstgewerblichen Sammlungen sowie das Schweriner Schloss mit Teilen des Inventars gingen 1919 gegen die Überlassung von mehreren tausend Hektar Land sowie die Zahlung von knapp 3,5 Millionen Reichsmark an den Großherzog in Staatsbesitz über. Friedrich Franz behielt Schloss Ludwigslust, das Jagdschloss Gelbensande sowie umfangreichen Gutsbesitz. Aus dem Schweriner Schloss und anderen von ihm aufgegebenen Schlössern und Herrenhäusern übernahm er kostbares Inventar: Bilder, Möbel, Hausrat.

Ende 1920 bezog die herzogliche Familie den Ostflügel von Schloss Ludwigslust. Das „kleine Versailles des Nordens“ hatte Friedrich Franz’ Vorgänger Herzog Friedrich der Fromme 1772 bis 1776 nach Entwürfen seines Hofarchitekten Johann Joachim Busch als spätbarocke Nebenresidenz 50 Kilometer südlich von Schwerin errichten lassen. Nun betätigte sich der einstige Landesherr Friedrich Franz IV. dort als Museumsdirektor. In den Repräsentationsräumen des Westflügels ließ er ein Privatmuseum einrichten, dessen Programm sein ehemaliger Oberhofmarschall Cuno von Rantzau folgendermaßen umriss: „Ich meine, man sollte die in Frage kommenden Räume des Ludwigsluster Schlosses mit den besten Stücken des Louis XV., Louis XVI. und allenfalls der Empirezeit, soweit solche nicht in den Wohnräumen Verwendung finden, mit guten Gemälden der betreffenden Zeiten, in Stilreinheit zu Räumen von seltener Schönheit gestalten, wozu die wundervolle Innenarchitektur sie schon ohne weiteres prädestiniert.“ Historische Fotos bestätigen die Erlesenheit der Interieurs. Der 1912 geborene Christian ­Ludwig Herzog zu Mecklenburg erinnerte sich an seine Kindheit im Museumsschloss: „Man mußte in Kauf nehmen, daß an den Tagen, an denen Führungen stattfanden, der Haupteingang immer voller Menschen war. Wir gingen daher in dieser Zeit durch den Hintereingang aus und ein […].“

Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin/ Foto: Michael Setzpfand
Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin/ Foto: Michael Setzpfand

Schloss Ludwigslust bot bis 1945 Raum für vieles, was nun im Rahmen der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin zurückerworben werden konnte. Der 1996 verstorbene Herzog Christian ­Ludwig wurde zur historischen Brückenfigur, der das Kriegsende in Ludwigslust ebenso erlebte wie den Beginn der Restitutionsverhandlungen zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und seiner Familie nach 1990. Ludwigslust hatten zunächst Amerikaner und Briten, am 1. Juli 1945 schließlich Einheiten der Roten Armee besetzt. Augenzeugen berichten von chaotischen Zuständen. Das von der herzoglichen Familie besonders geschätzte Staatsporträt der Königin Charlotte von Großbritannien und Irland – einer ge­borenen Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz – aus der Werkstatt von Thomas Gainsborough etwa soll zeitweilig als Ab­deckung eines Hühnerstalls gedient haben. Es wurde geborgen und, wie viele Stücke aus Ludwigslust, in den Nachkriegsjahren vom Schweriner Museum übernommen. Nun ist es eines jener sechs Kunstwerke, die gesichert für weitere zehn Jahre als Leihgabe der her­zoglichen Familie im Museum verbleiben.

Eigentumsfragen meinte man in der SBZ und in der DDR mit der Bodenreform und anderen Ent­eignungs­vorgängen gelöst zu haben. Dass damit Unrecht geschah, das nach 1990 nur teilweise rückgängig gemacht werden konnte, hat die Verhandlungen über zu restituierendes Kulturgut meist nicht erleichtert. Im Fall der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin kam hinzu, dass Umfang und Bewertung dessen, worüber man nach der Grundsatzeinigung 1997 zwischen Land und Familie verhandelte, fließend erschienen. War zunächst das Land Mecklenburg-­Vorpommern in Vorleistung gegangen und hatte 152 Stücke, die man für verzichtbar hielt, ohne Bedingungen an die Familie zurückgegeben (zwei Drittel davon wurden 1999 versteigert), musste andererseits der sogenannte Dachbodenfund, ein 1987 in Ludwigslust wiederentdecktes Konvolut nicht inventarisierter und teils stark restaurierungsbedürftiger Stücke, in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Auch die Zahl der Herausnahmen – Stücke, die die herzogliche Familie lediglich als Leihgabe zur Verfügung stellen wollte – differierte je nach Verhandlungsstand stark. Politisch nicht durchsetzen ließ sich 2011 die Idee der damaligen Landesregierung, einen Teil der Kaufsumme durch die Überlassung von staatseigenem Wald abzugelten. Damals wären die Verhandlungen beinahe gescheitert. Es verdankt sich auch dem Engagement der Kulturstiftung der Länder „als Förderer, […] Vermittler und Mode­rator beider Parteien“, wie die Generalsekretärin der Stiftung Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Vertragsunterzeichnung 2014 betonte, dass daraus doch noch eine Erfolgsgeschichte werden konnte.

Georg David Matthieu, Aufstellfigur der Sophie Friederike von Mecklenburg-Schwerin als Kind, 1766, 125 × 111 cm; Schloss Ludwigslust © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker
Georg David Matthieu, Aufstellfigur der Sophie Friederike von Mecklenburg-Schwerin als Kind, 1766, 125 × 111 cm; Schloss Ludwigslust © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker

Was den Mecklenburgern und ihren Besuchern entgangen wäre, ließ sich erstmals zum Jahreswechsel 2014/15 in der Schweriner Ausstellung „Gesichert! Kunst für das Land“ kennenlernen. Doch erst durch die feierliche Eröffnung des denkmalgerecht sanierten Ostflügels von Schloss Ludwigslust am 5. März 2016 wird mit den 1919 übernommenen Teilen der Herzogs­kunst und den Neuerwerbungen von 2014 endlich zusammengeführt, was zusammengehört. Gefeiert werden darf in Ludwigslust die Einebnung einer Grenze, die politischen Verwerfungen des 20. Jahr­hunderts geschuldet war. Dirk Blübaum, als Direktor des Staatlichen Museums Schwerin / Ludwigslust / Güstrow Hausherr des Schlosses, verweist darauf, dass erst die beweglichen Teile des Interieurs, die nun dauerhaft zurückkehren, ihre architektonische Hülle als Teil eines Gesamtkunstwerks definieren. Ludwigslust macht erlebbar, dass die Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin viel mehr ist als die Summe ihrer Teile.

Das „Abbild des Lebens im Schloss“ unter Herzog Friedrich dem Frommen und Großherzog Friedrich Franz I., also zwischen 1756 und 1837, erklärt Blübaum, „ist hier in einer Geschlossenheit zu erleben, wie wir sie sonst nirgendwo haben“. Folgerichtig holte man aus dem Schweriner Museum nicht nur etliche der grandiosen Gemälde exotischer Wildtiere von Jean-Baptist Oudry (als bedeutendste Oudry-Kollektion außerhalb Frankreichs mecklenburgischer Staatsbesitz seit 1919) nach Ludwigslust – dorthin, wo sie schon einmal bis Anfang des 19. Jahrhunderts hingen. Exzen­trisch großgeblümte Wandbespannungen aus Seide, im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen nachgewebt, eignen sich jedoch ebenso als Hintergrund für Georg David Matthieus Rokokoinszenierungen des Mecklenburger Hofes. Ein 1776 – dem Jahr der Fertigstellung von Schloss Ludwigslust – gemaltes Kniestück zeigt Herzog Friedrich als Kunstkenner beim Durchblättern eines Stichwerks von Giovanni Battista Piranesi. Auf anderen Bildnissen des Herzogs stellte Matthieu im Hintergrund die neuen Ludwigsluster Bauten dar: die Kaskade oder die Stadtkirche, deren theaterkulissenmäßiges Inneres übrigens äußerst sehenswert ist. 48 Gemälde und acht hölzerne Aufstellfiguren zählt der Bestand an Matthieu-Werken im Schwerin / Ludwigslust / Güstrower Museums­verbund nun insgesamt – 15 davon wurden mit der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin erworben.

Objekte aus der für Schloss Ludwigslust gesicherten Sammlung Christian Ludwig, Herzog zu Mecklenburg (im Uhrzeigersinn, beginnend oben links): Bodenstanduhr des Ludwigsluster Hofuhrmachers Johann Conradt Beneke, wohl 1776, Höhe 224 cm; Sofa mit Seidenbespannung und vergoldeten Elementen, um 1775, Breite 134 cm; Pappmaché-Büste Friedrichs des Frommen von Mecklenburg, Rudolf Kaplunger, 18. Jh., 76 × 56 × 36,5 cm; Bodenstanduhr von David Roentgen und Peter Kinzing, ca. 1785 – 95, 185,2 × 53,2 × 20,2 cm, Leihgabe der Herzogin Donata zu Mecklenburg-von Solodkoff; Kommode mit Einlege­arbeit und vergoldeten Metall­­beschlägen, Mitte 18. Jh., Höhe 85 cm; Schreibschrank, Frankreich oder Deutschland, um 1775, Höhe 132 cm © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Fotos: Michael Setzpfand, Gabriele Bröcker
Objekte aus der für Schloss Ludwigslust gesicherten Sammlung Christian Ludwig, Herzog zu Mecklenburg (im Uhrzeigersinn, beginnend oben links): Bodenstanduhr des Ludwigsluster Hofuhrmachers Johann Conradt Beneke, wohl 1776, Höhe 224 cm; Sofa mit Seidenbespannung und vergoldeten Elementen, um 1775, Breite 134 cm; Pappmaché-Büste Friedrichs des Frommen von Mecklenburg, Rudolf Kaplunger, 18. Jh., 76 × 56 × 36,5 cm; Bodenstanduhr von David Roentgen und Peter Kinzing, ca. 1785 – 95, 185,2 × 53,2 × 20,2 cm, Leihgabe der Herzogin Donata zu Mecklenburg-von Solodkoff; Kommode mit Einlege­arbeit und vergoldeten Metall­­beschlägen, Mitte 18. Jh., Höhe 85 cm; Schreibschrank, Frankreich oder Deutschland, um 1775, Höhe 132 cm © Schloss Ludwigslust Staatliches Museum Schwerin / Fotos: Michael Setzpfand, Gabriele Bröcker

Von Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Matthieus Onkel und Nachfolger als Hofmaler (er wurde vor einigen Jahren dank einer von der Kulturstiftung der Länder geförderten Ausstellung in Dessau und Schwerin wiederentdeckt), konnte mit der Sammlung Herzogliches Haus das 1780 entstandene Porträt von Herzogin Ulrike Sophie, einer Schwester Herzog Friedrichs, übernommen werden. Selbst wer ihre Lebensumstände nicht kennt, begreift hier durch Anschauung, dass auch kleinere Höfe zu Zeiten der Spätaufklärung von bemerkenswert nichtprovinziellen Köpfen dominiert worden sind. Weitere mit charakteristischen Arbeiten vertretene mecklenburgische Hofkünstler – Maler wie Bildhauer – aus diesem Konvolut sind ­Christian Ludwig Seehas, Dietrich Findorff, Theodor ­Schloepke, Gaston Lenthe, Rudolf Suhrland, Rudolph Kaplunger und Christian F. Genschow.

Überregionale Bedeutung beanspruchen die Werke Johann Alexander Thieles. Im Oktober 1748 unternahm der Dresdner Hofmaler eine einmonatige Reise nach Mecklenburg, da ihn Herzog Christian Ludwig II. mit einem größeren Auftrag an den Schweriner Hof binden wollte. Die bestellte Serie von 28 Gemälden konnte Thiele vor seinem Tod im Mai 1752 nicht mehr fertigstellen. Geliefert hat er neben kleineren Ansichten die beiden großen Prospekte von Schwerin und von der Festung Königstein, die den umfangreichen Zeichnungsbestand Thieles im Schweriner Kupferstich­kabinett ergänzen und für die nächsten zehn Jahre als Leihgaben im Museum bleiben.

Arbeiten „ausländischer“ Künstler wie die bereits erwähnte Werkstattwiederholung Gainsboroughs verdanken sich dynastischen Verbindungen und diplomatischem Austausch. Prominent im Schweriner Schloss hingen, wie ein Inventar von 1794 beweist, die Staatsporträts Franz von Lothringens und der Kaiserin Maria Theresia von Michael Christoph Emanuel Hagelgans nach Martin Mytens. Bereits 1704 hatte sich der spätere Herzog Christian Ludwig II., der kunstsinnige Begründer der Schweriner Sammlungen, von Michael Dahl in London malen lassen; 1807 stand Erbprinz Friedrich Ludwig in Paris François Gérard Modell. Jens Juel, Caspar David Friedrichs Lehrer an der Kopenhagener Akademie, malte Erbprinz Friedrich von Dänemark mit seiner Frau, der mecklenburgischen Prinzessin Sophie Friederike, und ihren Kindern. Aus dem Berlin König Friedrich Wilhelms III. sind mit dem Maler Franz Krüger (Bildnisse von Zar Nikolaus I. und Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin), dem Bildhauer Christian Daniel Rauch (zwei Büsten der Prinzessin Alexandrine von Preußen, die 1822 den späteren Großherzog Paul Friedrich von Mecklenburg heiratete) sowie dem Architekten Karl Friedrich Schinkel (ein zur Aussteuer gehörender vergoldeter Bronzetisch, sowie KPM-Porzellane nach seinem Entwurf) gleich drei prominente Künstler präsent.

Unter der großen Zahl erworbener Möbel ragen neben dem Schinkel-Tisch eine Pariser Rokoko-Kommode „aux dragons“ aus der Werkstatt von Pierre Roussel sowie zwei David Roentgen und Peter Kinzing zugewiesene Bodenstanduhren (letztere als Leihgaben) heraus. Besonderes kulturhistorisches Interesse darf eine Gruppe von Möbeln und Skulpturen ganz oder teilweise aus Papiermaché beanspruchen, die aus der von Herzog Friedrich geförderten Ludwigsluster „Papp-Fabrique“ stammen. 1773 wies der Landesherr seine Verwaltung an, ausgediente Akten für die Produktion bereitzustellen und tatsächlich lassen sich zerkleinerte Finanzabrechnungen als Recyclingmaterial in einigen Stücken nachweisen. Die spätere Herzogliche Carton­fabrik blieb bis in die 1830er Jahre aktiv. Die nun erworbenen Gegenstände, darunter ein Schrank und eine Standuhr, gehören sicher zur Erstausstattung von Schloss Ludwigslust, für das man seinerzeit auch Teile der Wanddekorationen, so im Goldenen Saal, aus Papiermaché gefertigt hat.

Ganz und gar nicht von Pappe ist und bleibt die Aufgabe, Schloss Ludwigslust zu sanieren und museal umfassend neu zu konzipieren. 1986 war das zuvor vom Rat des Kreises Ludwigslust genutzte Schloss in die Obhut des Staatlichen Museums Schwerin übergegangen und schrittweise zugänglich gemacht worden. Seit 2009 ließ das Land Mecklenburg-Vorpommern für 13,09 Millionen Euro den Ostflügel des Barockbaus denkmalgerecht sanieren, wobei der größte Teil der Maßnahmen aus EU-Mitteln für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gefördert werden konnte. Ab 2019 soll die Grundinstandsetzung des Westflügels mit geschätzten Baukosten von 11 Millionen Euro folgen. Rolf Christiansen, der Landrat des Kreises Ludwigslust-Parchim, betont die große Bedeutung dieses Engagements für die Region: „Wenn in kulturellen und touristischen Zusammenhängen von unserem Landkreis die Rede ist, dann immer auch vom Schloss Ludwigslust. Nicht zuletzt in Verbindung mit herausragenden Ausstellungen und Konzerten zieht das Ludwigsluster Schloss jährlich viele tausend Besucher aus aller Welt an. Dass sich das Land als Hausherr sehr für die weitere Entwicklung der musealen Aspekte und die Restaurierung engagiert, schätze ich außerordentlich.“

Ferdinand Bertoud, Pendule Uhr, Frankreich um 1770, Höhe 36 cm; Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin/ Foto: Michael Setzpfand
Ferdinand Bertoud, Pendule Uhr, Frankreich um 1770, Höhe 36 cm; Schloss Ludwigslust © Staatliches Museum Schwerin/ Foto: Michael Setzpfand

Schon der irische Reiseschriftsteller Thomas Nugent, der den Kunstbesitz der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin 1768 mit den besten fürstlichen Kollektionen Deutschlands verglich, sah die Notwendigkeit, den Bekanntheitsgrad der Sammlung zu erhöhen. Dieses „würde die Enthüllung eines Schatzes ermög­lichen, der, sozusagen, jetzt in einer Ecke Deutschlands begraben liegt“. Heute sind die Schätze der Mecklenburger längst gehoben und in der Mitte Deutschlands angekommen. Der glückliche Erwerb und die in ihr historisches Umfeld integrierte Präsentation der Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust und Schwerin beweisen es einmal mehr.

Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Land Mecklenburg-Vorpommern